Patricia Kopatchinskaja: "Wir sind ganz klar am Ende unserer Zeit. Das sagen uns die besten Wissenschaftler. Wir Musiker sind ein Teil unserer Zeit, und als Künstler hat man einen Sinn für so etwas. Dieses Endzeitliche ist für mich absolut klar."
Patricia Kopatchinskajas Augen funkeln. Die Klimakonzerte des Orchesters des Wandels waren von Anfang an Naturschutzprojekten gewidmet. Mit ihrem Klimaprotest-Programm "Dies Irae" hat die Geigerin also die richtigen Partner gefunden.
"Es ist alles Musik, die aus Schmerz entstanden ist. Aus Verzweiflung, aus Empörung. Vielleicht nicht unbedingt das Stück von Biber. Es ist eine Beschreibung des Kriegsalltags, auch humoristisch – aber wir haben es mit George Crumbs Musik kombiniert, und dies ist über den Vietnamkrieg. Wir kombinieren es mit der Musik von Michael Hersh, er schrieb sein Stück, als seine beste Freundin verstorben ist. Es ist ein Schrei aus dem Innersten. Wir hören die Herzschläge aus der Erde von Giacinto Scelsi, ganz am Anfang. Wir hören aber auch Metronome ganz am Schluss, wir stellen die Metronome unter den Sitz, mit einem Lichtlein kommen die Musiker zum Publikum und wir wollen das Gefühl erwecken, dass wir uns jetzt auf einer Zeitbombe befinden. Wir sitzen auf diesem tickenden Ende und ich möchte, dass man das wirklich spürt!"
Orchester des Wandels 2012 gegründet
Markus Bruggaier ist Hornist in der Staatskapelle Berlin und hat die Stiftung NaturTon mit dem Orchester des Wandels 2012 ins Leben gerufen. Das Besondere: Jede und jeder Einzelne der 130 Staatskapellen-Musikerinnen und -Musiker unterstützt die Initiative. Nicht alle stehen bei den regelmäßigen Klimakonzerten auf der Bühne, aber die Proben und Aufführungen des Orchesters des Wandels werden als Dienste in der Berliner Staatsoper angerechnet, sind also Arbeitszeit und nicht nur Privat-Engagement. "Ein Modell, an dem sich andere Arbeitgeber ein Beispiel nehmen können."
Auch als Reaktion darauf, dass sie wie viele andere Orchester von Weltrang von Zeit zu Zeit mit dem Flugzeug reisen, um auf anderen Kontinenten zu spielen. Gemeinsam begangen, aber von jedem persönlich zu verantworten, findet Markus Bruggaier:
"Ich würde jetzt nicht sagen, es ist nicht richtig, in andere Länder zu fliegen. Aber in dem Ausmaß, in dem das passiert. Mir selber ist gerade vor vier Wochen angeboten worden, ein Konzert in Tokio zu spielen. Das heißt: Für ein Konzert nach Tokio zu fliegen. Und das finde ich nicht richtig! Weil einfach der Aufwand und der Schaden, der dabei entsteht, in keinem Verhältnis zu dem künstlerischen Nutzen steht. Aber das muss man abwägen. Das gehört für unser Orchester natürlich auch dazu, das ist auch wichtig, der kulturelle Austausch. Nur muss man sich dazu vielleicht wirklich überlegen, wo das Maß liegt. Und ich glaube, dass das Maß für das Fliegen in den letzten Jahren verlorengegangen ist."
Kopatchinskaya: "Ich bin sowieso die größte Sünderin! Als Solist fliegt man die ganze Zeit rund um den Globus. Wir müssen aber alles von Anfang an überdenken und dabei von Null beginnen. Gar nichts passt mehr in die Zukunft, wenn es eine Zukunft geben sollte. Keine Plastikflaschen, keine Flüge. 90 Prozent von dem, woran wir uns gewöhnt haben, kann nicht mehr stattfinden. Und auch wir Musiker werden das absolut verändern müssen. Und es gibt auch Veranstalter, die versuchen jetzt eine neue Struktur zu schaffen, wo die Orchester zum Beispiel eine Tournee spielen und mit einem Bus ankommen, oder mit einem Zug am besten. Dass man die Orte geografisch sehr nah wählt. Nur so macht es Sinn, von einer Stadt in die nächste. So haben die Musiker und Schauspieler es ja früher auch gemacht. Man kann sehr viel aus dem Machen, was wir schon haben. Es geht nicht darum, mit Quantität etwas zu machen, sondern im Gegenteil: mit Qualität, mit Kreativität."
Erlös geht ein Projekt zum Klimaschutz
Beim Lucerne Festival hat Patricia Kopatchinskaja ihr Projekt "Dies Irae" schon einmal aufgeführt. Dort stand ihr ein ganzes Produktionsteam zur Verfügung - in Berlin packen alle Musiker selbst mit an, erschließen den Maschinenraum des ehemaligen E-Werks für die Inszenierung der zornigen Musik. Für Galina Ustwolskajas "Dies Irae" haben sie wie Sargträger eine schwarze Holzkiste hereingebracht, die Patricia Kopatchinskaya mit roten Holzhämmern bei diesem 8. Klimakonzert bespielt.
Diesmal kommt der Erlös einem Renaturierungsprojekt in Moldawien zugute, das Patricia Kopatchinskaja mit Hilfe des Orchesters des Wandels gegründet hat. Auch in Indien gibt es eine solche Initiative.
Bruggaier: "Wir haben einfach Projekte, die für uns sehr authentisch sind, weil sie auch mit uns zu tun haben. Zum Beispiel das Eben!Holz-Projekt in Madagaskar, bei dem wir vor unserer eigenen Haustür kehren als Musiker. Diese gefährdeten, vom Aussterben bedrohten Ebenhölzer, die für Griffbretter benutzt werden. Und wir reden da von großen Mengen, das sind 100 Millionen Griffbretter im Jahr, die für Gitarren und Streichinstrumente benutzt werden. Und diese 200.000 Bäume, die wir dort im Verlauf von zehn Jahren pflanzen, sorgen natürlich auch vor Ort für Beschäftigung und bewirken auch einiges im sozialen Bereich."
Immer wieder überraschend findet Markus Bruggaier, dass Naturschutzprojekte besonders in Drittweltländern oft nur wenig Geld kosten, aber viel bewirken.
"Zum Beispiel habe wir für das Madagaskar-Projekt einen gemeinnützigen Verein gegründet, Eben!Holz e.V., der institutionell schon im Deutschen Geigenbauverband verankert ist. Und man bekommt dann detaillierte Reports, die genau nachweisen, was vor Ort passiert. Das können wir als Musiker natürlich nicht leisten. Für uns ist es auch wichtig, dass wir das machen können, was wir gut können, nämlich Musik machen und inspirieren."
Aus Island oder Hongkong hat das Orchester des Wandels bereits Anfragen, ob man die Idee kopieren dürfe. Und das Rundfunksinfonieorchester Berlin hat gerade ein Open-Air-Konzert mit Laien veranstaltet, um auf die Bedrohung der Feldlerche aufmerksam zu machen. Das Thema Umwelt- und Klimaschutz ist in der klassischen Musikwelt angekommen, aber noch mit viel Luft nach oben.