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Organspenden
Für den Tod fehlen Zeit und Raum

Gesundheitsminister Jens Spahn möchte die Zahl der Organspenden erhöhen. Ob die Bereitschaft steigt, hängt aber wohl weniger vom Kreuzchen auf dem Ausweis ab als von der konkreten Situation in der Klinik. Denn Ärzte und Angehörige sind bisher auf die schwierigen Abwägungen kaum vorbereitet.

Von Burkhard Schäfers |
    Operationsbesteck während eines chirurgischen Eingriffs.
    Operationsbesteck wird für eine Organtransplantation vorbereitet. (picture alliance / dpa / Jan-Peter Kasper)
    'Ich gestatte, dass nach der ärztlichen Feststellung meines Todes meinem Körper Organe und Gewebe entnommen werden.' Mit einem Kreuz und einer Unterschrift auf dem Organspende-Ausweis kann sich jeder ab 16 Jahren dazu bereit erklären. Theoretisch. In der Praxis hingegen liegt Deutschland, was die Bereitschaft zur Spende von Herz, Lunge oder Niere angeht, im internationalen Vergleich weit hinten.
    "Das ist eine Katastrophe, vor allem natürlich für die Patienten, die auf eine lebensrettende Transplantation warten und die jeden Tag daheim sitzen und hoffen, dass endlich der erlösende Anruf kommt", sagt Bruno Meiser.
    Er ist Präsident der Stiftung Eurotransplant und Leiter des Transplantationszentrums der Münchner Uniklinik. Aus seiner Sicht ist der Rückgang der Organspenden seit dem Jahr 2010 beispiellos. Der Professor sieht vor allem systemische Ursachen:
    "Der Grund dafür ist meiner Meinung nach, dass insgesamt dieses System in Deutschland zu viele Hürden aufbaut, und dass es keine Motivationsanreize für die Kliniken gibt, sondern eher Hürden, um die Toten zu identifizieren und dann diesen ganzen Prozess einzuleiten."
    "Der Tote blockiert ein Intensivbett"
    Was der Transplantations-Chirurg sagt, klingt unglaublich: Etliche Kliniken würden den Aufwand einer Transplantation lieber vermeiden - und deswegen gar nicht jeden möglichen Spender an die Deutsche Stiftung Organtransplantation melden, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Die DSO organisiert die Zusammenarbeit der Krankenhäuser und Transplantationszentren. Dafür müssen Kliniken den ersten Schritt gehen und eine mögliche Organentnahme in die Wege leiten.
    Bruno Meiser sagt: "Ich bin der Überzeugung, dass aber viele Kliniken das überhaupt nicht tun. Wozu haben wir ein Gesetz, wenn es nicht umgesetzt wird? Man müsste überprüfen: Machen das die Kliniken? Und wenn sie es nicht machen, müsste man das gegebenenfalls sanktionieren, etwa indem man gewisse Budgetanteile der Kliniken reduziert."
    Aus Sicht des Krankenhauses ist eine Organentnahme aufwändig. Der Betreffende muss für die gesamte Prozedur etwa zwei Tage und Nächte künstlich am Leben gehalten werden, erklärt Meiser:
    "In dieser Zeit blockiert der Tote, der ja eigentlich - wenn er kein Organspender wäre - längst vom Beerdigungsinstitut abgeholt worden wäre, ein Intensivbett. Er muss weiter beatmet werden, die Temperatur muss reguliert werden - das ist ja bei einem Toten alles ausgefallen. Es müssen Personal, Instrumente und der OP bereitgehalten werden. Und all das wird insgesamt mit einem Pauschalbetrag von maximal 4700 Euro vergütet."
    In vielen kleineren Kliniken fehlen Fachärzte, die zu zweit den Hirntod zweifelsfrei feststellen müssen. Hinzu kommt: Die vorgeschriebenen Transplantationsbeauftragten, die Klinikpersonal fortbilden und mit Angehörigen reden sollen, sind im normalen Schichtdienst und damit gar nicht immer greifbar.
    Das versteckte Curriculum der Medizin
    Eine Organentnahme sei für Ärzte und Pflegepersonal auch psychisch belastend, erläutert der Jesuit Eckhard Frick, Professor für Anthropologische Psychologie an der Münchner Hochschule für Philosophie.
