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Organspenden-Debatte
"Wir hätten eigentlich potenziell genug Spender"

Nach Ansicht des CSU-Gesundheitsexperten Stephan Pilsinger gibt es fachlich keinen Grund, die Widerspruchslösung einzuführen. Die Bereitschaft zur Organspende sei sehr hoch. Es fehle nur an den organisatorischen Strukturen, um diese wirklich auszuschöpfen, sagte er im Dlf.

Stephan Pilsinger im Gespräch mit Dirk Müller |
Organspendeausweis in einem Portemonnaie mit Bundesadler
Das Gesetz zur Stärkung der Organtransplantation stützt jetzt Ärzte. Sie können für Organentnahmen freigestellt werden, es gibt mehr neurologische Expertenteams und mehr Geld für Krankenhäuser. (dpa/picture alliance/Bildagentur-online)
Dirk Müller: Der CSU-Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger lehnt die Vorschläge von Jens Spahn ab. Er lehnt die doppelte Widerspruchslösung ab. Er selbst praktiziert als Arzt immer noch aktiv. Stephan Pilsinger ist nun bei uns am Telefon. Guten Tag!
Stephan Pilsinger: Guten Tag.
"Widerspruchslösung sowohl fachlich als auch ethisch falsch"
Müller: Was haben Sie dagegen, mehr Organe zur Verfügung zu stellen?
Pilsinger: Das hat zwei Gründe. Die Widerspruchslösung ist sowohl fachlich als auch ethisch falsch. Fachlich, weil Studien gezeigt haben, beispielsweise der Universität Kiel, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Widerspruchslösung und der Zahl der Organentnahmen gibt, und auch eine Studie des Wissenschaftlichen Dienstes festgestellt hat, dass in Ländern, wo die Widerspruchslösung eingeführt wurde, nicht unbedingt eine höhere Organentnahmezahl zustande gekommen ist. Beispielsweise in Schweden sind die Zahlen der Organentnahmen sogar gesunken. Und ethisch, weil ich grundsätzlich der Überzeugung bin, dass nichts sagen Ja bedeuten kann. Ich weise da nur auf die Datenschutzgrundverordnung hin. Da muss man proaktiv zustimmen und bei den eigenen Organen soll das nicht der Fall sein. Und ich habe auch ein ganz großes Problem damit, wenn es darum geht, dass Menschen sich oft mit ihrem Lebensende nicht befassen können, teilweise aus psychischen und teilweise aus intellektuellen oder sozialen Problemen, und diese Menschen werden nun so indirekt zu einem Ersatzteillager gemacht. Das finde ich ethisch falsch und deswegen lehne ich die Widerspruchslösung ab.
"Zu wenig Neurologen, die den Hirntod feststellen"
Müller: Herr Pilsinger, bevor wir inhaltlich weiterreden, möchte ich Sie bitten, vielleicht noch etwas näher an Ihr Telefon zu gehen, an Ihr Handy, vielleicht ein, zwei Schritte zur Seite, weil wir haben eine relativ schlechte Verbindung zu Ihnen, machen jetzt aber vorerst mal weiter. Sie haben gesagt, die fachliche Komponente, die ethische. Fangen wir mit der Fachlichen an, beziehungsweise machen wir dort weiter. Ich verstehe Ihre Argumentation nicht ganz genau. Wenn wir das heute Morgen richtig recherchiert haben, sind 80 Prozent der Bundesbürger bereit, zu spenden, aber nur 30 tun es, weil viele offenbar da zu phlegmatisch sind, es vergessen, wie auch immer, oder es nicht für notwendig halten. Wie wollen Sie denn diese Diskrepanz in den Griff bekommen?
Pilsinger: Es gibt ja ganz genaue Studien, die erforscht haben, warum es so wenig Organentnahmen gibt. Wir haben herausgefunden – das hat die Universität Kiel auch in einer Studie festgestellt -, dass es in den Krankenhäusern massive Mängel gibt, beispielsweise wenn es zu wenig Neurologen gibt, die den Hirntod feststellen, wenn die Krankenhäuser Defizite machen, oder wenn es aus Personalmangel für die Ärzte nicht möglich ist, sich um die Organentnahmen zu kümmern. Deswegen gibt es zu wenig Organentnahmen. Das sagen auch alle Experten. Deswegen gibt es fachlich überhaupt gar keinen Grund, die Widerspruchslösung einzuführen.
