Insofern verwundert es denn nicht, wenn sich im 20. Jahrhundert auch betont christliche und religiöse Denker mit geschichtsphilosophischen Perspektiven zu Wort gemeldet haben, z.B. Karl Jaspers und Henri Bergson. Vor allem der in Deutschland weniger bekannte politische Philosoph Eric Voegelin entwirft eine Geschichtsphilosophie auf einem religiösen und christlichen Fundament. Aber anders als die Fortschrittsphilosophen vornehmlich des Marxismus fragt er weniger nach dem historischen Wandel, als vielmehr nach dem, was gleich bleibt, nach politischen Ordnungsmustern, die in der Geschichte wiederkehren. So heißt denn der Titel seines mehrbändigen Hauptwerkes Ordnung und Geschichte. Einer der Mitherausgeber der jetzt erscheinenden, deutschen Übersetzung, Dietmar Herz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Erfurt, bemerkt dazu:
Der Titel heißt auf der einen Seite: die menschlichen Ordnungen, diese verschiedenen durch politische Ideen hervorgerufenen Ordnungen in der Geschichte und ihr Verlauf in der Geschichte, ihre Verwirklichungen in der Geschichte. Denn die Grundstrukturen und die Grundfragen sind immer die gleichen. Also das ist in Mesopotamien genauso wie in Griechenland oder in der Neuzeit. Das ist immer die gleiche Fragestellung. Es zeigt sich dann, wie sich Ordnungen in der Geschichte manifestieren und wie dieser Prozess verläuft. Das ist ein Differenzierungsprozess. Die Kenntnis und die Vorstellung der politischen Realität wird immer differenzierter, immer genauer.
Eric Voegelin, ein scharfer Gegner des Marxismus, fragt gegen den Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wie das Sein das Bewusstsein bestimmt, sondern wie politische Ideen politische Ordnungen stiften. Beispielsweise Platon - so Voegelin - ging es um die Schaffung der gerechten Polis. Dietmar Herz, der Herausgeber des jetzt erscheinenden Bandes über Platon:
Politische Ideen haben die Aufgabe eine Ordnung zu schaffen. Politische Ideen beschreiben keine Ordnung, analysieren sie auch nicht, sondern sie schaffen sie wirklich. Platon in seiner Vorstellung war jemand, der eine solche politische Ordnung in der Tat schuf.
Eric Voegelin setzt in Ordnung und Geschichte diesen kraftvollen, wirkungsmächtigen politischen Ideen ein eher bloß analysierende politische Philosophie entgegen. Aristoteles, mit dem sich ein ebenfalls jetzt erscheinender Band befasst, gilt ihm als dessen typischer Vertreter:
Der Unterschied zwischen der Beschreibung von Platon und Aristoteles ist genau der Unterschied zwischen jemandem, der mit Hilfe einer politischen Idee oder politischen Ideen eine Ordnung evoziert, die einen Sinn ergibt. Er nennt das immer im Englischen Shelter, das ist eine Art Schutzraum für den Menschen, der den Menschen Sinn gibt. - Und den politischen Philosophen - also jetzt Platon versus Aristoteles, den politischen Philosophen, der diese Ordnung aus der Distanz betrachtet, der diese Schutzfunktion durchschaut, der nicht selber Ordnung schafft, sondern der sie analysiert, in einen größeren Zusammenhang einordnet. Da ist immer ein gewisses zerstörerisches Element mit dabei. Die politischen Ideen werden da natürlich auch in Frage gestellt durch ein solches Verfahren.
