"In Ostia wird die Mafia nicht siegen!". Rund 1000 Menschen zogen erst kürzlich wieder durch die Straßen der Kleinstadt bei Rom. Auf Transparenten stand: "Ostia mafiafrei" und "Bürger gegen Bosse".
"Hier fehlt der Staat, er versagt," sagt ein Demonstrant in Ostia, "das ist rechtsfreier Raum. Die organisierte Kriminalität kontrolliert hier immer mehr. Wir fordern, dass der Staat endlich wieder präsent ist!"
Untergehakt marschiert er mit anderen Mitstreitern an vorderster Front der Demo. Nur das kleine metallene Kreuz am Revers seiner Jacke weist ihn als katholischen Priester aus. Massimo Traviglio ist einer der rund 12 Geistlichen Ostias, die, wie auf einem Transparent zu lesen ist, die "Nase voll haben vom Totschweigen der Mafia". Auch Carlo Vanzina nimmt an der Demo teil. Auch er ist katholischer Priester:
"Dieser Ort wirkt, als hätten die Politiker uns aufgegeben! Und den freigewordenen Platz haben andere eingenommen. Die organisierte Kriminalität breitet sich problemlos aus und wird für viele Bürger zum wichtigsten Ansprechpartner."
"Bürgerpflicht: Dinge beim Namen nennen"
Ostia ist eine Kleinstadt mit rund 85.000 Einwohnern. Verwaltungstechnisch gehört sie zur italienischen Hauptstadt. Ostia ist das Strandbad Roms: mit Kilometer langen Sandstränden und zahllosen Badeanstalten. Die Hotels und Restaurants sowie die Strandbäder sind die ideale Beute für die Mafia. Vor allem der Clan der Familie Spada erpresst hier Schutzgelder. Bis vor kurzem waren die Spada allmächtig: Erst die Reportagen der inzwischen unter Polizeischutz lebenden und arbeitenden Journalistin Federica Angeli haben dafür gesorgt, dass sich die Polizei des Falls Ostia und der Familie Spada annimmt. Doch obwohl es inzwischen zu Verhaftungen gekommen ist, obwohl Polizei und sogar Soldaten die wichtigsten Plätze von Ostia kontrollieren, werden Journalisten beschimpft, wenn sie in Ostia nachfragen, wie es um den Einfluss der Mafia bestellt ist - und mit wüsten Drohungen verjagt:
Das sei alltägliche Realität in Ostia, klagt Paolo Lojudice. Der 54-jährige ist Weihbischof der Kleinstadt. Und er ist einer der entschiedensten Kämpfer gegen die Mafia und ihren Einfluss:
"Wir müssen zusammen hier etwas unternehmen, sonst ändert sich gar nichts. Deshalb haben wir uns als Kirche entschieden, nicht nur zu schimpfen und darauf zu warten, dass jemand anderes etwas tut."
Bischof Lojudice kennt sich aus in Ostia. Seit vielen Jahren arbeitet er an den Stadträndern. Er weiß, wie verwahrlost viele Viertel sind: sozial, politisch und gesellschaftlich. Wenn er angesprochen wird auf die Politiker und die Parteien an, von links bis rechts, die den vernachlässigten Bewohnern immer wieder das Blaue vom Himmel versprechen, verdreht er die Augen:
"Es ist eine Bürgerpflicht, hier den Mund aufzumachen und die Dinge beim Namen zu nennen und etwas zu unternehmen. Damit unsere Stadt wieder ziviler wird."
Die Anti-Mafia Bewegung wächst
Der Weihbischof von Ostia hat mit Bürgervereinen, Anti-Mafia-Aktivisten und anderen Geistlichen ein Projekt entwickelt, das unterstützt wird auch vom gefürchteten Anti-Mafia-Ermittler Federico Cafieri de Raho und dem Geistlichen Luigi Ciotti. Ciotti, auch er wird rund um die Uhr von Bodyguards bewacht, versucht mit seiner Anti-Mafia-Organisation "Libera" seit vielen Jahren auf Sizilien den Einfluss von Clans und Bossen zu bekämpfen. In Kirchen, in Gemeinden, Schulen und an anderen öffentlichen Orten wird nun erstmals offen über die Mafia in Ostia gesprochen - allerdings immer unter Polizeischutz. Auch die investigative Anti-Mafia-Journalistin Federica Angela macht bei diesen Veranstaltungen mit:
"Wenn der Staat sich über einen längeren Zeitraum nicht um ein Viertel oder eine Stadt kümmert, übernimmt der Antistaat. Dann suchen die Bürger Hilfe beim Spada-Clan. Und dieser Clan beschafft Wohnraum und Arbeitsplätze."
Die von dem Weihbischof initiierten Veranstaltungen haben Erfolg. Langsam aber sicher kommen immer mehr Bürger von Ostia zu den Treffen.
Doch nicht alle Priester in Ostia wollen ihren Einsatz auf Aufklärungsarbeit beschränken. Franco De Nonno geht einen Schritt weiter:
"Ich habe mich vorübergehend vom Priesteramt suspendieren lassen, um politisch aktiv zu werden. Ich bleibe natürlich Geistlicher, werde aber meine Arbeit als Gemeindepfarrer bis auf weiteres nicht weiterführen, weil ich anderes tue."
Don Franco wollte eigentlich schon im vergangenen Jahr bei den Kommunalwahlen in Ostia für eine Anti-Mafia-Bürgerliste kandidieren. Doch der Druck seiner Kirche war zu groß und so zog er seine Kandidatur zurück. Das werde er nicht noch einmal tun, sagt der Geistliche:
"Für mich ist die politische Tätigkeit eine Horizonterweiterung: Wenn man Politik als Dienst am Bürger und nicht als Machtposition versteht, mache ich eigentlich nichts anderes als wenn ich 'nur' Priester bin."
Wäre am kommenden Sonntag Kommunalwahl, so die Umfragen, würde er von zirka 30 Prozent der Bürger von Ostia gewählt werden: Don Franco De Nonno, der Priester in der Politik - im Kampf gegen die Mafia.