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Opernfestival
Talentschmiede für junge Sänger in Ravenna

Die Herbsttrilogie im italienischen Ravenna bietet jungen Opernsängern ein Sprungbrett. Die engagierte Festivalchefin Cristina Mazzavillani Muti ist bei ihren Zöglingen sehr beliebt - auch weil es in Italien an Nachwuchsförderung mangelt.

Von Kirsten Liese |
    Aufgeschalgendes Notenheft von der Seite fotografiert.
    Opernstudios, in denen der Sängernachwuchs erste Erfahrungen sammeln kann, gibt es in Italien nicht (imago/McPHOTO )
    Musik: Pietro Mascagni, "Mamma quel vino" aus: Cavalleria Rusticana
    Aleandro Mariani singt zum ersten Mal eine große Partie in Ravenna. Beim ersten Vorsingen vor zwei Jahren haperte es noch an der Technik. Aber die Festival-Präsidentin Cristina Mazzavillani Muti ermutigte ihn, am Ball zu bleiben und empfahl ihm eine Lehrerin, mit deren Hilfe er seine Probleme in den Griff bekommen konnte. - Innerhalb von anderthalb Jahren entwickelte sich der Tenor so gut, dass er jetzt den Turridu in "Cavalleria Rusticana" geben darf.
    In zwei Proben zu dieser Produktion hörte ihn auch der berühmte Riccardo Muti, der sich in seiner Dirigenten-Akademie und mit dem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, das in Ravenna im Graben sitzt, ebenfalls engagiert um den Nachwuchs kümmert. Aleandro Mariani:
    "Was Maestro Muti wollte, verstand ich. Er wollte mich stimulieren und gab mir gute Ratschläge. Ich verdanke ihm eine völlig neue Sicht auf die Partitur: Sie enthält nicht nur Noten und dynamische Bezeichnungen, sondern offenbart auch theatralische Qualitäten im Text, und die Komponisten setzen alles daran, diese zu betonen. Das war für mich einmalig. Als Muti dann noch ein zweites Mal kam, um mich zu hören, gab er mir noch Ratschläge, die mich mein ganzes Leben begleiten werden."
    Unzureichende Nachwuchsförderung in Italien
    Opernstudios, in denen der Sängernachwuchs erste Erfahrungen sammeln kann, gibt es in Italien nicht. Umso dankbarer wird die Plattform in Ravenna von Berufsanfängern als Sprungbrett angenommen. Cristina Muti, die hier geboren wurde, hat die Herbsttrilogie 2012 als kleinen Ableger des Sommerfestivals gegründet, sie leitet das Festival als Präsidentin selbstbewusst allein. Ihr Mann Riccardo kommt nur als Gast nach Ravenna, kümmert sich vorzugsweise um Dirigenten und sein Orchester und hält sich ansonsten bewusst im Hintergrund.
    Gleich drei Opernpremieren folgen an einem Novemberwochenende aufeinander: Mascagnis "Cavalleria Rusticana", Leoncavallos "Bajazzo" und Puccinis "Tosca". An Interessenten, die in Cristina Mutis Talentschmiede aufgenommen werden wollen, mangelt es nicht. Die meisten bewerben sich schriftlich bei der zierlichen Frau, die sich mit blau gefärbten Haaren ein auffallend unkonventionelles Äußeres gibt.
    "Ich erhalte so viele Briefe von den jungen Leuten, und schaue dann, welche von ihnen am besten vorbereitet sind. Ich bemühe mich, sie alle anzuhören und lade viele zum Vorsingen ein. Natürlich werden mir über Dritte auch Talente empfohlen, aber die aktuellen Leistungen sind nicht allein entscheidend. Denn ich schätze mich glücklich, dank einer guten Intuition auch einschätzen zu können, wie sich jemand in naher Zukunft entwickeln wird."
    Sänger-Werkstatt für Spätentwickler
    In Cristina Mutis Laboratorium, wie sie ihr Festival gerne bezeichnet, kommt es jedoch nicht nur auf eine schöne Stimme an.
    "Es gibt Sänger mit herrlichen Stimmen, die aber nicht die nötige Persönlichkeit für eine Rolle mitbringen, und es gibt Sänger mit weniger schönen Stimmen, die aber von einer großen Leidenschaft erfüllt sind. Sie alle verdienen Aufmerksamkeit."
