Das Interview in seiner Originalfassung können Sie
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Christoph Heinemann: Was wird an diesem Wochenende voraussichtlich passieren?
Maria Corina Machado: Wir werden sehen, ob Nicolas Madura endlich begreift, dass sowohl die Menschen in Venezuela als auch die internationale Gemeinschaft entschlossen sind, die Tragödie, die humanitäre Katastrophe, die sich in Venezuela gerade ereignet, zu beenden. Niemals zuvor gab es eine solch große internationale Koalition von Nationen rund um die Erde, die sich verpflichtet haben, Tod und Verhungern der Gesellschaft zu stoppen. Maduro hat gesagt, er werde die humanitäre Hilfsgüter nicht nach Venezuela hereinlassen. Aber der Druck wächst, von innen und außen.
"In Venezuela hat sich ein krimineller Staat gebildet"
Heinemann: Lässt es Guaidó auf eine Machtprobe mit Nicolas Maduro ankommen?
Machado: Präsident Guaidó ist klar und verantwortungsbewusst, was einen Übergang in Venezuela hin zu Demokratie betrifft. Wichtig ist, dass wir nicht gegen eine konventionelle Diktatur kämpfen. In Venezuela hat sich ein krimineller Staat gebildet, der mit Drogen-Kartells und Terrorgruppen in Verbindung steht, die von den illegalen Aktivitäten in unserem Land profitieren. Wir befinden uns in einem sehr schwierigen Moment. Wir erleben gerade sehr gefährliche Stunden.
Heinemann: Rechnen Sie damit, dass die venezolanische Armee die humanitären Hilfslieferungen aufhalten werden?
Machado: Ich hoffe, dieses Bild werde ich niemals sehen. Wenn venezolanische Soldaten und Offiziere nach Haus kommen, dann finden sie, so wie der Rest der Bevölkerung, leere Tische und hungrige Familien vor. Maduro hat die Armee zwischen den Hungertod der Gesellschaft einerseits und andererseits Lebensmittel und medizinische Güter gestellt, die an unseren Grenzen angekommen sind. Ich erwarte, dass das venezolanische Militär auf der Seite der Menschen, unserer Verfassung und ihres eigenen Gewissen steht.
"Es geht ein tiefer Riss durch die venezolanische Armee"
Heinemann: Wieso unterstützt das venezolanische Militär Maduro bisher?
Machado: Es geht ein tiefer Riss durch die venezolanische Armee. Die Generale an der Spitze sind in die kriminellen Aktivitäten verstrickt. Diese Leute verfügen über gewaltige Reichtümer. Ganz anders ist die Lage von Soldaten und Offízieren. Hunderte wurden verhaftet, gefoltert. In vielen Fällen wurden auch ihre Familien entführt.
Heinemann: Was erwarten Sie von der Armee in den kommenden Tagen?
Machado: Ich erwarte, dass wir an einen Punkt gelangen, an dem wenigstens der größere Teil das Risiko und die Verantwortung auf sich nimmt, den Anweisungen unseres rechtmäßigen Präsidenten Juan Guaidó zu folgen und nicht dem kriminellen Nicolas Maduro.
"Wir müssen dieses kriminelle Regime auflösen"
Heinemann: Wenn Sie die Lebensbedingungen der Menschen verbessern möchten: sollte die Opposition dann eine Aufhebung der US-Sanktionen fordern?
Machado: Der einzige Weg, um die Tragödie zu beenden, die wir gerade erleben, besteht darin, dieses Mafia-System loszuwerden. Dieses kriminelle Regime aufzulösen, das absichtlich diesen Hunger und diese Abwanderung herbeigeführt hat. Auf diese Weise sollte die Gesellschaft total beherrscht werden. Natürlich können wir nicht von humanitärer Hilfe abhängig bleiben. Wir brauchen eine venezolanische Privatwirtschaft, die wieder das herstellen wird, was die Gesellschaft zu ihrer Ernährung benötigt. Das wird aber nur in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Venezuela geschehen, in dem die Rechte aller Bürger geachtet werden. Dafür kämpfen wir.
Heinemann: Berichte an den UN-Menschenrechtsrat besagen, dass eine Aufhebung der Sanktionen den Menschen helfen würde. Wieso fordern Sie nicht deutlich eine sofortige Aufhebung?
