Zu Beginn fällt der Blick auf den schwedischen Komponisten Anders Hillbourg, Jahrgang 1954. Für seine Kompositionssprache hat er diverse Impulse von Brian Ferneyhough empfangen. Seine Orchesterwerke mit sinnlichen wie einfallsreichen Klanglandschaften begeistern seit Jahren international das Publikum und werden von der Presse als ungewöhnlich kreativ bejubelt.
Auf der, jüngst beim Label BIS erschienen CD hat das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra unter Leitung der Dirigenten Sakari Oramo, David Zinman und Esa-Pekka Salonen vier Kompositionen als Weltersteinspielung aufgenommen. Alle, zwischen 2010 und 2014 entstandenen Werke haben den breiten Erfolg Hillbourgs befördert, nicht zuletzt weil es Auftragskompositionen international renommierter Klangkörper waren. Das Ohr taucht schnell in hochexpressive und facettenreiche Klangwelten ein, die in subtilen Intensität schnell eine Art Sogwirkung entwickeln.
Das jüngste Werk dieser Einspielung mit dem Titel "Beast-Sampler" vereint zahlreiche Elemente, die Hillbourgs Kompositionswelt zeichnen. Der Titel bezieht sich auf Hillbourgs Orchesterverständnis. Für ihn ist es ein Klang-Tier, ein lebender atmender Organismus, "dessen Stimmen oft maximal geteilt sind und in einem größeren Klangkomplex aufgehen", so Christopher Stark im informativen Booklet zur CD. Heftige Atemgeräusche in den Holz- und Blechbläsern eröffnen die knapp zehnminütige Komposition und sind zugleich charakteristisch für seinen Umgang mit dem Orchesterapparat. Sein Komponieren fokussiert den Einsatz rein akustischer Instrumente, aber Techniken der experimentellen und elektronischen Musik nehmen durchaus Einfluss, wie bereits der Titel "Sampler" nahe legt.
Seine Partitur versteht Hillbourg als eine Galerie, die einzelne Klangskulpturen präsentiert. Hillbourg hat sich dabei von verschiedenen Kompositionstechniken des 20. Jahrhunderts inspirieren lassen. Trotz einer Vielfalt an Material hat er eine individuelle Kompositionssprache kreiert, die zunächst erwartbare harmonische und rhythmische Entwicklungen aufbricht.
Enorme klangliche Vielfalt
Von enormen klanglicher Vielfalt und emotionaler Tiefe zeugt auch das, im Hinblick auf die Instrumentation umfangreichste Werk dieser CD mit Orchestermusik von Anders Hillbourg. "Sirens" greift thematisch auf Homers Odyssee zurück und sie bildet die Kulisse für stark durchdringende, meist dunkle Orchesterklänge. Anregung hierfür fand er bei einem britischen Historiker und dessen Beschreibung der Sirenen: "Ihr Gesang, wenngleich von unwiderstehlicher Süße, war ebenso traurig wie süß, und er taucht Körper und Seele in eine fatale Lethargie, den Vorboten von Tod und Verderbnis." Vor diesem Hintergrund hat Hillbourg nicht nur kompositorisch gestaltet, sondern zudem ein Libretto mit eigenen Texten entworfen.
Auf kompositorischer Ebene begegnet Hillbourg dem Wort mit lebendigen und statischen Strukturen, die verschiedene Räumlichkeiten entstehen lassen.
Entführung in nordische Gefilde
In nordische Gefilde entführt auch die folgende CD beim Label Da Capo mit einer Komposition des faröischen Komponisten Sunlef Rasmussen, Jahrgang 1961. Er studierte in Norwegen sowie Dänemark und kam am IRCAM in Paris mit Tristan Muriel und Gérard Grisey in Kontakt.
Seine Werke kombinieren vielfach elektroakustische und Spektralklänge, greifen Elemente des Jazz auf und sind von der Volksmusiktradition seiner Heimat inspiriert.
Mit dem Helsinki Philharmonic Orchestra liegt jetzt unter Leitung von John Storgårds die 2. Sinfonie von Rasmussen als Weltersteinspielung vor beim Label Da Capo vor. Ein gigantisches Opus, in dem der Orchesterklang aus tektonischen Verschiebungen lebt. "The earth anew" – "Die Erde erneut" ist konzipiert als Wiedergabe eines Lebenszyklus, der auf dem altnordischen Mythos des Lebensbaumes Yggdrasil basiert und in Naturphänomenen klangliche Inspiration nimmt. Rasmussen spielt hier inhaltlich und musikalisch mit seiner nordischen Identität. Hörbar wird die Konzentration auf stark rhythmische Momente.
Deutlich erkennbar ist auch seine Auseinandersetzung mit seriellen und spektralen Klängen. Die Gestaltung ist groß dimensioniert mit zwei Vokalsolisten, Männerchor und großem Sinfonieorchester, verteilt über vier ausgedehnte Sätze. Erzählt wird die Geschichte des Lebensbaumes mit seinen Wurzeln, die zurückgeht auf altnordische Verse der Edda aus dem 13. Jahrhundert. Beim Hören wird man Teilhaber eines intensiven Klangdramas, in dem Rasmussen das klangliche Potential eines Symphonieorchesters voll ausnutzt. Aber auch die altnordische Sprache hat mit ihrer ausgeprägten Ausdruckskraft musikalischen Charakter.
