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Oppositionsführer und Europaskeptiker

Die Chancen von Labour-Premierminister Gordon Brown bei den kommenden Unterhauswahlen - voraussichtlich im Mai 2010 - sind schlecht. In den Startlöchern stehen die britischen Konservativen, allen voran ihr Parteichef David Cameron.

Von Ruth Rach | 05.10.2009
    Er bloggt im Facebook, lässt sich mit seiner Familie am Frühstückstisch filmen, installiert eine ökofreundliche Windturbine auf seinem Dach, und fährt mit dem Fahrrad nach Westminster zur Arbeit. David Cameron, 44, seit vier Jahren Chef der britischen Konservativen.

    "Ich möchte, dass unsere Kinder in einem Land aufwachsen, wo die Straßen sicher sind, die öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren, wo die sich jeder sein eigenes Heim kaufen kann, und wo Klimawandel und Umwelt keine Nebensache sind.

    Eigentlich wollte ich ein gutes Beispiel geben, als ich mich auf mein Fahrrad schwang – eine CO2-freie Sache, bis die BBC beschloss, mir per Hubschrauber zu folgen."

    Volksnah, sympathisch, mitfühlend – Mr Nice Guy - so präsentiert David Cameron das neue Gesicht der Konservativen Partei.

    "Als wir zuletzt an der Macht waren, ging es uns darum, die Wirtschaft zu erneuern. Jetzt wollen wir die Gesellschaft erneuern. Damals stand das Individuum im Mittelpunkt, heute ist es die Familie, die Nachbarschaft, die Gesellschaft."

    Und ja, es gibt durchaus so etwas wie eine Gesellschaft. Mit dieser Botschaft distanziert sich der Tory-Chef ganz bewusst von seiner Vorgängerin, Margaret Thatcher: Ihr Diktum, es gebe keine Gesellschaft, sondern nur Individuen, wird als Leitmotiv für die von ihr geschaffene Ellbogengesellschaft zitiert, und als Mitursache für viele soziale Übel.

    Unsere Gesellschaft ist kaputt, sagt David Cameron. Die Briten bräuchten grundlegende Veränderungen. Sofort.

    Hohe Stirn, glatte Züge und ein Gesicht wie ein wohlerzogener Internatsknabe. Tatsächlich hat David Cameron die vornehme Privatschule Eton besucht, und im Anschluss die Elite-Universität Oxford. Schon seit Jahren arbeitet er daran, das Image des privilegierten 'toff' – des feinen Pinkels – abzulegen, zunächst ließ er sich ohne Schlips fotografieren, dann experimentierte er mit seiner Frisur, und schließlich sogar mit seinem Akzent. Nun, da die Wahlen und ein möglicher Sieg in greifbare Nähe rücken, ist staatsmännische Entschlossenheit gefordert. Und nackter Kampfgeist, vor allem in der parlamentarischen Arena - im Unterhaus in Westminster.

    Spitzfindige Rethorik, vernichtender Spott, David Camerons Rededuelle mit Gordon Brown gleichen einem britischen Schausport, wobei der angeschlagene Labour-Premier fast immer den Kürzeren zieht. Nicht jeder ist beeindruckt.

    Kritiker werfen dem Tory-Chef vor, die Krisen und Skandale, die über Großbritannien hereinbrachen, opportunistisch zu nutzen. Im Grunde fehle es ihm aber an Substanz und an einem fundierten politischen Programm. Wer ist eigentlich David Cameron, fragt der "Independent on Sunday" am Vorabend der Tory-Konferenz in Manchester: 50 Prozent der Wähler wüssten nicht, wofür er stehe. Gemischte Reaktionen auch bei einer Kurzumfrage in London.

    "Ich glaube, Cameron hat das Herz auf dem rechten Fleck, aber ich misstraue seiner Partei. Ich glaube nicht, dass sie sich geändert hat.

    Ich traue ihm nicht über den Weg, er ist eingebildet und schlüpfrig.

    Er hält sich absichtlich zurück, bis Labour verloren hat, weil er es sich mit niemandem verderben will.

    Früher dachte ich, die Konservativen sind nur für die Reichen da, aber David Cameron geht auch auf die Leute in sozialen Brennpunkten zu.

    Ich glaube, er verbirgt sein wahres Gesicht. Er sagt zwar, er werde die Tory-Partei reformieren, und dass er den Nationalen Gesundheitsdienst liebt. Aber ich glaub ihm kein Wort. Und dann diese ganzen Deals mit den rechtsextremen rassistischen EU-Parteien. Da kriege ich richtig Angst."

    Wie dem auch sei, laut Umfragewerten liegen die Tories jedenfalls weit in Führung. Drei Themen brennen David Cameron besonders auf der Seele: der Krieg in Afghanistan, die tiefe Staatsverschuldung und Europa. Nach dem irischen Ja zum Vertrag von Lissabon stehen die Tories unter Druck, endlich klar Farbe zu bekennen. Aber sie sind sich uneins, ein Riesenproblem für David Cameron.

    Im Falle eines konservativen Wahlsieges werde es ein Referendum geben, so sein Mantra. Es sei denn, der Vertrag sei bis dahin bereits ratifiziert. Was er aber in diesem Fall unternehmen würde, darüber schweigt sich David Cameron weiter aus.

    In britischen Medien wird bereits das Gespenst eines europäischen Präsidenten namens Tony Blair heraufbeschworen. Nun wartet man mit Spannung auf den Tory-Parteitag, um endlich konkrete Einzelheiten über ihre politischen Ziele zu erfahren.