Harald Giessen: Das elektronische Adlerauge besteht aus der Kombination eines CMOS-Imagechips, eines Sensors, wie er auch in Smartphones zum Beispiel verbaut ist. Und dann ist nicht nur eine Linse davor, wie Sie das vom Smartphone kennen, sondern es sind mehrere, zum Beispiel vier Linsen in den vier Quadranten des Chips direkt über 3-D-Druck aufgedruckt. Ursprünglich hatten wir das Problem, dass wir gerne einen Sensor realisieren würden, den Sie von der Brennweite her und von dem Sichtfeld her verstellen könnten, sodass Sie zum Beispiel an Gegenstände heranzoomen können. Wenn Sie bei Ihrem Smartphone nämlich zoomen, dann ändert sich nichts an der Linse, sondern Sie machen das nur elektronisch, gehen sozusagen in das Bild rein. Und wenn Sie zu stark zoomen, sehen Sie die einzelnen Pixel des Sensors. Wir wollten aber gerne das so machen, wie das früher war bei Kameras, wo Sie dann beim Zoomen tatsächlich am Objektiv gedreht haben und die Brennweite verstellt haben und Sie dann tatsächlich ein breiteres oder ein schmaleres Sichtfeld hatten. Das ist aber sehr schwer, wenn man das mit kleinen Linsen machen möchte, mit 3-D-gedruckten Linsen, da muss man ja mechanisch was verstellen. Und dann haben wir gedacht: Drucken wir doch einfach mehrere Linsen, die verschiedene Brennweiten haben. Und so sind wir darauf gekommen, auf den Chip vier Linsen zu drucken, eine, die ein sehr starkes Weitwinkelobjektiv darstellt, eine, die ein schwaches Weitwinkel darstellt, ein Normalobjekt und dann ein Teleobjektiv. Und man bekommt also jetzt gleichzeitig von dem Sensor vier Bilder, die zum einen einen sehr großen Sichtbereich abdecken und zum anderen aber auch im zentralen Teil des Sichtfeldes Bilder liefern, die wie von einem Teleobjektiv aufgenommen sind. Und elektronisch kann man dann diese Bilder zu einem Bild zusammensetzen, was einem jetzt die Möglichkeit liefert, dass man reinzoomen kann in dieses Bild und es trotzdem noch im Zentrum scharf bleibt.
Optische Linsen - Bruchteile von Millimetern groß
Ralf Krauter: Der Trick besteht also darin, vier verschiedene Objektive in diesem Fall auf einem Kamerachip, auf so einem CCD-Chip unterzubringen. Warum ist da vorher noch keiner drauf gekommen? Ist das technologisch besonders anspruchsvoll? Wenn man sich die Bilder anschaut, sind das ja viel so, na ja, sagen wir mal, stecknadelkopfgroße Linsen, die da auf diesem Chip aufgebracht sind. Das war wahrscheinlich nicht ganz einfach.
Giessen: In der Tat. Also, Foveated Imaging als optisches Verfahren gibt es schon länger. Man kombiniert dann typischerweise vier Sensoren mit verschiedenen Linsen, die verschiedene Brennweiten haben, miteinander. 3-D-Drucken von Linsen ist etwas sehr Neues, wir waren mit bei den Ersten, die dieses Verfahren mit sehr, sehr hochqualitativen Linsen letztes Jahr eingeführt haben in das Feld. Mikrolinsen an sich, wenn das sehr klein wird, wenn also die Detektoren nur noch einen Millimeter oder sogar nur noch Bruchteile von Millimeter groß sind, lassen sich sehr, sehr schwer nur herstellen mit guter Abbildungsqualität, und 3-D-Druck ist meines Wissens das einzige Verfahren, wie man jetzt verschiedene Mikrolinsen auf einem Chip, der insgesamt nur ein mal ein Millimeter groß ist, unterbringen kann.
Sechs Jahre Forschung bis zur Nano-Linse
Krauter: Wie lange haben Sie gebraucht, bis das geklappt hat so, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Giessen: An dem Verfahren des 3-D-Drucks haben wir insgesamt sechs Jahre gearbeitet. Nachdem wir dann diese Verfahren optimiert hatten für die Linsenherstellung, dann geht das Ganze sehr schnell. Das hat also nur wenige Wochen gedauert, denn mit diesem 3-D-Druck haben wir ja ein neues Paradigma in der Optikherstellung verwirklicht. Man hat eine Idee, geht an den Computer, macht ein optisches Design, wandelt das um in einen CAD, in einen CAD-File, und diesen CAD-File kann man dann der Maschine, diesem 3-D-Drucker geben und der druckt mit einem Femtosekundenlaser dann in den Fotolack die gewünschte Struktur. Deswegen hat es bei uns dann auch nach der Idee, nachdem wir sowieso diese Linsentechnologie erarbeitet hatten, dann nur wenige Wochen gedauert. Und das Ganze hängt auch damit zusammen, dass das Gerät, was wir nutzen, ist ein Gerät von einem Start-up, von Nanoscribe aus Karlsruhe, das liefert sehr, sehr zuverlässige und stabile Herstellungsbedingungen.
