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Orchestergeschichte und Festkonzert
Berliner Staatskapelle feiert 450-jähriges Bestehen

Die Berliner Staatskapelle gehört zu den ältesten Orchestern der Welt. 1570 gegründet feierte der Klankörper sein 450-jähriges Jubiläum mit einem Festkonzert, bei dem unter anderem ein Auftragswerk von Jörg Widmann uraufgeführt wurde.

Von Kirsten Liese | 14.09.2020
    Ein Mann mit grauen Haaren steht inmitten eines Orchesters auf einem Pult und dirigiert.
    Seit 1991 ist Daniel Barenboim Chefdirigent der Staatskapelle und Generalmusikdirektor der Staatsoper. (Imago / POP-EYE / Christina Kratsch)
    Seit über 100 Jahren zählt Richard Wagner zu den Komponisten, die die Berliner Staatskapelle besonders pflegt. Richard Strauss, der 1908 als Generalmusikdirektor die Leitung des Orchesters übernahm, war ein prominenter Vertreter dieser Tradition, Persönlichkeiten wie Wilhelm Furtwängler, Erich Kleiber, Herbert von Karajan, Franz Konwitschny oder Otmar Suitner und natürlich Daniel Barenboim setzten sie fort. Und so durfte das strahlende Vorspiel zu der Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" auf dem Festkonzert der Jubilare nicht fehlen. Schon 1942 und 1955 war die gesamte Oper zur Eröffnung der zweimal kriegszerstörten und wiederaufgebauten Lindenoper gegeben worden.
    Höhepunkte in der Konzertgeschichte der Berliner Staatskapelle
    Ein Konzert in Israel im Jahr 2001 zählt zu den besonderen Wagner-Ereignissen in der jüngeren Geschichte der Berliner Staatskapelle. Als Zugabe brachte Daniel Barenboim damals Vorspiel und Liebestod aus "Tristan und Isolde", was ihm im Hinblick auf das Trauma vom Holocaust und Wagners Antisemitismus viel Kritik eintrug. Der Kontrabassist Alf Moser erinnert sich:
    "Und dann aber der Moment, als wir die Musik gespielt haben und es trotzdem still blieb im Saal und die Leute zugehört haben. Das war eine Atmosphäre, die kann man eigentlich gar nicht beschreiben. Ich hatte sehr große Gänsehaut, auch ein kleines bisschen Angst, ob vielleicht doch die Lage eskaliert, aber es ist dann gut gegangen und ich glaube, dass das auch ein wichtiger Meilenstein war, dass … in Israel irgendwann vielleicht wieder mehr Wagner gespielt wird."

    Zu den Berliner Höhepunkten in der Geschichte des Orchesters zählen für die Geigerin Susanne Schergaut die von Daniel Barenboim 1996 ins Leben gerufenen österlichen Festtage. Zudem war 2002 ein außergewöhnliches, rekordverdächtiges Jahr.
    "2002 wurden zwei Mal alle zehn Wagneropern gespielt, zwischendurch noch schnell vier Brahms-Sinfonien, und dass das Haus das gestemmt hat, und dass wir das gestemmt haben, das habe ich als ganz fantastisch empfunden."