"Nicht rückschliessen, Widerspruchslösung bringt mehr Organe"
Müller: Wir haben zu wenig Ärzte? Wir haben zu wenig Kompetenz, das überhaupt durchzuführen?
Pilsinger: Wir haben zu wenige Neurologen, die den Hirntod feststellen können. Wir haben zu wenig Ärzte, die dafür freigestellt sind in diesem Bereich. Deswegen haben wir auch ein Gesetz auf den Weg gebracht: das Gesetz zur Stärkung der Organspende. In dem wurden diese ganzen fachlichen und organisatorischen Probleme in den Kliniken behoben. Deswegen, man muss klar sagen: Auch die Zahl der Organspendeausweise ist in den letzten Jahren nach oben gegangen, aber die Zahl der Organentnahmen ist zurückgegangen. Deswegen kann man nicht den Rückschluss ziehen, die Widerspruchslösung bringt mehr Organe. Das ist so nicht der Fall und das kann auch kein Experte bestätigen.
"Zahlen der Organentnahmen leider zurückgegangen"
Müller: Darf ich da noch mal ganz kurz einhaken? Wir haben heute Morgen die Zahl gefunden: 800 Organe sind in diesem Jahr in Deutschland gespendet worden. Das waren einmal mehr, 1200, 1300 in den vergangenen Jahren. Ist das tatsächlich so, dass das immer weiter nach unten geht?
Pilsinger: Die Zahlen der Organentnahmen sind leider zurückgegangen. In den letzten Jahren, so habe ich es mitbekommen, sind sie wieder etwas gestiegen. Wie gesagt, deswegen haben wir auch vor einigen Wochen dieses Gesetz zur Stärkung der Organtransplantation auf den Weg gebracht. Das ist unheimlich fachlich wichtig, weil dadurch dafür gesorgt wird, dass jetzt Ärzte ab einer gewissen Größe für die Organentnahmen freigestellt sind, dass es mehr Geld für die Krankenhäuser gibt und dass es auch neurologische Expertenteams gibt, die sich um die Sache kümmern. Dieses Gesetz wird jetzt ab dem 1. April, ab heute in Kraft treten, und ich glaube, dass dies zu einer massiven Stärkung der Organentnahmen in Deutschland führt.
Erfolg "liegt nur an organisatorischen Strukturen"
Müller: Weiß das denn der Gesundheitsminister nicht, dass es letztendlich an der Fachkompetenz, an den Ressourcen in den Krankenhäusern liegt, dass nicht genügend Organe entnommen werden können?
Pilsinger: Wir haben den Gesundheitsminister schon mehrfach auf diesen Punkt hingewiesen und haben ihm auch gesagt, Herr Spahn, legen Sie doch mal bitte eine Studie vor, die belegt, dass jetzt Ihre Widerspruchslösung einen Erfolg bringt. Auf diese Sache hat er bisher nicht geantwortet und ich finde es einfach sehr sinnlos, etwas auf den Weg zu bringen, was man fachlich durch Studien überhaupt nicht belegen kann. Eine Kommission des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages war auch in Spanien, wo die Zahlen ja nachweislich gut sind, und hat dort die Ärzte gefragt, woran liegt es jetzt. Die haben gesagt, es liegt nur an organisatorischen Strukturen, warum wir erfolgreich sind, nicht an der Widerspruchslösung, die in Spanien praktiziert wird. Deswegen sind auch viele Kollegen einfach auf den Gedanken gekommen zu sagen, wenn die Widerspruchslösung nicht mehr Organe bringt, warum sollen wir sie denn einführen.
Müller: Aber würden Sie jetzt so weit gehen zu sagen, im Grunde haben wir genügend Organspender, aber wir können es nicht umsetzen?
Pilsinger: Ich würde sagen, wir haben eigentlich genug Potenzial, um Organe zu entnehmen, aber wir haben momentan einfach die organisatorischen Strukturen nicht gehabt, um die Organentnahme wirklich durchzuführen.
"Potenziell genug Spender, auch genug Bereitschaft"
Müller: Mit Potenzial meinen Sie die Spender?
Pilsinger: Ja. Wir hätten eigentlich potenziell genug Spender und wir hätten auch genug Bereitschaft. Aber wir haben nicht die organisatorischen Strukturen gehabt, um das auch wirklich auszuschöpfen.
