Bereits um 7 Uhr früh werden Bruder Julius und Bruder Arturas von den Gläubigen zur Messe erwartet. Im Franziskanerkloster in Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Ein Ort der Stille, der die Menschen aufgrund seiner Schlichtheit fasziniert und wegen der persönlichen Nähe zu Ordensmännern wie Julius und Arturas.
In der Sakristei hat Bruder Julius alias Julis Sasnauskas die letzte Ausgabe vom sogenannten "Boten der Freiheit" aufbewahrt. Eine Untergrundzeitung, die er als 17-jähriger in der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen herausgegeben hat. Das war im Jahr 1979. Sieben Jahre später ist er als Bruder Julius in den Franziskanerorden eingetreten, der damals noch verboten war.
"Wenn du heimlich eine Kirche besucht hast, dann hat die Partei schon mal ein Auge zugedrückt. Aber die sowjetische Besatzung zu kritisieren oder sich für die Freiheit der drei baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland einzusetzen – das konnten sie nicht durchgehen lassen."
Julius Sasnauskas wurde vom sowjetischen Geheimdienst KGB beobachtet, 1979 wurde er festgenommen und abgeführt. Neun Monate saß der 17-Jährige in einer Zelle im KGB-Gefängnis und wurde anschließend für fünf Jahre in ein Lager nach Sibirien verbannt. Obwohl sie die Untergrundzeitung nur zu dritt geschrieben und verteilt hatten, habe die Partei in den katholischen Freunden eine ernsthafte Bedrohung gesehen, sagt Bruder Julius.
"Ein KGB-Offizier hat mir bei der Befragung den Grund verraten. Wir drei hätten in der damaligen Sowjetrepublik den Eindruck vermittelt, als gäbe es in Litauen tatsächlich eine starke Widerstandsbewegung."
Und tatsächlich, Julius Sasnauskas hat einen Stein ins Rollen gebracht. Immer mehr litauische Katholiken übten Widerstand gegen die Kommunistische Partei.
Am sogenannten "Berg der Kreuze" im Westen des Landes wurde damals für Kämpfer wie Julius Sasnauskas ein Kreuz aufgestellt. Dieser traditionelle katholische Wallfahrtsort entwickelte sich im litauischen Freiheitskampf zu einem Symbol für den politischen Widerstand. Während die Partei die Kreuze in der Nacht niederreißen ließ, stellten die Gläubigen sie am nächsten Morgen wieder auf, sagt der Historiker Arunas Streikus. Im Unterschied zu anderen Sowjetrepubliken spielte die katholische Kirche eine zentrale Rolle bei Litauens Austritt aus der UDSSR.
"Die litauische katholische Kirche war die einzige Institution, die der Sowjetmacht standhielt. Das Regime war nicht in der Lage, das Rückgrat der Kirche zu brechen. So wurde sie zum Zufluchtsort für alle, die in Opposition zu den Kommunisten lebten."
Seit der Unabhängigkeit vor 25 Jahren ist der Franziskanerorden in Litauen ausgesprochen populär. Die Zahl der Gottesdienstbesucher ist hoch. Und es ist besonders die junge Generation, die sich den Franziskanern angeschlossen hat. Etwa Bruder Arturas alias Arturas Jasevicius. Obwohl sich das Land längst zu einer modernen Marktwirtschaft mit wachsendem Wohlstand entwickelt hat, gab Arturas Jasevicius mit 24 Jahren seine Karriere als IT-Spezialist in Vilnius auf.
"Ich hatte viel Geld und hatte Erfolg, aber ich war nicht glücklich. Ich wollte anderen etwas geben; und ich bin zur Einsicht gekommen, dass ich einen anderen Lebensweg gehen muss."
Auch der Historiker Vytautas Alisauskas beobachtet: Zu den Messen der Franziskaner kommen überproportional viele junge Leute. Im Unterschied zu vielen anderen Kirchen in Vilnius, die nur von wenigen, vorwiegend älteren Menschen besucht werden. Im Sozialismus hätten sich die Menschen von den Kirchen abgewendet, erklärt Vytautas Alisauskas. Heute bemühe sich die Kirche, die jungen Menschen zurückzugewinnen.
"In der Sowjetzeit gerieten Kirchenmitglieder in Gefahr, wenn sie offen mit Priestern sprachen. Deshalb sind ältere Priester so verschlossen. Ihnen fällt es schwer, auf die jungen Leute zuzugehen. Bei den Franziskanern ist es genau das Gegenteil. Sie kamen aus dem Untergrund, sie waren jung, endlich frei und offen für Kontakte."
Bruder Julius nutzt diese Freiheit auch als Journalist. Mit seiner Radiosendung greift der Franziskaner vor allem Tabu-Themen der litauischen Gesellschaft auf: etwa die gleich-geschlechtliche Liebe. Ein Thema, das an litauischen Schulen nicht behandelt werden darf.
"Es geht um Offenheit gegenüber anderen, auch um Trauer und Mitleid. Wir müssen den Homosexuellen erlauben zu leben, wie sie es sich wünschen. Wir müssen sie als Menschen respektieren. Wenn Leute Schwule beschimpfen und sich dabei auf die Bibel berufen, dann missbrauchen sie diese Texte."