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Organspende
"Hoffnung existiert ganz sicher für die Patienten"

Man müsse die Effekte der vom Bundestag beschlossenen Zustimmungsregelung abwarten, sagte Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, im Dlf. Zudem müsse man nun die Chance nutzen, um "tatsächlich die breite Masse der Bevölkerung" zu einer Entscheidung zu bewegen.

Axel Rahmel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Organspendeausweis in einem Portemonnaie mit Bundesadler
"Die gute Nachricht des Tages ist, dass sich die Abgeordneten durch die Bank hinweg hinter das Thema Organspende gestellt haben", sagte Axel Rahmel von der Stiftung Organtransplantation im Dlf (dpa/picture alliance/Bildagentur-online)
Dirk-Oliver Heckmann: Zustimmungslösung oder Widerspruchslösung? Vor dieser Alternative standen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier heute im Bundestag bei der Debatte über die Zukunft der Organspende. Der sonst übliche Fraktionszwang wurde aufgehoben, weil es sich ja um eine grundsätzliche ethische Frage handelt. Erst wurde über den Gesetzentwurf von Jens Spahn und anderen abgestimmt, die Widerspruchslösung. Sie hat keine Mehrheit erzielt, im Gegensatz zum Alternativentwurf von Annalena Baerbock.
Wir können das Ergebnis diskutieren mit Axel Rahmel. Er ist Direktor der Deutschen Stiftung Organspende. Das ist die Organisation, deren Aufgabe es ist, den Organspendeprozess auch ganz praktisch zu organisieren. Schönen guten Tag, Herr Rahmel.
Axel Rahmel: Guten Tag, Herr Heckmann.
Heckmann: Die sogenannte Widerspruchslösung ist durchgefallen. Die Entscheidungslösung hat eine Mehrheit. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Rahmel: Die gute Nachricht des Tages ist - das wurde in Ihrem Bericht ja auch schon angesprochen -, dass sich die Abgeordneten durch die Bank hinweg hinter das Thema Organspende gestellt haben, dass die Zustimmung zur Organspende, die Zustimmung, dass sich alle Menschen mit dem Thema auseinandersetzen sollen, ganz breit über alle Fraktionen die Abgeordneten miteinander verbunden hat.
Ich würde natürlich flunkern, wenn ich jetzt sagen würde, gerade im Interesse der Patienten auf der Warteliste, dass ich mir nicht gewünscht hätte, dass die Widerspruchslösung, die ja einen etwas größeren Schritt, einen etwas mutigeren Schritt dargestellt hätte, wenn ich nicht gehofft hätte, dass die durchkommt.
Heckmann: Das heißt, Sie sind enttäuscht?
Rahmel: Ich glaube, beide Vorschläge haben die Chance, die Organspende zu fördern. Das werden wir auch gerade bei der jetzt verabschiedeten Regelung, die ja eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft erzielen soll, natürlich unterstützen. Ich hoffe auch, dass es uns in Deutschland gelingt, anders als in allen anderen Ländern, in denen es solche Register gibt, tatsächlich die breite Masse der Bevölkerung zu einer Entscheidung dann auch zu bewegen. Damit würde man sicherlich einen positiven Effekt erzielen. Da müssen wir jetzt alles für tun. Die Widerspruchslösung, die hätte - und das hat der Gesundheitsminister Spahn, glaube ich, ganz gut angesprochen - diesen Gedanken der Kultur der Organspende in Deutschland gefördert und hat natürlich dadurch eine große Hoffnung bedeutet für viele Patienten auf den Wartelisten, die im Vergleich in Deutschland viel, viel länger auf eine Organtransplantation warten müssen als in vielen anderen europäischen Ländern. Aber jetzt müssen wir die Chancen nutzen.
"Viel erreicht", wenn sich Bürger jetzt eine Meinung bilden
Heckmann: Aber die Gegner dieses Modells, Herr Rahmel, die haben ganz im Gegenteil argumentiert, nämlich die Widerspruchslösung hätte das Vertrauen in den ganzen Organspendeprozess untergraben. Und es wurde oft genug gesagt, sie haben argumentiert, eine Spende muss eine Spende bleiben, und es wurde natürlich auch immer wieder auf das Recht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers verwiesen, das ja auch grundgesetzlich geschützt ist, und eine Mehrheit hat sich dahinter gestellt.
Rahmel: Das ist richtig. Auf der anderen Seite gibt es ja auch Umfragen in der Bevölkerung, gerade heute Morgen im Politbarometer noch einmal präsentiert, dass fast zwei Drittel der Bevölkerung jedenfalls hinter der Widerspruchslösung gestanden hätten. Insofern ist meine Sorge, dass das Vertrauen in die Organspende und die Organtransplantation dadurch untergraben worden wäre, nicht so ausgeprägt, wie es jetzt in der Debatte dargestellt wurde. Aber gut, darüber können wir jetzt eigentlich nur gemeinsam trefflich spekulieren, was wäre wenn.
Heckmann: Aber ist es nicht gut, dass eine Spende jetzt wirklich eine Spende bleibt?
Rahmel: Auf jeden Fall ist es gut, dass die Abgeordneten sich hinter das Thema Organspende gestellt haben. Dieser Vorschlag, der jetzt akzeptiert wurde, hat ja Elemente, die durchaus die Organspende in Deutschland fördern können. Die Aufklärung ist extrem wichtig, das Auffordern, eine Entscheidung zu treffen. Das hat ja auch für die Angehörigen natürlich, wenn tatsächlich diese Entscheidung getroffen wird, einen großen entlastenden Effekt. Wir haben das ja gerade Anfang der Woche berichtet, dass sehr häufig leider die Angehörigen immer noch, wenn der Tod bei einem festgestellt ist, mit der Frage der Organspende allein gelassen worden sind und dann in ihrer Unsicherheit das Problem haben, wie soll ich entscheiden.
