Organspende
Der nächste Anlauf zur Widerspruchslösung

In Deutschland stehen rund 8.500 Menschen auf den Wartelisten für eine Organspende – und jeden Tag sterben zwei bis drei von ihnen, weil es nicht genug Spenderorgane gibt. Initiativen in Bundesrat und Bundestag wollen das ändern.

    Ein Großflächenplakat wirbt in Erfurt für die Organspende
    Trotz Werbe- und Informationskampagnen übersteigt die Zahl der Menschen, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, die Zahl der Organspender deutlich. (IMAGO / Karina Hessland)
    Seit langer Zeit wird in Deutschland immer wieder um die rechtlichen Rahmenbedingungen der Organspende gerungen. Der Grund: Es gibt deutlich zu wenig Spender, und Aufklärungskampagnen haben daran wenig geändert.
    Zuletzt setzte sich der Bundesrat für eine Änderung der Organspenderegeln ein, um mehr Transplantationen zu ermöglichen. Die Länderkammer beschloss im Juli 2024, einen Gesetzentwurf für die Einführung einer Widerspruchslösung in den Bundestag einzubringen.
    Hinter der Initiative standen gleich acht Bundesländer: Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Zugleich gibt es auch im Bundestag eine Gruppe von Abgeordneten verschiedener Fraktionen, die eine Widerspruchslösung anstrebt.
    Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation (DSO) zählte 2023 965 postmortale Organspender, rund 11 Prozent mehr als 2022. Gespendete Organe gab es 2.877. Hauptgrund für eine nicht realisierte Organspende ist die fehlende Zustimmung der Angehörigen
    Die Anzahl der postmortalen Organspender in Deutschland bis 2023 (statista / DSO)
    Wann darüber im Bundestag abgestimmt wird, ist noch unklar, möglicherweise im Frühjahr 2025. Ändert sich die Rechtslage wie vorgeschlagen, würde nach einer gewissen Übergangszeit jede Person nach ihrem Tod zum Organspender, wenn sie nicht zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat.

    Überblick

    Wie ist die Organspende bislang geregelt?

    Bei der Frage, ob jemand seine Organe nach seinem Tod anderen Menschen zur Verfügung stellen will, gilt in Deutschland seit 1997 eine sogenannte Zustimmungslösung. Sie wurde vor einigen Jahren modifiziert und heißt nun offiziell „Entscheidungslösung“. Dabei können einer Person nach dem Hirntod nur dann Organe entnommen werden, wenn der Betroffene zu Lebzeiten der Spende zugestimmt hat oder wenn es ein enger Angehöriger oder Bevollmächtigter akzeptiert.
    Ein Mann mit einem Opt-Ink-Tattoo für Organspender und einem Organspendeausweis.
    Ob Tattoo, Organspendeausweis oder Online-Register: Es gibt viele Möglichkeiten, seine Entscheidung für die Bereitschaft zur Organspende deutlich zu machen. (IMAGO / Funke Foto Services / Lars Heidrich)
    Die Zustimmung zu einer Organspende kann dabei etwa mit einem Organspendeausweis oder seit diesem Jahr auch mit einem Eintrag in einem Online-Register erklärt werden. Einen Organspendeausweis haben etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland. Im Online-Register, das es seit dem 18. März 2024 gibt, hatten sich bis Anfang Oktober 2024 rund 180.000 Menschen eingetragen, Tendenz steigend. In dem Register kann man auch seinen Widerspruch hinterlegen. Es ist für alle Kliniken in Deutschland einsehbar.

    Was bedeutet die Widerspruchslösung?

    Die Alternative zur Zustimmungslösung ist die „Widerspruchslösung“, die jetzt wieder vorgeschlagen wird. Dabei gilt jede volljährige und einwilligungsfähige Person grundsätzlich erst einmal als möglicher Organspender, es sei denn, er oder sie hat ausdrücklich widersprochen.
    Allein der Wille des potenziellen Spenders soll entscheidend sein: Die Angehörigen erhalten kein Entscheidungsrecht, sollen aber weiterhin befragt werden. Widerspruchslösungen gelten in den meisten Ländern in Europa. Ein Versuch, sie in Deutschland einzuführen, scheiterte zuletzt 2020 – die Mehrheit der Abgeordneten stimmte gegen diesen Vorschlag.

    Welche Argumente gibt es für und gegen die Widerspruchlösung?

    Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen, ist gegen die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland: „Ich sehe im Moment keine ausreichenden ethischen Gründe, einen so gravierenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen zu rechtfertigen", sagt sie. Zugleich gebe es aber auch wichtige ethische Gründe dafür, "sich noch einmal für die Verbesserung der jetzigen Situation einzusetzen“.
    Es sei nicht sicher, dass eine Widerspruchsregelung überhaupt zu mehr Spenderorganen führe, betont Wiesemann. England und die Niederlande hätten die Widerspruchsregelung vor fünf Jahren eingeführt - und beide Länder hätten es nicht geschafft, ihre Zahlen zu verbessern.
    Eine Widerspruchslösung ändere auch nichts an Problemen im Gesundheitswesen, sagt Wiesemann. Und etwa 25 Prozent der Pflegekräfte und knapp 20 Prozent des ärztlichen Personals hätten grundsätzlich Zweifel an der Organspende. „Wir suchen immer die Lösung an der falschen Stelle, bei den Bürgerinnen und Bürgern“, kritisiert die Medizinethikerin.