    Alf Moser, Susanne Schergaut und der erste Konzertmeister Lothar Strauss wurden schon in den 1980er-Jahren Mitglieder der Berliner Staatskapelle. Alle Drei berichten von einer künstlerisch erfüllten, glücklichen Zeit unter ihrem damaligen Chef, dem Österreicher Otmar Suitner. Zu einer bleiernen Zeit wurden erst die letzten Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR. Susanne Schergaut:
    "Die künstlerische Perspektive war nicht mehr da. Professor Suitner war gesundheitlich angeschlagen in den letzten Jahren und zog sich auch zurück. Das war schon sehr bedrückend. Deshalb war diese Wende für uns fast zeitgleich am Ende der GMD-Zeit von Professor Suitner. Dann ist erstmal alles überstrahlt worden von diesem Ereignis, und dann kam relativ schnell Daniel Barenboim und dann brach eine neue Ära an."
    Neue Ära mit Daniel Barenboim
    In dieser neuen Ära verkleinerte sich die Staatskapelle von ehemals 156 Stellen auf 136, überwiegend ältere Musiker verabschiedeten sich in den Vorruhestand. Ihren signifikanten dunklen, warmen Klang und damit ihr Markenzeichen aber behielt die Kapelle bei, sagt der erste Konzertmeister Lothar Strauß:
    "Das ist auch das, was Herr Barenboim damals gesagt hat, er fand ein altes Möbelstück vor - wie er das formulierte - das musste nur poliert werden. Ich glaube, er hat erkannt, dass man dieses Orchester nicht umkrempeln sollte, weil es schon ein Gesicht hat. Und weil es unique ist in seinem Klang. Es gibt weniger Orchester, die man wirklich am Klang erkennt, dieses Merkmal unserer Farben, unserer Tiefe, der Wärme im Klang, das ist etwas sehr Bewahrenswertes."
    Carl Maria von Webers "Freischütz", Mendelssohns Reformationssinfonie oder Otto Nicolais "Lustige Weiber von Windsor" zählen zu den bedeutendsten Werken der Romantik, die die Berliner Staatskapelle uraufführte. Aber auch der zeitgenössischen Musik verpflichtete sich das Orchester zunehmend: Erich Kleiber brachte 1925 Alban Bergs "Wozzeck" zur Uraufführung, Wilhelm Furtwängler 1934 gegen den Widerstand der Nazis Paul Hindemiths Sinfonie "Mathis der Maler".
    Fürs Festkonzert schrieb Jörg Widmann eine Auftragskomposition
    In der Ära Barenboim kamen Pierre Boulez und Hans Werner Henze als Komponisten dazu. Und für das jüngste Festkonzert schrieb Jörg Widmann die Auftragskomposition "Zeitensprünge". Passend zum Jubiläum enthält sie exakt 450 Takte. In den ersten zitiert der Komponist seinen Namensvetter Erasmus Widmann mit einem Chorsatz, der um 1572 entstand, als die Kapelle gegründet wurde.
    Wuchtige Dissonanzen im vollen Orchester überlagern bald das Zitat aus der Renaissance. Mit Anklängen an die Wolfsschluchtszene aus dem "Freischütz" kommt dann noch eine weitere Reminiszenz an einen Höhepunkt aus der Geschichte der Staatskapelle in die Komposition.
    Insbesondere ihren Beethoven-Zyklus zum Start ihrer Jubiläumswoche, musizierten die Jubilare ungeachtet der in der Staatsoper nur 440 zugelassenen Zuschauer mit einer Hingabe, als ginge es ums Überleben: gewaltig im Heroischen, zärtlich im Lyrischen. Mochten die strengen Corona-Auflagen auch der Feierlichkeit einen Dämpfer versetzt haben: Die Dankbarkeit, erstmals seit dem Lockdown im März wieder in voller Besetzung vor Publikum spielen zu dürfen, überwog. Alf Moser:
    "So etwas hat es in der Geschichte der Staatskapelle bisher nicht gegeben, dass die Staatskapelle solange Pause gemacht hat. Und nach dieser langen Zeit des Nichtmusizieren-Dürfens jetzt wieder zusammenzuspielen, ist bei allen ein emotionales Ereignis."
    Berliner Staatskapelle ist medial omnipräsent
    In diesen schwierigen Zeiten ist die Berliner Staatskapelle mit ihrem Chefdirigenten Daniel Barenboim medial omnipräsent. Und es scheint fast so, als würden sie die Berliner Philharmoniker in der öffentlichen Wahrnehmung als die ewigen Ersten auf den zweiten Platz verweisen.