Wenn viele Bundesbürger aufgrund dieses Gesetzesvorschlags sich jetzt dazu entscheiden, eine Meinung zu bilden, diese auch zu dokumentieren, mit ihren Angehörigen zu besprechen, dann haben wir viel erreicht.
Heckmann: Denken Sie, das wird die Folge sein?
Rahmel: Ich hoffe es sehr.
Heckmann: Sie haben gerade schon die aktuelle Umfrage angesprochen, zwei Drittel wären für die Widerspruchslösung gewesen, aber ein Drittel auch nicht. Wäre nicht die Gefahr groß gewesen, wenn das Widerspruchsmodell durchgekommen wäre, dass einfach das Vertrauen in das ganze System wirklich beschädigt worden wäre, dass viele Leute Angst bekommen hätten, und daraufhin sogar noch mehr Leute gesagt hätten, nein, nein, mit mir auf keinen Fall?
Rahmel: Da kann ich jetzt natürlich nicht auf Fakten aus Deutschland verweisen, aber Sie können ins europäische Ausland gehen. In den Ländern, in denen die Widerspruchslösung eingeführt worden ist: Wenn Sie sich in den Niederlanden anschauen, wo das Gesetz vor zwei Jahren verabschiedet worden ist, wo die Menschen sich in Registern registrieren und sich Menschen sich dann gegen die Organspende entschieden haben. Das ist aber auch absolut legitim. Es ist aber nicht so gewesen, dass es jetzt einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung im Grundsatz gegeben hat, denn wer sich hinter die Organspende stellt, für den ist, glaube ich, auch eine Widerspruchslösung eine akzeptable Lösung, weil er weiß, ich kann erstens jederzeit, jeder hätte jederzeit die Chance gehabt zu widersprechen. Und außerdem ist es so, dass ich dadurch meine Angehörigen entlaste. Aber gut, das sind jetzt "Hätte-man's"-Aktien, über die wir im Moment trefflich streiten können.
Heckmann: Aber man wäre dazu gezwungen worden, aktiv zu widersprechen, wenn man das nicht will, und das erleben viele als übergriffig.
Rahmel: Wenn Sie jetzt Umfragen anschauen, es wird sicherlich einige Menschen geben - das ist ja auch ein Schwerpunkt der Debatte gewesen -, die das so empfunden haben. Wenn Sie international das betrachten, andere Länder anschauen, dann ist dieses Argument jedenfalls in der Praxis nicht so relevant gewesen, wie das in der Argumentation im Parlament in den Vordergrund gestellt wurde.
Mehr Aufklärung sei notwendig
Heckmann: Herr Rahmel, Sie haben Anfang der Woche die aktuellen Zahlen gemeldet, was die praktischen Organspenden angeht. Darunter war auch eine Zahl, nach der die Zahl der potenziellen Spender, die von den Krankenhäusern gemeldet worden sind, im vergangenen Jahr bereits nach oben gegangen ist - als Folge möglicherweise auch der letzten Entscheidung, Beauftragte für die Transplantation an den Krankenhäusern verpflichtend einzuführen, Entscheidungen des vergangenen Jahres. Muss man nicht sagen, dass diese Stärkung dieser Strukturen ohnehin schon dazu führt, dass die Zahl der Organspenden nach oben geht?
Rahmel: Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den Sie ansprechen, und da kann man auch hier wieder nur dem Parlament danken, das im letzten Jahr auch eine sehr breite Debatte darüber geführt hat und mit großer Mehrheit genau diese strukturellen Maßnahmen unterstützt hat. Das ist ein ganz wichtiger Baustein. Niemand hat, glaube ich, die Meinung, dass sich durch die Widerspruchslösung alleine die Organspenden hätten steigern können. Das wäre nur ein zusätzlicher Baustein gewesen. Aber der allerwichtigste, der ist tatsächlich im letzten Jahr verabschiedet worden, nämlich mit der zweiten Fortschreibung des Transplantationsgesetzes, indem solche strukturellen Stärkungsmaßnahmen verabschiedet worden sind. Da setzen wir auch weiterhin drauf.
Diese Umsetzung des Gesetzes wird ja auch durch einen Initiativplan, den wir zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit leiten, in dem viele Experten eingebunden sind, unterstützt. Meine Hoffnung für die Patienten auf den Wartelisten existiert weiter, dass die Organspenden in Deutschland steigen werden - durch alle Maßnahmen, insbesondere natürlich durch den im letzten Jahr verabschiedeten Gesetzentwurf. Aber auch das, was heute in breiter Unterstützung von den Abgeordneten gesagt wurde, Unterstützung für die Organspende, diese Maßnahmen, die jetzt beschlossen worden sind, mehr Aufklärung, Dokumentation in einem Register, können doch gut ergänzend wirken. Hoffnung existiert ganz sicher für die Patienten auf den Wartelisten.
Heckmann: Ganz kurz noch zum Schluss. Haben Sie trotzdem auch die Hoffnung, dass Ihr bevorzugtes Modell der Widerspruchslösung später noch mal auf die Agenda kommt?
Rahmel: Ich glaube, jetzt ist es erst mal wichtig, die Maßnahmen, die beschlossen sind, umzusetzen und deren Effekt abzuwarten. Das sind dann Diskussionen, von denen ich hoffe, dass wir die nicht führen müssen, eine Diskussion über die Widerspruchslösung, sondern dass mit den Maßnahmen, die jetzt beschlossen worden sind, die Steigerung der Organspende erzielt wird für die Patienten auf den Wartelisten, so dass sie eine bessere Chance haben, ein besseres Leben, ein längeres Leben zu führen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.