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Opposition in der Ukraine fühlt sich an Stalin-Ära erinnert

Sein Rückhalt in der Bevölkerung schwindet, seine Politik ist unbeliebt. Doch ein Jahr vor der Wahl lässt der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch nichts unversucht, die Opposition zu schwächen. Längst ist der Justizapparat zu einam Mittel gworden, ihn an der Macht zu halten. Stück für Stück besetzt er hier Posten nach seinen Interessen.

Von Maximilian Grosser |
    Berlin, Pariser Platz. Ihor Gryvniv blickt zum Brandenburger Tor, das im Abendlicht strahlt. Schon einmal hatte der ukrainische Abgeordnete hier gestanden, kurz nach dem Mauerfall, als Westeuropa begann, sich von hier aus nach Osten zu öffnen.

    "Ich bin seit 1990 im Parlament und meine erste Reise führte mich nach Deutschland. Damals habe ich noch ein ganz anderes Berlin und ein ganz anderes Deutschland erlebt. Keiner konnte damals glauben, dass sich die Stadt und das Land so stark verändern kann."

    Ähnliches könne die Ukraine auch schaffen, da ist sich der stellvertretende Vorsitzende der liberalen Oppositionspartei "Ordnung und Reformen" sicher. Aber möglich ist das nur durch eine Partnerschaft mit der EU, die im Dezember vereinbart werden sollte. Doch nun steht die auf dem Spiel, seit dem politisch motiviertem Urteil gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Ein Dilemma für die krisengeschüttelte ukrainische Opposition. Denn die könnte mit dem Assoziierungsabkommen und der Öffnung nach Westeuropa erste Schritte auf dem Weg aus ihrer Krise wagen, glaubt Mikoly Katerynschuk, Vorsitzender der ebenfalls oppositionellen "Europäischen Partei der Ukraine."

    "Wir hoffen, dass damit neue Arbeitsplätze an der Grenze zur EU entstehen. Wir erwarten eine Investitionssumme von 6 Mrd. Euro im ersten Jahr nach der Unterzeichnung. Politisch gesehen, muss sich Janukowitsch mit dem Abkommen entscheiden, ob er eine Fassadendemokratie wie in Russland und eine europäische Demokratieform durchsetzen will."

    Doch das Machtstreben des Präsidenten Viktor Janukowitsch deutet nicht Richtung Westen, befürchtet der Steuerexperte Katerynschuk: Neben Julia Timoschenko wird seit 2010 gegen fünfzehn weitere Mitglieder ihrer ehemaligen Regierung offiziell wegen Amtsmissbrauchs, Korruption oder anderer Delikte ermittelt. Angeblich ohne Janukowitschs Einfluss. Das bezweifelt der Jurist Svytoslav Oliynyk, Vorsitzender der Partei "Ukraine der Zukunft". Längst ist die Justiz ein politisches Mittel, um den unbeliebten Janukowitsch an der Macht zu halten.

    ""Vor einem Jahr wurde die Position des Generalstaatsanwalts vom Präsidenten neu besetzt, mit einem seiner engen Verwandten. Einen Monat später wurde das Strafverfahren gegen die ehemalige Ministerpräsidentin angestrengt. Gleichzeitig wurde das oberste Gericht für Strafrecht eingerichtet. Dieses Gericht wird von einem Abgeordneten der Regierungspartei geleitet. Eine Berufung im Fall Timoschenko hat keinen Sinn, weil es keine unabhängige Instanz gibt, wo sie in Berufung gehen könnte."

    Oliynyk spricht von einer Mitschuld der jetzigen Opposition, die während ihrer Regierungszeit von 2005 bis 2010 Justizreformen nicht ausreichend verfolgt hat. Oliynyk ist bewusst, dass die Opposition die Erfolge der Orangenen Revolution verspielt hat und ein neuer Schulterschluss nicht in Sicht ist. Das ist verwunderlich, denn nicht mal ein Drittel der Ukrainer vertraut Janukowitsch, weniger als zehn Prozent sind zufrieden mit der Situation des Landes. Vielleicht weil er Reformen bisher nur medienwirksam angekündigt hat und wenig Willen zeigt, sie durchzusetzen.

    Knapp die Hälfte glaubt weder an ein rechtmäßiges Timoschenko-Urteil noch an eine legitime Wahl ohne sie im nächsten Jahr. Zwar demonstrieren wieder Ärzte, Lehrer, Kriegsveteranen und zuletzt knapp tausend Studenten auf den Straßen der Drei-Millionen-Metropole Kiew für eigene Interessen. Aber es fehlen prominente Nachfolger für das Paar Juschtschenko – Timoschenko, die die Opposition geeint zur Wahl im nächsten Jahr führen könnten. Niemand sei da in Sicht, klagt Ksenia Lepina von der Partei "Für Ukraine". Doch noch mehr Sorgen macht ihr das Verhalten der Regierung.

    "Ich fühle mich schon an die Stalin-Ära erinnert, als die Opposition innerhalb der Staatsführung auch physisch vernichtet wurde."

    An einen Wahlsieg Janukowitschs glaubt keiner mehr. Um so mehr fürchtet Lepina, dass auf die Wahl 2012 soziale Unruhen folgen, die möglicherweise nicht so friedlich verlaufen wie die Revolution 2004.