Machado: Glauben Sie mir: Die Sanktionen bilden nicht die Ursache der gegenwärtigen Tragödie. Schon vor den Sanktionen lebten in Venezuela 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. 15 Prozent der Kleinkinder waren kritisch unterernährt. Das war nicht das Ergebnis von Entscheidungen, die außerhalb des Landes getroffen wurden. Es kam zustande durch falsches Handeln eines kriminellen und korrupten Systems. Erst Chavez und dann weiterentwickelt von Nicolas Maduro.
"Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung wollen, dass Maduro geht"
Heinemann: Maduro kann die Verschlechterung der Lebensbedingungen leicht den USA und Donald Trump in die Schuhe schieben.
Machado: Er hat auch schon die katholische Kirche, die Gewerkschaftsführer, Studenten und Hausfrauen dafür verantwortlich gemacht. So funktioniert dieses kommunistische System: Anderen die Schuld geben und mit großem Aufwand Propagandamaschinen entwickeln, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Aber heute steht eines fest: Mehr als 90 Prozent der venezolanischen Bevölkerung wollen dringend, dass Maduro geht.
Heinemann: Jair Bolsonaro in Brasilien oder Ivan Duque in Kolumbien verfolgen gegenüber Maduro eine harte Linien. Wie auch Donald Trump. Ist das der Rückhalt, den Sie anstreben?
Machado: Genauso wie den vieler EU-Länder. Und den wollen wir bestimmt. Wie auch die Unterstützung vieler Staaten in Asien und Afrika. Das beweist doch, dass es hierbei schon seit langem nicht mehr um rechts oder links geht. In Venezuela handelt es sich um einen kriminellen Staat, dem wir Recht und Gesetz wiedergeben wollen.
Heinemann: Verantwortlich für Guaidós Aufstieg ist Oppositionsführer Leopoldo Lopez. Träumt er immer noch davon, Venezuela führen zu können?
Machado: Leopoldo Lopez ist ein guter Freund und ein mutiger Bürger. In dieser Generation gibt es viele Männer und Frauen, deren Mut, Kraft und Würde, für das zu kämpfen, woran wir glauben, Wertschätzung erfahren sollte. Und Leopoldo Lopez ist einer von ihnen.
Heinemann: Das Regime bezeichnet Guaidó als seine Marionette.
Machado: Jeder weiß hier, wer wer ist. Juan Guaidó hat mutig und verantwortungsbewusst gehandelt. Und deshalb unterstützt ihn die venezolanische Bevölkerung so stark.
"Was wir nicht wollen: Korruption, Verbrechen oder noch mehr Sozialismus"
Heinemann: Bisher war die Opposition in Venezuela tief gespalten. Wie kann sie dauerhaft geeint werden?
Machado: Das ist einer der Mythen des Regimes. Das stimmt absolut nicht. Die Menschen in Venezuela sind geeinter als jemals zuvor. Wir wissen, was wir nicht wollen: Korruption, Verbrechen oder noch mehr Sozialismus, der unserem Land so viel Armut und Tod gebracht hat.
Heinemann: Die "Süddeutsche Zeitung" spekulierte kürzlich, dass Sie die Idee mit dem Artikel 233 gehabt haben könnten, auf dessen Grundlage sich Juan Guaidó zum Übergangs-Präsidenten erklärt hat. War das Ihre Idee?
Machado: Als wir vor sechs Monaten zu dem Punkt kamen, als es offensichtlich war, dass wir keinen Präsidenten hatten, der von der Welt oder von den Venezolanern anerkannt wurde, legte unsere Verfassung fest, dass der Präsident der Nationalversammlung das Amt übernehmen sollte. So konnten wir weitermachen. Das habe ich privat und öffentlich dargestellt.
Heinemann: Wenn ich es richtig verstanden habe, war es Ihre Idee.
Machado: Nicht nur meine. Viele teilten diese Sicht. Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Wir werden eine sehr komplexe und schwierige Übergangsphase erleben. Aber uns stehen nicht nur die Talente, die Erfahrung und der Wille der Venezolaner zur Verfügung, sondern auch die Unterstützung der Gruppe der westlichen demokratischen Nationen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.