Das Attentat auf den in den Niederlanden prominenten Journalisten Peter R. de Vries geht mutmaßlich auf das Konto der Organisierten Kriminalität im Land. Die Gefahr, die von diesen Rauschgiftbanden ausgeht, vergleichen die Fachleute bei der europäischen Polizeibehörde Europol in ihren jüngsten Berichten mit denen des Terrorismus. Die Niederlande drohten zum "Narco-Staat" zu werden. Annette Birschel berichtet für die Nachrichtenagentur dpa aus Amsterdam erklärte im Dlf-Interview, die Niederlande seien vor allem wegen des Hafens Rotterdam und des gut ausgebauten Transportnetzes eine Drogendrehscheibe in Europa.
Andreas Noll: Frau Birschel, wie reagiert die niederländische Gesellschaft auf die Nachricht des Todes von Peter R. de Fries?
Annette Birschel: Ganz ähnlich, bestürzt, sehr persönlich auch, genau wie Ministerpräsident Mark Rutte, Trauer. Wenn man sich anguckt, hier in Amsterdam an der Stelle, wo Peter R. de Vries niedergeschossen wurde, am Tatort, da ist ein Blumensee entstanden. Und bis gestern ganz spät gingen dort Menschen lang, blieben stehen, es war wie bei einer Trauerfeier. Die Menschen waren wirklich still und hatten eine ganz persönliche Art von Trauer, denn er war doch für viele Menschen ein Symbol von Gerechtigkeit, der sich ganz persönlich für Angehörige, für Opfer einsetzt und gegen das Verbrechen gekämpft hat.
Journalisten mit Personenschutz
Noll: Was heißt der Tod von Peter R. de Vries für die niederländischen Journalisten, die über die organisierte Kriminalität recherchieren? Die Bedrohung für sie ist ja nun noch deutlicher geworden. Wollen die weiterarbeiten?
Birschel: Ja, die wollen sicherlich weiterarbeiten, aber Sie haben völlig recht, der Druck ist sehr viel größer geworden. Viele von den Kollegen, den Kriminalreportern, die haben jetzt schon bereits Personenschutz. Und das kann man festmachen, wie die Situation jetzt ist, an dem konkreten Beispiel des Fernsehmagazins, für das Peter R. de Vries ja sehr viel gearbeitet hat, "RTL Boulevard". Die haben bisher immer aus einem Studio gearbeitet mitten in Amsterdam. Die konnten drei Tage lang überhaupt nicht ausstrahlen, weil sie so stark bedroht wurden. Die senden jetzt aus einem schwer bewachten, geheimen Studio.
"Sondereingreiftruppe hat bisher noch nichts gebracht"
Noll: Es gibt in den Niederlanden seit Jahren aus Fachkreisen konkrete Forderungen an die Politik, um die organisierte Kriminalität besser bekämpfen zu können. Deutet sich nun nach dem Attentat auf Peter R. de Vries und den zahlreichen anderen Todesopfern, die es ja in der Vergangenheit schon gab, nun an, dass die Regierung jetzt konkrete Dinge in Angriff nehmen wird?
Birschel: Die Hoffnung ist groß und die Worte sind auch groß, die jetzt aus Den Haag kommen. Derzeit haben wir ja Koalitionsverhandlungen, und genau durch diesen Mordanschlag ist jetzt auch dieses Thema, Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, sicherlich ganz oben auf der Tagesordnung. Seit letztem Jahr gibt es bereits eine Sondereingreiftruppe, NIT, die mit sehr viel Geld ausgestattet wurde. Das sind Experten, die gerade die Drogenkriminalität bekämpfen sollen. Das hat aber bisher noch eigentlich überhaupt nichts gebracht. Eigentlich soll diese Einheit auch erst 2023 einsatzfähig sein. Jetzt schon kommen Befürchtungen von der Polizei und der Justiz, die sagen, ddas bringt überhaupt nichts, das ist nur eine erneute Behörde, die aber nichts tun kann, wenn es um die Bekämpfung geht – nämlich vor Ort zum Beispiel auch bei der Zollfahndung, bei der Steuerfahndung oder vor Ort in den Kommunen tatsächlich eingreifen kann.
Infrastruktur für den Drogenumschlag
Noll: Warum kann sich denn die organisierte Kriminalität in den Niederlanden bislang so gut ausbreiten und festsetzen? Fehlt es da vor allem an Personal oder ist es der politische Wille? Was sind die größten Probleme?
Birschel: Bei einem Punkt, was man ganz sicherlich sagen muss, die Niederlande sind tatsächlich die Drogendrehscheibe für Europa, das liegt nicht nur daran, dass man hier etwa lax und zu lasch umgehen würde mit der Kriminalität, sondern auch an der Infrastruktur. Der größte Hafen Europas und ein wirklich sehr gut ausgebautes Transportnetz. Auf der anderen Seite ist in den letzten Jahren systematisch gespart worden bei der Polizei, bei der Justiz. Und tatsächlich sagt die Polizei, wir haben schon auch in den Stadtvierteln, in den sozialen Brennpunkten nicht genügend Mittel, es fehlen uns die Leute, um überhaupt zu verhindern, dass junge Leute tatsächlich auch ein Reservoir sind für diese kriminellen Banden. Denn jetzt ist es so, dass junge Männer tatsächlich für ein paar Tausend Euro bereit sind, jemanden zu töten. Der mutmaßliche Täter von Peter R. de Vries ist 21 Jahre alt.
Mordanschlag könnte politische Kehrtwende einleiten
Noll: Sie haben gerade schon die Koalitionsverhandlungen erwähnt, wie sieht das aus, gibt es unterschiedliche politische Konzepte in den Parteien oder gibt es da doch einen parteiübergreifenden Konsens, was zu tun ist im Kampf gegen die organisierte Kriminalität?
Birschel: Man sieht deutlich, dass es schon einen Unterschied gab, dass natürlich die eher rechten und konservativen Parteien für Härte und für Strenge waren, die eher linken und progressiven Parteien sagten, na ja, die Statistiken sagen doch, dass wir eine immer sicherere Gesellschaft haben. Aber ich glaube, dass dieser Mordanschlag jetzt dazu geführt hat, dass bei vielen eine Kehrtwende eingetreten ist. Und ganz interessant ist jetzt eigentlich, dass von vielen Parteien jetzt auch gesagt wird, wir müssen mal gucken, was Italien eigentlich macht, wie geht Italien mit dem Organisierten Verbrechen um, eventuell müssen wir uns daran ein Beispiel nehmen.
Noll: Wie läuft denn der europäische Austausch in dieser Frage?
Birschel: Der läuft sehr gut, zumal ja auch Europol, Sie haben das vorhin schon angedeutet, in Den Haag ist. Da funktioniert die Zusammenarbeit auch sehr gut. Und jetzt gibt es natürlich noch keine konkreten Absprachen, ob tatsächlich auch gesehen wird, dass die Niederländer nach Italien fahren, nach Rom fahren, nach Neapel fahren und fragen, was macht ihr eigentlich genau, dafür gibt es noch keine konkreten Absprachen.
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