Politische Ideen schaffen für den Menschen sinnstiftende und das Leben sichernde Ordnungen. Politische Philosophie, die diesen Ordnungen eigentlich so nachspüren sollte, dass sie diese stärkt, verfehlt dagegen häufig ihren Sinn, wenn sie diese Ordnungen bloß hinterfragt und kritisiert - ein typisch modernder Habitus, dem Voegelin entgegentritt: Wer den Menschen wie der Marxismus ändern will, zerstört ihn; das Wesen des Menschen kann sich nicht ändern. Solche Bemühungen nehmen seit dem christlichen Mittelalter eher zu, während Vorstellungen von festen sozialen und politischen Ordnungen, in die die Menschen von Natur aus hinein geboren sind, eher abnehmen - für Voegelin ein Prozess des Niedergangs. Daher beschäftigt sich Ordnung und Geschichte auch vornehmlich mit Antike und Christentum, jener Zeit also, in der sich umfassende Ordnungsvorstellungen noch ausbreiteten. Der erste, vom bekannten Ägyptologen Jan Assmann herausgegebene Band greift dabei auch noch vor die griechische Antike zurück. Dietmar Herz:
Dieser erste Band, der jetzt erscheint, behandelt die mesopotamischen Reiche und Ägypten, also kosmologische Ordnungen. Im Rahmen dieses Schutzraums, dieses Shelter, der durch politische Ideen geschaffen wird, ist die erste große Variante davon die kosmologische Ordnung, also eine Analogie zum Kosmos, zur Natur. Mesopotamien, das sumerische Reich, Babylon, und dann Ägypten wird als Beispiel dieser Ordnung dargestellt mit sehr interessanten Ausführungen z.B. zu Echnaton, zu Ägypten.
Für Kosmologien spiegelt die staatliche und gesellschaftliche Ordnung die Naturordnung. Der Mensch lebt zugleich eingebunden in Natur wie in die Gemeinschaft. Beide gelten daher als unveränderlich.
Die griechische Philosophie - vor allem Platon und Aristoteles - übertragen diese Ordnungsstruktur auf die Seelenkräfte des Menschen, die gleichfalls die kosmische Ordnung spiegeln: Der Mensch erlebt sich in einer großen allumfassenden, letztlich göttlich gegebenen Struktur. Peter Opitz, Schüler von Eric Voegelin und Herausgeber des Bandes über Aristoteles, bemerkt:
Seine These: Das Wesen des Staates wurzelt im Wesen des Menschen und um eine Staatslehre zu schreiben, muss zunächst einmal eine philosophische Anthropologie entwickelt werden. (. . .) im Zentrum dieser philosophischen Anthropologie stehen bestimmte existentielle Grunderfahrungen des Menschen, insbesondere die Erfahrung der Kreatürlichkeit. Seine These ist: Diese Grunderfahrungen sind mit die Stimuli, die anregenden Kräfte, die dann auch die Verfassungsentwürfe mitbestimmen.
In existentiellen Situationen der Geburt, des Leidens oder des Todes machen die Menschen religiöse Erfahrungen, was nicht ohne Folgen für die politische Ordnung bleibt. Aus diesem religiösen Horizont gewinnen politische Ideen ihre Wirkmächtigkeit. Voegelin fragt also imgrunde nach dem Verhältnis von Politik und Religion und zwar nicht gemäß der Logik der Moderne, als handele es sich um zwei grundsätzlich getrennte Bereiche. Vielmehr gehören sie im Sinne von Thomas von Aquin immer schon zusammen. Die Moderne - so Voegelin - trennt sie künstlich. Dietmar Herz stellt fest:
Seine Vorstellung von politischer Realität schließt mehr ein als eine Beschreibung politischer Zustände und deren Begründung. Es schließt zum Beispiel Transzendenz mit ein. Realität für Voegelin ist immer unter Einschluss der Transzendenz und der Transzendenzerfahrungen, die der einzelne Mensch machen kann. Das macht seine politische Philosophie sehr sehr interessant, denn er beschäftigt sich aus diesem Grund auf eine sehr originelle Weise mit geistesgeschichtlichen Entwicklungen, mit dem religiösen Charakter von politischen Bewegungen, die gerade jetzt, das ist ja auch alles sehr aktuell alles, dazu beitragen können, dass wir vielleicht manche politischen Phänomene besser verstehen.
Natürlich besitzen politische Konzeptionen wie beispielsweise der Marxismus religiöse Wurzeln - da hat Voegelin völlig Recht. Aber die Konzeption seines Hauptwerkes Ordnung und Geschichte ruht womöglich doch allzu sehr auf Vorurteilen, dass es so etwas wie feste Ordnungen in Natur, Gesellschaft und Geschichte überhaupt gibt und nicht bloß als menschliche Konstruktionen, als Hilfsmittel des Geistes, um sich zu orientieren oder um die Natur so zu strukturieren, dass man sie beherrschen kann. Und gerade die Geschichtsphilosophie musste sich seit langem vorhalten lassen, dass sie die Geschichte doch bestenfalls rekonstruiert. Geschichtsphilosophie war eine Waffe im Zeitalter der Ideologien. Heute interessiert sich dafür kaum noch jemand. Voegelin, der den Ideologien widerstreiten wollte, könnte sich just mit seiner Geschichtsphilosophie in deren Netzen verfangen haben.