Müller: Das heißt, auf der Spenderseite brauchen wir nichts mehr zu unternehmen nach Ihrer Sicht?
Pilsinger: Nein, nein! Die Mehrzahl der Bevölkerung sagt, sie sind bereit, Organspender zu sein, aber viele haben sich nicht erklärt und deswegen haben wir ja auch einen Vorschlag auf den Weg gebracht, Annalena Baerbock, ich und auch andere, und haben gesagt, lasst doch alle bei der Verlängerung des Personalausweises befragen, ob sie Organspender sein wollen oder nicht. Das ist, glaube ich, der richtige Weg. Ich habe in der Palliativmedizin eine Zeit lang gearbeitet. Da ging es oft um die lebensverlängernden Maßnahmen. Viele Angehörige haben sich sehr schwergetan mit der Entscheidung, lebensverlängernde Maßnahmen ja oder nein, und mit der Organspende wird es auch dasselbe sein bei der Widerspruchslösung. Aktuell muss ich bei der Entscheidungslösung fragen, darf ich die Organe von Ihren Angehörigen entnehmen, und bei der Widerspruchslösung doppelter Art, bei der doppelten Widerspruchslösung muss ich sagen, darf ich die Organe nicht entnehmen. Menschen in einer Extremsituation, beispielsweise nach einem Autounfall, mit so einer Frage zu konfrontieren, das finde ich falsch. Deswegen bin ich der Meinung, dass Menschen zu Lebzeiten das selbstbestimmt entscheiden sollen, nämlich dann kommt es auch dazu, dass viele Angehörige viel besser damit ihren Frieden finden können und die Organspende auch eine ganz andere Akzeptanz in der Bevölkerung hat.
"Der wahre Schlüssel zu mehr Organen"
Müller: Herr Pilsinger, was ich jetzt nicht verstehe, ist der organisatorische Aufwand, der jedem durch diese Vorschläge von Jens Spahn auferlegt werden soll. Das heißt, einfach nur schreiben, ich möchte das nicht machen, und wenn ich das nicht schreibe, dann bin ich quasi mit im Boot. Jetzt sagen Sie grundsätzlich, das Potenzial und auch die Spenderzahl ist groß genug. Wir haben diese organisatorischen, logistischen Probleme bei der Umsetzung. Und jetzt sagen Sie aber trotzdem, im Grunde muss man sich oder sollte sich der Spender dazu bekennen, wenn er den Personalausweis verlängert. Ich habe das jetzt vergessen, wie oft ich das in meinem Leben machen muss. Aber vielleicht ist mein Organ potenziell wichtig und dann warten wir aber jetzt noch sieben, acht, neun, zehn Jahre, wie Sie gerade sagen, bis der Personalausweis verlängert wird. Was ist das für eine Politik?
Pilsinger: Man muss schon sagen, der wahre Schlüssel zu mehr Organen läuft über die Strukturen und die Organisation in den Krankenhäusern. Dieses Problem haben wir behoben und dieses Gesetz tritt zum 1. April in Kraft und das wurde von allen Fachleuten sehr gelobt. Der erste Schritt ist getan.
Der zweite Punkt ist: Wir wollen die Menschen befragen, weil es ethisch richtig ist, dass man selbstbestimmt über seine Organe entscheiden kann.
Ich werfe jetzt nur in den Raum: Was ist mit den Menschen, die psychisch nicht in der Lage sehen, sich zu entscheiden? Immer mehr Menschen haben psychische Probleme und ich meine damit nicht die Menschen, die einen Vormund brauchen, sondern viele Menschen, die einfach sich mit ihrem Lebensende nicht befassen können, oder die aus sozialen und intellektuellen Gründen einfach keine Entscheidung treffen können. Diese Menschen sind dann unser Ersatzteillager? – Auch aus dem Grund sage ich ganz deutlich: Das kann nicht sein, dass es zu so einer Regelung in Deutschland kommt. Die Menschen müssen selbstbestimmt entscheiden und deswegen wollen wir eine Befragung sowohl bei den Ärzten, beispielsweise beim Hausarzt, als auch bei der Verlängerung des Personalausweises. Das ist eine richtige Herangehensweise an die Sache. Das andere ist für diese Menschen, für diese Personengruppe eine indirekte Organabgabepflicht und das finde ich falsch.
Müller: Bei uns live im Deutschlandfunk der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag. Und Entschuldigung für die etwas wackelige und brüchige Leitung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.