Sind Menschen, die an einer Schizophrenie erkrankt sind, generell gefährlicher als andere? "Ja, das sind sie", sagt Seena Fazel, Psychiater an der Universität Oxford. Die Krankheit kann mit Wahnvorstellungen einhergehen, die Patienten fühlten sich dann von anderen bedroht und greifen an - um sich selbst zu schützen. Seena Fazel sagt aber auch:
"Aber es ist wahrscheinlicher, dass sie selbst zum Opfer von Gewalttaten werden. Und das muss man bei dem Thema auch immer im Hinterkopf haben. "
Seena Fazel hat das Schicksal von schizophrenen Menschen untersucht. Genauer gesagt: Das Schicksal aller entsprechend diagnostizierten Patienten in Schweden seit den 70er-Jahren, das sind rund 25.000 Menschen. Die Forscher haben dafür Daten aus diversen schwedischen Registern ausgewertet, aus Patientenregistern, Sterberegistern und anderen - und ihr Ergebnis ist erschreckend:
"Das Risiko für das, was wir 'adverse outcome' nennen - also einen ungünstigen Ausgang - ist enorm erhöht. Innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose waren 14 Prozent aller männlichen Patienten entweder gestorben oder wegen eines Gewaltverbrechens verurteilt."
Höheres Risiko als vor 30 Jahren
Von den männlichen Patienten sind zehn Prozent verurteilt worden. Zwei Prozent - also einer von 50 Patienten - hat Selbstmord begangen. Insgesamt war das Risiko, früh zu sterben, achtmal höher - verglichen mit dem Rest der Bevölkerung. Patienten, die schon vor der Diagnose kriminell waren, Drogen genommen oder sich selbst verletzt hatten, waren besonders gefährdet. Und was die Daten auch zeigen: Das Risiko für Patienten, kriminell oder suizidal zu werden, ist heute höher als vor 30 Jahren. Fazel:
"Unsere Studie liefert nur Zahlen, eine Erklärung für diesen Anstieg liefert sie nicht. Es könnte daran liegen, dass in den westlichen Ländern viele große psychiatrische Kliniken geschlossen worden sind. Eigentlich eine gute Sache, die Patienten wollen auch lieber ein selbstständiges Leben führen. Doch damit das funktioniert, brauchen sie kommunale Behandlungs- und Betreuungsangebote, und möglicherweise fehlt es da an Ressourcen. In den USA zum Beispiel werden viele psychisch erkrankten Menschen obdachlos oder landen im Gefängnis - und das ist eine Tragödie, weil sie dort nicht die Behandlung bekommen, die sie brauchen."
Mehr Gewaltverbrechen, mehr Suizide, ein früher Tod. Warum sind Menschen mit Schizophrenie dermaßen gefährdet? Wahrscheinlich ist die Krankheit nicht allein dafür verantwortlich, sondern auch die Begleitumstände, die mit ihr einhergehen können. Eric Elbogen ist forensischer Psychologe an der Universität von North Carolina, er hat die Studie im Fachblatt "The Lancet Psychiatry" kommentiert:
"Die Schizophrenie trägt ihren Teil dazu bei, aber die Krankheit ist wiederum mit anderen Risikofaktoren verknüpft. Mit Arbeitslosigkeit, Armut, mit familiären und sozialen Konflikten. Möglicherweise leiden schizophrene Menschen auch häufiger an Depressionen als andere. All das könnte die hohen Suizid- und Gewaltraten mit erklären. Und: Die Medikamente gegen Schizophrenie haben Nebenwirkungen, viele Menschen werden fettleibig. Das könnte mit zur frühen Sterblichkeit beitragen."
In den letzten Jahren habe man sich hauptsächlich darauf konzentriert, zu verhindern, dass Menschen überhaupt an einer Schizophrenie erkranken, sagt Seena Fazel. Aber man dürfe die Menschen, die bereits erkrankt sind, nicht aus den Augen verlieren.
"Was mir ganz wichtig ist: Es ist immer noch so, dass die meisten Menschen mit einer Schizophrenie - trotz des erhöhten Risikos - nie gewalttätig werden. In ihrem ganzen Leben nicht."
Wenn zehn Prozent aller schizophrenen Männer gewalttätig werden, dann heißt das auch: 90 Prozent werden es nicht.