Der Titel heißt auf der einen Seite: die menschlichen Ordnungen, diese verschiedenen durch politische Ideen hervorgerufenen Ordnungen in der Geschichte und ihr Verlauf in der Geschichte, ihre Verwirklichungen in der Geschichte. Denn die Grundstrukturen und die Grundfragen sind immer die gleichen. Also das ist in Mesopotamien genauso wie in Griechenland oder in der Neuzeit. Das ist immer die gleiche Fragestellung. Es zeigt sich dann, wie sich Ordnungen in der Geschichte manifestieren und wie dieser Prozess verläuft. Das ist ein Differenzierungsprozess. Die Kenntnis und die Vorstellung der politischen Realität wird immer differenzierter, immer genauer.
Eric Voegelin, ein scharfer Gegner des Marxismus, fragt gegen den Zeitgeist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wie das Sein das Bewusstsein bestimmt, sondern wie politische Ideen politische Ordnungen stiften. Beispielsweise Platon - so Voegelin - ging es um die Schaffung der gerechten Polis. Dietmar Herz, der Herausgeber des jetzt erscheinenden Bandes über Platon:
Politische Ideen haben die Aufgabe eine Ordnung zu schaffen. Politische Ideen beschreiben keine Ordnung, analysieren sie auch nicht, sondern sie schaffen sie wirklich. Platon in seiner Vorstellung war jemand, der eine solche politische Ordnung in der Tat schuf.
Eric Voegelin setzt in Ordnung und Geschichte diesen kraftvollen, wirkungsmächtigen politischen Ideen ein eher bloß analysierende politische Philosophie entgegen. Aristoteles, mit dem sich ein ebenfalls jetzt erscheinender Band befasst, gilt ihm als dessen typischer Vertreter:
Der Unterschied zwischen der Beschreibung von Platon und Aristoteles ist genau der Unterschied zwischen jemandem, der mit Hilfe einer politischen Idee oder politischen Ideen eine Ordnung evoziert, die einen Sinn ergibt. Er nennt das immer im Englischen Shelter, das ist eine Art Schutzraum für den Menschen, der den Menschen Sinn gibt. - Und den politischen Philosophen - also jetzt Platon versus Aristoteles, den politischen Philosophen, der diese Ordnung aus der Distanz betrachtet, der diese Schutzfunktion durchschaut, der nicht selber Ordnung schafft, sondern der sie analysiert, in einen größeren Zusammenhang einordnet. Da ist immer ein gewisses zerstörerisches Element mit dabei. Die politischen Ideen werden da natürlich auch in Frage gestellt durch ein solches Verfahren.
Politische Ideen schaffen für den Menschen sinnstiftende und das Leben sichernde Ordnungen. Politische Philosophie, die diesen Ordnungen eigentlich so nachspüren sollte, dass sie diese stärkt, verfehlt dagegen häufig ihren Sinn, wenn sie diese Ordnungen bloß hinterfragt und kritisiert - ein typisch modernder Habitus, dem Voegelin entgegentritt: Wer den Menschen wie der Marxismus ändern will, zerstört ihn; das Wesen des Menschen kann sich nicht ändern. Solche Bemühungen nehmen seit dem christlichen Mittelalter eher zu, während Vorstellungen von festen sozialen und politischen Ordnungen, in die die Menschen von Natur aus hinein geboren sind, eher abnehmen - für Voegelin ein Prozess des Niedergangs. Daher beschäftigt sich Ordnung und Geschichte auch vornehmlich mit Antike und Christentum, jener Zeit also, in der sich umfassende Ordnungsvorstellungen noch ausbreiteten. Der erste, vom bekannten Ägyptologen Jan Assmann herausgegebene Band greift dabei auch noch vor die griechische Antike zurück. Dietmar Herz:
Dieser erste Band, der jetzt erscheint, behandelt die mesopotamischen Reiche und Ägypten, also kosmologische Ordnungen. Im Rahmen dieses Schutzraums, dieses Shelter, der durch politische Ideen geschaffen wird, ist die erste große Variante davon die kosmologische Ordnung, also eine Analogie zum Kosmos, zur Natur. Mesopotamien, das sumerische Reich, Babylon, und dann Ägypten wird als Beispiel dieser Ordnung dargestellt mit sehr interessanten Ausführungen z.B. zu Echnaton, zu Ägypten.