    In Cristina Mutis Talentschmiede finden sich allerhand Spätentwickler, Quereinsteiger und Sänger, die ihr Fach erweitern wollen oder Krisen bewältigen. Aleandro Mariani verdiente sich seine ersten Meriten als Skisportler, bevor er seine Liebe zum Gesang entdeckte. Der Tenor Diego Cavazzin, der als Bajazzo und Cavaradossi in diesem Jahr gleich zwei große Verismo-Partien mit der gebotenen Strahlkraft großartig meisterte, wollte zwischenzeitlich das Singen schon aufgeben. Aber dem Festival gelang es, sein Vertrauen in sein enormes Potenzial zu stärken, und nun steht er verdient in den Startlöchern einer internationalen Karriere.
    Die Sopranistin Chiara Mogini kam als Santuzza in die italienische Sänger-Werkstatt und lernte hier aus ihrer Sicht viel mehr als an ausländischen Opernstudios:
    "Ich finde, das Ravenna-Festival bietet jungen Sängern einen idealen Schutzraum, um sich jenseits des großen Opernbetriebs auszuprobieren, erste Bühnenerfahrungen zu sammeln, in größeren, wichtigen Rollen zu debütieren oder sich auch erstmals mit einer Rolle vertraut zu machen. Mir erscheint das weitaus ergiebiger, als was ich in diversen Opernstudios so mitnehmen konnte, weil wir in Ravenna zeitlich nicht unter Druck stehen und uns in Ruhe mit den Opern vertraut machen können. Und wir haben auch Zeit, uns zwischen den Proben auszuruhen, was selten der Fall ist."
    Musik: Pietro Mascagni "Voi lo Sapete o mamma "aus: Cavalleria Rusticana
    Die engagierte Festivalchefin Muti ist bei ihren Zöglingen sehr beliebt, manchen steht sie so nahe wie eine Mutter. Viele sind dankbar für ihre ansprechenden Inszenierungen. Radikales Regietheater findet in Ravenna nicht statt. Aber altmodisch, wie man es im konservativen Opernland Italien vielleicht erwarten würde, wirken Cristina Mutis Inszenierungen dank raffinierter Kino-Effekte keineswegs. Verblüffend real zoomt etwa bei "Cavalleria Rusticana" während der zentralen Osterprozession die Kirche immer näher an das Publikum heran.
    Musikvermittlungsprogramm für Schüler
    Erstmals arbeitete die Festspielchefin Muti in ihrer Herbsttrilogie auch mit Schülern. In halbstündigen Vorstellungen, die den Einaktern "Cavalleria Rusticana" und "Bajazzo" als integraler Bestandteil der Inszenierung vorausgingen, setzten sich Jugendliche aus ihrer Perspektive mit den Geschichten der Kurzopern auseinander. Cristina Muti und Angelo Nicastro, der als Künstlerischer Leiter eng mit ihr zusammenarbeitet, erhoffen sich über ein solches Musikvermittlungsprogramm, die Jugend wieder stärker an das Musiktheater heranzuführen. Angelo Nicastro:
    "Gewöhnlich haben junge Menschen wenig Zugang zur Oper. Im vergangenen Jahr kam Frau Muti deshalb die Idee, Schüler zwischen acht und 18 Jahren in ihre Arbeit einzubinden. Die Kinder konnten sich als Musiker, Tänzer und Schauspieler einbringen. Rund 20 junge Leute kamen zu diesem Casting zwischen Mai und Juni. Wir entdeckten darunter viele Talente, die sich eindrucksvoll in unterschiedlichen Musikstilen ausdrückten."
    Musik Auszug aus: "Remix" Schülerproduktion
    Auf der Bühne versammelten sich tatsächlich zahlreiche Begabungen, die sicher ihre Instrumente beherrschten und mit einigen Improvisationen auch anrührten. Als Einlassungen auf die Verismo-Opern eigneten sich die wilden Mixturen aus Jazz, Rap, klassischem Ballett und Breakdance zwar nicht. Aber darauf kommt es in der Pilotphase dieses neuen Experiments vielleicht auch nicht an. Vielmehr freut es die Festspielchefin, dass sich ihr Publikum verjüngt. In der Generalprobe sollen 700 Jugendliche in das hübsche Theater Alighieri geströmt sein. Das ist ein Anfang.