Nach Aserbaidschan entführt jetzt eine, beim Label paladino music erschienene CD mit Orchesterwerken aus der Feder von Faradzh Karaev, der 1943 in Baku geboren wurde, aber in Moskau lebt und arbeitet.
Als Komponist ist er stark in der Tradition der europäischen Musikavantgarde des 20. Jahrhunderts verwurzelt, ohne selbst eine verbindliche stilistische Ausrichtung erkennen zu lassen. Es ist eine nicht definierbare Vielgestaltigkeit, die seinen Werken entspringt, die oft szenischen Charakter haben und in erweitertem Kontext zur Bildenden Kunst und Literatur stehen.
Dabei stellt Karaev Fragen an das Verhältnis zwischen der riesigen Welt und sich selbst, ein Thema, das sein Komponieren zeitlebens begleitet. Die Zeitlosigkeit seiner Musik wurzelt in der Kunst des Übergangs zwischen den verschiedenen, von ihm verwendeten musikalischen Materialien.
Hohe Dichte mit zarten und schrillen Momenten
Seine Klangkonstruktionen zeugen immer von hoher Dichte, in zarten wie in schrillen Momenten. Zahlreiche Kompositionen basieren auf Revisionen früher geschriebener Werke.
Als Ersteinspielung liegt jetzt sein klangintensives, physisch einnehmendes Konzert für Violine und Orchester vor, komponiert im Andenken an seine Mutter. Im begleitenden Booklet heißt es hierzu: "In seinen schillernden Texturen bleibt ein romantischer Gestus stets bestehen, als würde er sich aus unserem kulturellen Langzeitgedächtnis speisen."
Ein Künstler mit breit gefächertem Repertoire
Zum Abschluss stelle ich Ihnen noch eine aktuelle CD mit Musik des Briten Peter Maxwell Davies vor, der im vergangenen Jahr verstarb. Neben Benjamin Britten galt er als der bedeutendste zeitgenössische Komponist seines Landes. Sein international anerkanntes Werk umfasst Sinfonien, Opern, Ballett und Filmmusik.
Der junge britische Dirigent Ben Gernon, einstiger Assistent von Gustavo Dudamel und 2013 Gewinner des "Joung Conducts Award" im Rahmen der Salzburger Festspiele hat für das Label Linn mit dem Scottisch Camber Orchestra 2015 einige Orchesterstücke von Peter Maxwell Davies aufgenommen. Dazu gehört auch der kommerziell erfolgreiche Ohrwurm "An orkney wedding with sunrise" aus dem Jahr 1985, das es seinerzeit sogar in die "Last Night of Proms" schaffte. Als Rahmen für den überquellenden humorvollen musikalischen Gestaltungsreichtum greift er nicht nur auf Tradition zurück, sondern auch auf die schottische Volksmusik. Trotz dieser musikalischen Vielfalt ist dem Scottish Chamber Orchestra hier eine Einspielung gelungen, die auf keinerlei Effekthascherei zielt und das farbreiche, Kaleidoskopartige Klangbild facettenreich ausleuchtet.
Vorgestellte CDs:
Anders Hillbourg: "Sirens / Cold Heat/ Beast-Sampler", Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, Ltg. Sakari Oramo, David Zinman,, Esa-Pekka Salonen, BIS CD 2114, LC 03240, EAN: 731859921143
Sunleif Rassmusen: "Symphony No.2 'The Earth Anew'", Helsinki Philharmonic Orchestra, Ltg. John Storgårds, Cyndia Sieden, Sopran, Bo Skovhus, Bariton, Akademiska Sångdöreningen, Muntra Musikanter, Helsinki Philharmonic Orchestra, DACAPO CD 8.226175, LC49000, EAN: 636943617526
Faradzh Karaev: "Orchesterwerke", Patricia Kopatchinskaja, Azerbaijan State Symphony, Russian State Symphony Capella, Ltg. Raul Abullayev , Valery Polyansky, Palladino Music CD pmr 070, LC 20375, EAN: 9120040730703
Peter Maxwell Davies: "An Orkney Wedding , with sunrise", Scottish Chamber Orchestra, Ltg. Ben Gernon, LINN Records CDCKD 534, ÖC 11615, EAN: 691062053426
Anders Hillbourg: "Sirens / Cold Heat/ Beast-Sampler", Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, Ltg. Sakari Oramo, David Zinman,, Esa-Pekka Salonen, BIS CD 2114, LC 03240, EAN: 731859921143
Sunleif Rassmusen: "Symphony No.2 'The Earth Anew'", Helsinki Philharmonic Orchestra, Ltg. John Storgårds, Cyndia Sieden, Sopran, Bo Skovhus, Bariton, Akademiska Sångdöreningen, Muntra Musikanter, Helsinki Philharmonic Orchestra, DACAPO CD 8.226175, LC49000, EAN: 636943617526
Faradzh Karaev: "Orchesterwerke", Patricia Kopatchinskaja, Azerbaijan State Symphony, Russian State Symphony Capella, Ltg. Raul Abullayev , Valery Polyansky, Palladino Music CD pmr 070, LC 20375, EAN: 9120040730703
Peter Maxwell Davies: "An Orkney Wedding , with sunrise", Scottish Chamber Orchestra, Ltg. Ben Gernon, LINN Records CDCKD 534, ÖC 11615, EAN: 691062053426