In einer flachen Schale, gefüllt mit einer rötlichen Flüssigkeit schwimmen ein paar Krümel, nur wenige Millimeter groß. Erst unter dem Mikroskop verraten die unscheinbaren Gebilde, was in ihnen steckt.
"Also man sieht hier schön wie am Rand der Strukturen, sich Zellwülste bilden."
Die Zellen unter dem Mikroskop bilden kleine Bögen, Ringe und Ausstülpungen. Es handelt sich um Organoide, winzige heranreifende Gehirne. Julia Ladewig nennt sie "Knödel". Die Wissenschaftlerin leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn.
"Innerhalb dieser Gewebeknödel findet man tatsächlich Strukturen, die dem sich entwickelnden menschlichen Gehirn sehr ähnlich sind."
Entstanden sind die Mini-Gehirne aus Hautzellen verschiedener Spender. Daraus haben die Bonner Forscher im Labor vielseitige Stammzellen gezüchtet: IPS-Zellen, induzierte, pluripotente Stammzellen.
Versorgt mit den richtigen Signalstoffen entwickelten sich die IPS-Zellen in der Schale zu Nervenvorläuferzellen und anderen Zellen, aus denen ein menschliches Gehirn heranreifen kann.
Das Gehirn-Organoid wächst 60 bis 90 Tage in einem Brutschrank, bis es einige Millimeter groß ist.
"Da drinnen sind 37 Grad Celsius, eine bestimmte CO2-Konzentration, damit es diesen Gehirnknödeln auch gut geht."
Julia Ladewig und ihr Team haben unter anderem Zellen von Patienten mit dem Miller-Dieker-Syndrom untersucht: Eine schwere genetische Entwicklungsstörung des Gehirns. Sie führt dazu, dass das Gehirn im Embryo nicht richtig heranreifen kann. Der Hirnrinde fehlen die typischen Furchen. Kinder, die damit geboren werden, leiden unter einer starken geistigen Behinderung.
Die gleichen Prozesse, die während ihrer Embryonalentwicklung schieflaufen, ahmen die Bonner Forscher im Labor mit den Gehirn-Organoiden nach.
Forschung ohne menschliche Embryonen und ohne Tierversuche
"Wir nutzen diese frühkindlichen Entwicklungsstörungen, die aufgrund von genetischen Defekten entstehen, um die menschliche Gehirnentwicklung besser verstehen zu können. Wenn man sieht, was nicht richtig läuft, kann man eher erkennen wie es aussieht, wenn es richtig läuft."
Anders als in den üblichen Zellkulturen können die Forscher bei Organoiden Entwicklungsprozesse in drei Dimensionen beobachten. Sie sehen, wie nach und nach Gehirnstrukturen entstehen – durch Zellteilung und Zellwanderung.
"Wenn man davon ein Live-Bild sieht, ist das das wildeste Gezappel. Und diese Bewegung, die kann man tatsächlich in diesen dreidimensionalen Organoid-Strukturen nachvollziehen."
Bei den Gehirn-Organoiden der Miller-Dieker-Patienten zeigten sich erhebliche Abweichungen von der natürlichen Entwicklung. Statt sich zunächst zu teilen und dann heranzureifen, entwickelten sich die Zellen zu schnell. Die anfängliche Zellteilung und das damit verbundene Gehirnwachstum wurden übersprungen. Die übliche Anordnung der sonst dicht gepackten Zellen war gestört, erläutert Julia Ladewig.
"Was zum Beispiel in unseren Organoiden ganz einfach zu sehen war, dass die Strukturen die wir generiert haben aus Zellen von Patienten, dass die deutlich kleiner waren. Schon mit bloßem Auge konnte man das einfach erkennen, dass die nur halb so groß wurden wie die aus Zellen von Probanden, die nicht diesen genetischen Defekt tragen."
Den Forschern bieten die Gehirn-Organoide einen Einblick in die frühe Gehirnentwicklung des Menschen – ganz ohne menschliche Embryonen und ohne Tierversuche.