"Vermögensverwertungsstelle". So nannte der Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg während der NS-Zeit einen Teil seiner Behörde. Die Büroräume nämlich, in denen fein säuberlich die Dinge erfasst wurden, die man den Deportierten oder ins Exil vertriebenen Juden der Hauptstadtregion geraubt hatte – in den Jahren zwischen 1941 und 1945. Dominic Strieder vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv stellte die Akten der Vermögensverwertungsstelle in einem englischsprachigen Vortrag für die internationale Online-Konferenz der nordhessischen Arolsen Archives vor:
"Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei um Unterlagen der Verfolger handelt. Wir finden hier also diese klassische euphemistische Sprache, die ganz typisch war in der Zeit des Nationalsozialismus. Hier wird beispielsweise der Begriff "Auswandern" benutzt und zwar sowohl für Deportationen als auch für Emigration."
Neue Forschungsansätze
Mit rund 42.000 Einzelfallakten, die zurzeit in Potsdam digitalisiert werden, ist das NS-Archivgut des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg bundesweit einzigartig. Das betonte auch Akim Jah, Mitarbeiter der Arolsen Archives und einer der Organisatoren der Konferenz:
"Es ist für die Forschung - und ich denke nicht nur für die historische Forschung sondern auch für kleinere Initiativen, Stolperstein-Initiativen und so - von unschätzbarem Wert. Und vor allen Dingen dann, das wäre dann der nächste Schritt, bei dem man dann irgendwann auch noch mal nachdenken kann, die Metadaten all dieser Akten auch mit anderen zum Beispiel in Arolsen, aber auch darüber hinaus, zu verknüpfen. Da ergeben sich für die Forschung - tatsächlich auch was die Aufenthalte der Deportierten vor ihrer Deportation aber auch danach was die weitere Verfolgung im Lagersystem anbetrifft - also ganz neue Forschungsansätze."
Die Lebenssituation der Verfolgten nachzeichnen
Gerade für die Zeit unmittelbar vor den Deportationen gibt es nämlich noch eklatante Forschungslücken zum Schicksal der Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus.
Das betrifft etwa die sogenannten "Judenhäuser". Das sind Häuser, in die Jüdinnen und Juden oft noch kurz vor den anstehenden Deportationen umziehen mussten, damit andere Stadtteile von Stadtverwaltungen für "judenfrei" erklärt werden konnten.
Joachim Schröder von der Düsseldorfer Deportationsgedenkstätte "Schlachthof", die auf dem Campus der örtlichen Fachhochschule liegt:
"Ein für unsere Arbeit am Erinnerungsort besonders wertvolles Arbeitsergebnis der Forschung ist die Aufhellung der Lebenssituation vieler Verfolgter vor ihrer Deportation. Die oft bedrückende Enge in den Wohnungen und damit verbunden alltägliche, kleinliche Streitigkeiten. Die Hoffnung auf ein Gelingen der Emigration, dann die Furcht von der Deportation, die Sorge um bereits emigrierte Verwandte und Freundinnen und Freunde und dann Deportierte."
Die Arolsen Archives sind ein internationales Zentrum über NS-Verfolgung mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung mit Hinweisen zu rund 17,5 Millionen Menschen gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. Sie beinhaltet Dokumente zu den verschiedenen Opfergruppen des NS-Regimes und ist eine wichtige Wissensquelle für die heutige Gesellschaft.
In Düsseldorf spielte auch das kommunale Fürsorgeamt bei der Einrichtung der "Judenhäuser" eine gewisse Rolle. In Bonn wiederum beschlagnahmte die Gestapo ein altes Benediktinerinnen-Kloster, um dort fast 500 Menschen vor ihrer Deportation ein Jahr lang zu isolieren. Johannes Platz von der Bonner NS-Gedenkstätte erforscht gerade die Geschichte dieses Klosters und seiner Umgestaltung zu einem sogenannten "Ghettolager":
"Sie erfolgte im Rahmen des sogenannten Klostersturms, bei dem die Nationalsozialisten katholische Ordensgebäude konfiszierten und für ihre Zwecke als Lazarette, Kliniken und eben in diesem Fall als Ghettolager einrichteten beziehungsweise verwendeten. Dazu vertrieben sie die Ordensgemeinschaften von ihren angestammten Besitzungen. Ein Schwerpunkt dieser Politik lag im Rheinland."
Zeitzeugen schildern elende Zustände
Beinahe die Hälfte der Menschen im Bonner Klosterghetto musste ab April 1942 etwa bei der städtischen Müllentsorgung arbeiten und sich ihr Essen selbst organisieren – schikaniert von antisemitischen Behörden. Johannes Platz:
"Die Familien wohnten auf sehr beengten und kleinen Zimmern zusammen, teils mit eigenem Mobiliar, dass sie mitbringen durften. Die Stimmung im Lager sei sehr schlecht gewesen, berichteten die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen."
Judenhäuser und Ghettolager waren für viele Menschen zumeist die letzte Station vor dem Transport in die Vernichtungslager – auch das machte die Konferenz deutlich. Von den knapp 500 Menschen, die etwa im Bonner Kloster leben mussten, überlebten schließlich nur 13 den Holocaust.