Krauter: Könnte man diese Linse, so wie Sie sie jetzt beschrieben haben, kostengünstig in großen Stückzahlen herstellen und beispielsweise künftig in Smartphones zum Einsatz bringen?
Giessen: Das ist eine der Schlüsselfragen, die wir klären müssen. Das Gerät, wie wir das jetzt nutzen von Nanoscribe, das ist ja ausgelegt eigentlich für Unis und für Forschungseinrichtungen, hat also sehr, sehr große Flexibilität und ist nicht wirklich auf niedrige Produktionskosten optimiert. Aber man könnte wahrscheinlich in Zukunft Geräte bauen, die sozusagen nur auf diesen Produktionsprozess angepasst sind, wo Sie die ganzen anderen Möglichkeiten nicht mehr haben. Und dann wird das Gerät selber billiger. Zum Zweiten kann man das Verfahren, wie geprobt wird, sicher noch optimieren. Eine der Möglichkeiten ist, dass man nur die Hülle der Linsen druckt und innen in der Hülle noch das flüssige Photoresist hat, das flüssige Polymer, und das dann zum Beispiel mit UV-Licht in einem Schwung durchhärtet oder thermisch backt und dann härtet. Das würde die Produktionszeit auch stark reduzieren.
Reise durch den Körper per Mini-Kamera
Krauter: Wer interessiert sich denn für solche Linsen, außer jetzt vielleicht gewöhnliche Handynutzer, die sich freuen würden, wenn sie plötzlich ein super Teleobjektiv auch in der Hand hätten? Für wen ist so was interessant, was glauben Sie?
Giessen: Ganz generell dort, wo es um bildgebende Sensoren geht, wird das Verfahren interessant. Denn nehmen Sie jetzt mal autonom fahrende Autos, diese Autos müssen Sie ja entweder mit so einer rotierenden Kamera wie beim Google-Auto ausstatten, die die ganze Zeit in alle Richtungen schaut, oder Sie müssen rundherum Kameras platzieren. Wenn Sie jetzt zwei, drei Kameras haben mit Foveated Imaging, haben Sie sowohl ein großes Sichtfeld als auch eine Konzentration auf den zentralen Teil, der zum Beispiel nach vorne geht oder nach hinten. Sie können sich überlegen, ob Sie zum Beispiel bei einem Roboter so eine Kamera dran haben, denn dort, wo der Roboter greift, wo er arbeitet, im zentralen Bereich, hat man die gute Auflösung, trotzdem hat man gleichzeitig noch die periphere Vision, um Anstoßen oder Kollisionen oder Sicherheitsdinge zu berücksichtigen. Sie könnten es auch bei einer Drohne, bei einer Minidrohne einsetzen. Es gibt ja schon so kleine Drohnen im Elektronikhandel, die nur noch so groß wie ein Handteller sind. Unser Sensor selber ist ja kaum größer als ein Quadratmillimeter und dort könnte so eine Drohne dann sowohl hohe Auflösung haben im zentralen Sichtfeld, als auch dann rechts und rechts zum Beispiel Kollisionsvermeidungen vornehmen, wenn die dann fliegt. Oder auch in der Medizintechnik, in der Endoskopie, der Arzt möchte meistens im Zentrum, wo er arbeitet, sehen, wie dort das Gewebe aussieht, wie die Magenwand, die Darmwand aussieht, aber trotzdem möchte er sich orientieren, wo er ist, und dann wäre es schön, wenn er auch gleichzeitig den Blick zur Seite hat. Und es ist sehr schwer, Objektive zu bauen, die sozusagen super Weitwinkelobjektive sind, ein supergroßes Blickfeld haben und noch gleichzeitig die hohe Auflösung dann ins Zentrum, der Arzt, wenn der zum Beispiel dann reinzoomt in diesen Bereich und nicht an die Grenze der Pixel stößt.
Ein Überblick aus allen Entfernungen und Winkeln
Krauter: Vereinfacht gesagt, ist das so eine Art Teleobjektiv ohne Tunneleffekt, so könnte man es sagen. Also, der starke Fokus ist zwar da, aber man sieht eben auch im Randbereich drum herum noch das, was einen interessieren könnte.
Giessen: Ganz genau. Und man kann auch reinzoomen, ohne dass es dann die Pixel bekommt. Eigentlich ist es wie das menschliche oder das Adlerauge. Der Adler, der ja auch aus vielen Hundert Metern Höhe noch unten die Maus erkennen kann und trotzdem rechts und links die periphere Vision hat, um zu schauen, ob irgendwelche anderen Feinde oder Jäger ihm zu nahe kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.