Für Kosmologien spiegelt die staatliche und gesellschaftliche Ordnung die Naturordnung. Der Mensch lebt zugleich eingebunden in Natur wie in die Gemeinschaft. Beide gelten daher als unveränderlich.
Die griechische Philosophie - vor allem Platon und Aristoteles - übertragen diese Ordnungsstruktur auf die Seelenkräfte des Menschen, die gleichfalls die kosmische Ordnung spiegeln: Der Mensch erlebt sich in einer großen allumfassenden, letztlich göttlich gegebenen Struktur. Peter Opitz, Schüler von Eric Voegelin und Herausgeber des Bandes über Aristoteles, bemerkt:
Seine These: Das Wesen des Staates wurzelt im Wesen des Menschen und um eine Staatslehre zu schreiben, muss zunächst einmal eine philosophische Anthropologie entwickelt werden. (. . .) im Zentrum dieser philosophischen Anthropologie stehen bestimmte existentielle Grunderfahrungen des Menschen, insbesondere die Erfahrung der Kreatürlichkeit. Seine These ist: Diese Grunderfahrungen sind mit die Stimuli, die anregenden Kräfte, die dann auch die Verfassungsentwürfe mitbestimmen.
In existentiellen Situationen der Geburt, des Leidens oder des Todes machen die Menschen religiöse Erfahrungen, was nicht ohne Folgen für die politische Ordnung bleibt. Aus diesem religiösen Horizont gewinnen politische Ideen ihre Wirkmächtigkeit. Voegelin fragt also imgrunde nach dem Verhältnis von Politik und Religion und zwar nicht gemäß der Logik der Moderne, als handele es sich um zwei grundsätzlich getrennte Bereiche. Vielmehr gehören sie im Sinne von Thomas von Aquin immer schon zusammen. Die Moderne - so Voegelin - trennt sie künstlich. Dietmar Herz stellt fest:
Seine Vorstellung von politischer Realität schließt mehr ein als eine Beschreibung politischer Zustände und deren Begründung. Es schließt zum Beispiel Transzendenz mit ein. Realität für Voegelin ist immer unter Einschluss der Transzendenz und der Transzendenzerfahrungen, die der einzelne Mensch machen kann. Das macht seine politische Philosophie sehr sehr interessant, denn er beschäftigt sich aus diesem Grund auf eine sehr originelle Weise mit geistesgeschichtlichen Entwicklungen, mit dem religiösen Charakter von politischen Bewegungen, die gerade jetzt, das ist ja auch alles sehr aktuell alles, dazu beitragen können, dass wir vielleicht manche politischen Phänomene besser verstehen.
Natürlich besitzen politische Konzeptionen wie beispielsweise der Marxismus religiöse Wurzeln - da hat Voegelin völlig Recht. Aber die Konzeption seines Hauptwerkes Ordnung und Geschichte ruht womöglich doch allzu sehr auf Vorurteilen, dass es so etwas wie feste Ordnungen in Natur, Gesellschaft und Geschichte überhaupt gibt und nicht bloß als menschliche Konstruktionen, als Hilfsmittel des Geistes, um sich zu orientieren oder um die Natur so zu strukturieren, dass man sie beherrschen kann. Und gerade die Geschichtsphilosophie musste sich seit langem vorhalten lassen, dass sie die Geschichte doch bestenfalls rekonstruiert. Geschichtsphilosophie war eine Waffe im Zeitalter der Ideologien. Heute interessiert sich dafür kaum noch jemand. Voegelin, der den Ideologien widerstreiten wollte, könnte sich just mit seiner Geschichtsphilosophie in deren Netzen verfangen haben.