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Organe im Labor
Mini-Darm erlaubt Test von Mukoviszidose-Medikamenten

Immer wieder schwärmen Stammzellenforscher davon, ganze Organe im Labor herzustellen. Auf dem Weg dorthin haben sie zumindest inzwischen allerlei Mini-Organe im Labor geschaffen. Nun erobern die ersten davon die klinische Praxis. Ein gezüchteter Mini-Darm wurde jetzt erfolgreich bei der Therapie eingesetzt. Mukoviszidose-Patienten sollen davon profitieren.

Von Michael Lange |
    Ein an Mukoviszidose erkranktes Mädchen inhaliert mit Kochsalz versetzte Dämpfe.
    Ein an Mukoviszidose erkranktes Mädchen inhaliert mit Kochsalz versetzte Dämpfe. Indem Medikamente an aus eigenen Stammzellen gezüchteten Organoiden getestet werden, könnte eine individuelle Medikation noch vor der Medikamentengabe abgestimmt werden (picture alliance / dpa)
    Der Darm des Menschen wird etwa acht Meter lang und füllt einen großen Teil des Bauchraums. Aber es geht auch deutlich kleiner. Das demonstriert der Mini-Darm, den Hans Clevers am Hubrecht-Instituut in den Niederlanden in einer Gewebekultur-Schale züchtet:
    "Das sind runde, geschlossene Strukturen mit Ausstülpungen. Wir fügen mehrere davon zusammen, und es entsteht eine Röhre mit einer Länge von bis zu zwei Zentimetern."
    Das Team um Hans Clevers entnahm adulte Stammzellen aus dem Innern des Darms. In der Natur sorgen sie dafür, dass die Zellschicht, die den Darm wie eine Tapete innen auskleidet, alle vier Tage erneuert wird. Diese Darm-Stammzellen entwickelten sich im Labor zu Mini-Organen, so genannten Organoiden.
    Zunächst gelang es bei gesunden Personen - und dann bei Patienten, die an der vererbten Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leiden. Bei den Betroffenen ist ein Ionenkanal in der Hülle der Zellen defekt. Der Wasser- und der Salztransport sind dadurch gestört. Mit der Zeit sammelt sich zäher Schleim an, in der Lunge, aber auch im Darm.
    Am Mini-Darm testen, ob Mukoviszidose-Medikament individuell wirkt
    Inzwischen gibt es ein wirksames Medikament mit dem Wirkstoff Ivacaftor. Marktname: Kalydeco. Er hilft einigen Mukoviszidose-Patienten, aber nicht allen. Hans Clevers:
    "Das sind fantastische Medikamente, die den defekten Ionen-Kanal wieder aktivieren. Der zähe Schleim wird flüssiger. Allerdings ist dieses Medikament sehr teuer. Und bisher ließ sich nicht vorhersagen, welcher Patient darauf anspricht."
    Das Darm-Organoid erlaubt nun eine Vorhersage. Dazu müssen Stammzellen aus dem Patienten-Darm entnommen werden, um dann daraus einen persönlichen Mini-Darm zu züchten. An dem wird dann das Medikament getestet, bevor der Patient es erhält:
    "Wenn das Medikament in der Petrischale funktioniert, und der Mini-Darm als Stellvertreter des Patienten darauf anspricht, kann der Patient behandelt werden. Und bislang wirkte das Medikament dann auch tatsächlich in hundert Prozent der Fälle."
    Nicht mehr der Patient ist das Versuchskaninchen, sondern sein Mini-Darm in der Zellkultur. Nebenwirkungen lassen sich vermeiden. Und die Krankenkassen sparen Geld, schwärmt Hans Clevers.
    In Zukunft Chemotherapie an im Labor gezüchtetem Tumorgewebe erproben
    Das ist der erste praktische Einsatz eines Organoids aus Stammzellen in der Medizin. In Zukunft sollen auch Krebspatienten auf ähnliche Weise von Tests in der Zellkultur profitieren. Eine Chemotherapie wird dann zunächst an Tumorzellen des Patienten im Labor getestet. Erst danach fällen Ärzte die Entscheidung, ob und welche Chemotherapie dem Patienten empfohlen wird:
    "Etwas Tumorgewebe wird entnommen. Und daran werden verschiedene Wirkstoffe getestet. Nach zwei bis vier Wochen steht fest, welches Medikament das Beste für den Patienten ist."
    Das Ziel ist klar: Krebspatienten sollen Medikamente erhalten, die ihnen auch wirklich helfen. Bislang ist das keinesfalls gesichert. Und insbesondere bei Krebs leiden Patienten nicht selten unter Nebenwirkungen, die nicht nötig wären.