    „Es gibt keinen Zwang zur Organspende"

    Armin Grau, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages und Abgeordneter der Grünen, sieht das anders. In Umfragen spreche sich eine Mehrheit der Menschen für die Widerspruchslösung aus, betont er.
    Grau verweist auf die große Diskrepanz zwischen der Zahl der Menschen, die auf eine Organspende warten, und der Anzahl der Spenderorgane. Die Widerspruchslösung sei sicher kein Allheilmittel, so Grau - aber immerhin das Mosaiksteinchen, das in Deutschland bislang fehle, um zu höheren Spenderzahlen zu kommen.
    Mit durchschnittlichen 10,34 postmortalen Organspendern je eine Million Einwohner belegt Deutschland 2022 in einem weltweiten Ländervergleich einen Platz im Mittelfeld. Größtes Hindernis bei Organspenden ist die fehlende Zustimmung der Angehörigen.
    Anzahl postmortaler Organspender in ausgewählten Ländern weltweit 2022 (Statista / DSO )
    „Es gibt keinen Zwang zur Organspende, es gibt keine Entscheidungs- oder Befassungspflicht“, sagt Grau - doch durch die Widerspruchslösung würde eine Art Widerspruchslast eingeführt. Und das sei eine gerechtfertigte Maßnahme, da diese mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Anstieg der Spenderzahlen in den kommenden Jahren führen würde.
    Die jetzige Zustimmungslösung überfordere die im Fall eines Todes ohnehin schwer belasteten Angehörigen, sagt der Bundestagsabgeordnete. „Wir haben das große Problem mit der momentanen Zustimmungslösung, dass die Angehörigen eine Aufgabe übertragen bekommen, der sie nicht gerecht werden können.“ Die Angehörigen würden auch bei einer Widerspruchslösung einbezogen - müssten aber keine Entscheidungen mehr fällen.

    Welche weiteren Vorschläge gibt es, um die Anzahl der Organspenden zu steigern?

    Neben der Widerspruchslösung gibt es auch den Vorstoß, die Anzahl der Spenden durch eine neue Definition des Todes zu erhöhen. Dafür spricht sich die FDP-Fraktion im Bundestag aus. Demnach soll künftig auch der Herz-Kreislauf-Stillstand für eine Organentnahme reichen - bisher muss zwingend der Hirntod nachgewiesen werden.
    Nur wenige Patienten erleiden auf den Intensivstationen der Krankenhäuser einen Hirntod, die meisten sterben an Herz-Kreislauf-Versagen. In Ländern wie Großbritannien, Spanien, Niederlande, Belgien, Schweiz und USA sind Organspenden nach Herz-Kreislauf-Stillstand bereits erlaubt und führten zum Teil zu einem Anstieg der Organspenden. In Deutschland gaben Mediziner bisher oft zu bedenken, die Feststellung des Herz-Kreislauf-Todes berge ein höheres Risiko für Fehldiagnosen.

    Wie ist die Lage bei den Organspenden in Deutschland?

    Seit vielen Jahren ist die Zahl der Organspenden in Deutschland verglichen mit anderen Ländern auf einem relativ niedrigen Niveau. Derzeit gibt es etwa zehn Spender pro eine Million Einwohner. Rund 8.500 Menschen standen im Januar 2024 in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) gab es 2023 aber nur 950 postmortale Spenden. 743 Personen auf der Warteliste sind 2022 verstorben.

    Wo steht Deutschland bei der Organspende im europäischen Vergleich?

    In Europa steht Deutschland mit rund zehn Organspenden pro eine Million Einwohner ziemlich am Ende. In Spanien gibt es etwa 47 Spenden pro eine Million Einwohner. Um uns herum haben nahezu alle Länder über 20 Spenden pro eine Million Einwohner. Nur in wenigen Ländern ist die Spenderquote nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation geringer als in Deutschland - etwa in Griechenland (6,6),  in der Türkei (3,4) und in Moldau (1,2).
    2023 wurden in Belgien 31,4 postmortale Organspender je eine Million Einwohner gezählt. Damit waren die Belgier im Rahmen von Eurotransplant zuletzt das spendenfreudigste Land. Deutschland belegte mit rund 11 Organspendern den vorletzten Platz.
    Postmortale Organspender in ausgewählten europäischen Ländern bis 2023. Deutschland war Vorletzter (statista / DSO)

    Wer kann welche Organe spenden?

    Für eine Organ- und Gewebespende gibt es keine festgelegte Altersgrenze. Ob gespendete Organe und Gewebe für eine Transplantation geeignet sind, wird im Fall einer tatsächlichen Spende medizinisch geprüft. Der Organentnahme kann mit Vollendung des 16. Lebensjahres zugestimmt werden, ein Widerspruch ist bereits mit dem abgeschlossenen 14. Lebensjahr möglich. Die Organentnahme ist ausgeschlossen, wenn der Spender an Krebs erkrankt ist oder HIV-positiv getestet wurde.
    Folgende Organe können gespendet werden: Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse und Darm. Außerdem ist eine Spende der folgenden Gewebearten möglich: Horn- und Lederhaut der Augen, Herzklappen, Haut, Blutgefäße, Knochen-, Knorpel- und Weichteilgewebe sowie Gewebe aus der Bauchspeicheldrüse oder Leber.

    Spende erst nach Feststellung des Hirntods möglich

    Ein Organ kommt für eine Spende infrage, wenn beim möglichen Spender der Zustand des „Hirntods“ eingetreten ist, also das Großhirn, das Kleinhirn und der Hirnstamm ihre Funktion eingestellt haben. Bevor es zu einer Organentnahme kommt, müssen zwei unabhängige Ärzte den vollständigen und irreversiblen Ausfall des gesamten Gehirns gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer feststellen.

    kg / ahe