Olavinlinna, die frühere Militärfestung auf dem Granitfelsen im Saimaa-See, ist seit über 100 Jahren ein Traumziel für Opernliebhaber aus aller Welt.
Operndirektor Jorma Silvasti: "Diese Burg, diese Seenumgebung, Natur - das ist ein ganz wesentlicher Anteil an unserem Erfolg. Wunderbar, dass sie schon 1475 wussten, eine Burg zu bauen mit so einer tollen Akustik."
Am ersten Festspieltag wehen in Savonlinna die weißblauen Nationalflaggen, als Huldigung für den Dichter Eino Leino. Hinweise auf das Opernfestival sucht man allerdings vergeblich. Einige Fähnchen mit dem Logo von Sponsoren flattern auf der Brücke am Markt. Daneben dreimal so groß das Reklameschild für eine kommerzielle Kunstausstellung.
Wenig Festival-Atmosphäre in der Stadt
Etwas habe sich verändert in den letzten 10 Jahren. Man merke kaum, dass hier ein Festival stattfindet, meint der Regisseur Vilppu Kiljunen. Er hat jahrelang im Festival-Ausschuss gearbeitet und dort beharrlich nachgefragt, wieso man in der Stadt keine Spur vom Festival sähe. Es müsse doch von der Burg etwas ausstrahlen!
Erst in unmittelbarer Nähe der Wasserburg kommt so etwas wie Festival-Feeling auf: wenn die zumeist festlich gekleideten Opernbesucher durch die Gassen zur Strandpromenade strömen. Operndirektor Jorma Silvasti denkt wehmütig an die alten Zeiten zurück. Als Savonlinna noch eine historische Altstadt besaß und stolz war auf seine vielfältigen Kultur - und Bildungseinrichtungen.
"Wir waren eine echte Kurstadt, das war so international. Und ich habe mich gefragt: wäre das vielleicht eine Möglichkeit, irgendwie wieder zu diesem alten Glanz zu kommen, dass wir dieses Image der Kurstadt so richtig aufbauen?"
Die prachtvollen Kurhotels sind gesichtslosen Neubauten gewichen. Heute kämpfen engagierte Bürger um die letzten alten Straßenbäume und Holzhäuser und gegen ein geplantes 16-stöckiges Hochhaus. Zumindest auf der Bühne ist der Glanz der Zarenzeit nach Savonlinna zurückgekehrt: mit der Neuproduktion von Peter Tschaikowskys Musikdrama "Pique Dame". Eine raffinierte Beleuchtung, schwungvolle Chorszenen und opulente Kostüme erzeugen vor den groben Burgmauern echte Theaterstimmung. Dirigent Alexander Vedernikov führt stilsicher durch Tschaikowskys Klangcollagen aus russischer Folklore, Rokoko-Tänzen und romantischer Formensprache.
Tiefe Sängerstimmen überzeugen bei der Premierenbesetzung
In der Premierenbesetzung überzeugen stimmlich und darstellerisch besonders die tiefen Sängerstimmen, wie die russische Altistin Elena Zaremba. Sie verkörpert im Drama die Schlüsselrolle der Gräfin mit mächtigen Spitzentönen, aber auch mit zarter anrührender Eleganz.
Gewöhnlich stelle man die Gräfin als Greisin dar, sagt Elena Zaremba. Sie habe das nie gemacht. Heute wollten Regisseure eine alterslose Gräfin. Die sich durch Erinnerungen jung hält: an all die verflossenen Verehrer, wie sie in Paris getanzt hat, als sie noch jung und schön war. So könne sie die Gefühle ihrer Rolle klarer gestalten, als wenn sie bloß zittrig im Sessel säße.
Am Samstagmorgen geht es weiter mit der Generalprobe zu Giacomo Puccinis Oper "Madame Butterfly", eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2010. Die Darstellerin der Titelrolle Sae-Kyung Rim erzählt anschließend in einer finsteren Burgkammer von ihren ersten Eindrücken in der Olafsburg.
Sie schwärmt von der Burg mitten im Wasser, von den Seevögeln. Schon beim Eintreten habe sie gedacht: hier muss ich singen! Allerdings - in ihrem Kostüm aus vier Kimonos muss sie über Felsstufen steigen, eine neue Erfahrung! Alle Sänger müssen achtgeben, dass sie nicht fallen. Und hinter der Bühne herrsche das reinste Chaos.
Sae-Kyung Rim hat in ihrer Heimat Korea 10 Jahre lang Klavier studiert, bevor sie mit über 20 zum Gesangsstudium wechselte. An der Accademia der Mailänder Scala hat sie sich bei der legendären Sopranistin Leyla Gencer den letzten Schliff geholt und erste Bühnenpraxis gesammelt. Heute ist sie als Butterfly weltweit gefragt. Bis in die Fingerspitzen verkörpert sie die naive Geisha, die am Schluss nur den Ausweg im rituellen Selbstmord sieht.
Sie fühle sich mit Butterfly seelenverwandt. Die wolle ja aus dem engen Leben in Japan ausbrechen, aus dieser männerbeherrschten Welt. Und dann nimmt die Geschichte ein schrecklich trauriges Ende. Das Stück sei so ergreifend, dass es dem Publikum unter die Haut gehe. Auch sie selbst sei davon berührt, wenn sie singt. Aber weinen darf sie ja nicht. Sie muss das Publikum zum Weinen bringen.
Mischung aus italienischer, französischer und russischer Romantik
Am zweiten Festivalabend steht Charles Gounods Oper "Faust" auf dem Programm, eine Wiederaufnahme von 1999. Regisseur Vilppu Kiljunen hält sein Konzept weiterhin für höchst aktuell.
Von Anfang an sah Kiljunen Faust als Sinnbild des modernen Mannes. Seine ganze Weltsicht sei geprägt durch die Macht über die Frau. Der Stoff handelt von der Frau als Märtyrerin. Wie sie zum Opfer im Machtspiel der Männer wird. Kiljunen bedauert sehr, dass aus Kostengründen der einst weltberühmte Opernchor um 30 Mitglieder geschrumpft sei. Auch der jetzige künstlerische Leiter Jorma Silvasti bedauert diese Entwicklung. Ein finanzielles Risiko stellen auch Uraufführungen dar, wie im vergangenen Jahr zum großen Jubiläum "100 Jahre Finnland". Mit dem diesjährigen Programm setzt Silvasti wieder auf die publikumswirksame Mischung aus italienischer, französischer und russischer Romantik.
Regisseur Kiljunen sieht in Finnland wie auch in anderen westlichen Ländern zur Zeit die Tendenz zum Geld-Totalitarismus, den er einen "monetären Faschismus" nennt. Heute sei die Ära des Goldenen Kalbs. Wie sie von Mephisto auf der Bühne besungen wird.