    "Menschen, die unter den Belastungen der Pflege von Hirntoten leiden, auch unter den Schwierigkeiten, die sich ergeben. Dass ich mit Angehörigen sprechen muss, dass ich im Team darüber sprechen muss. All diese Tätigkeiten und Haltungen bedeuten einen Mehraufwand, der in menschlicher, organisatorischer und finanzieller Hinsicht geschultert werden muss."
    Gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern hat der Psychologe untersucht, wie Behandlungsteams zum Thema Organspende stehen. Eine Erkenntnis der Studie:
    "Dass es doch ein Bedürfnis gibt der Mitarbeitenden, sich darüber Gedanken zu machen, nicht nur zu funktionieren. Einen Moment inne zu halten: Was bedeutet das? Wie ist unser Kontakt zum Patienten und dann zum Hirntoten? Es ist eine Aufgabe des Behandlungsteams, diese Toten mit Respekt zu behandeln. Daraus lässt sich etwas lernen für den Bereich der Transplantationsmedizin."
    Das Klinikpersonal steht in einem Spannungsfeld: Was in Krankenhäusern zählt, sind lebende Menschen. Für einen reflektierten Umgang mit dem Tod sei oftmals weder Zeit noch Raum, sagt Eckhard Frick. Würden sich Behandlungsteams jedoch bewusst mit den oftmals tabuisierten letzten Fragen auseinandersetzen, könnte dies die Bereitschaft erhöhen, sich auf mehr Organspenden einzulassen, vermutet der Psychologe.
    "Michael Balboni, ein US-amerikanischer Kollege, spricht vom hidden curriculum der Medizin. Da gibt es etwas Verborgenes, worüber nicht geredet wird, und dazu gehört eben die eigene religiöse, spirituelle Einstellung. Die bringt ja viele Menschen dazu, diesen Beruf zu ergreifen. Es wird geradezu ängstlich vermieden, über diese Motivationen zu reden. Oder es wird in hoher Weise privatisiert, weil wir keine Sprache haben, weil es zu wenig gelehrt wird - und dadurch machen wir uns das Leben teilweise unnötig schwer."
    Debatte über das Hirntod-Kriterium
    Das gilt auch für Gespräche mit Hinterbliebenen, die meist ganz plötzlich einen Angehörigen verlieren und nun über die Organentnahme entscheiden sollen. Die Voraussetzung für eine Transplantation ist der Hirntod des Patienten - aber dieser Begriff gilt unter Fachleuten als missverständlich. Schließlich wird der Betroffene durch Maschinen künstlich am Leben gehalten, um die Organe zu retten. Dadurch ist er durchblutet, das Herz schlägt, er atmet. Für die Angehörigen ist schwer verständlich, dass dieser Mensch tot sein soll. Wenn auch umstritten, so gilt der Hirntod dennoch fast allen Medizinern als eindeutiges inneres Zeichen.
    Eckhard Frick sagt: "Das ist ganz schwer zu akzeptieren, widerspricht unserer unmittelbaren Wahrnehmung, führt ja deshalb auch zu großen philosophischen und gesellschaftlichen Meinungsverschiedenheiten. In der Begleitung der Angehörigen und auch in der Selbstwahrnehmung des Behandlungsteams ist das nicht einfach. Darauf sind wir in keiner Weise vorbereitet, damit auch rituell umzugehen."
    Eckhard Frick fordert, die Debatte um das Hirntod-Kriterium offen zu führen. Auch gehöre die Frage stärker in die Öffentlichkeit, in welcher Reihenfolge gespendete Organe an Kranke verteilt werden. Schließlich mag der vor einigen Jahren bekannt gewordene Transplantations-Skandal immer noch manche von einer Organspende abhalten. Zudem setzen sich Transplantationsmediziner für die sogenannte Widerspruchslösung ein. Bislang muss man in Deutschland einer Organspende aktiv zustimmen. In den meisten anderen europäischen Ländern indes kommt jeder als Spender in Frage - es sei denn, er widerspricht zu Lebzeiten.
    So könne Deutschland mit verschiedenen Hebeln zu mehr Organspenden kommen, hofft Eurotransplant-Präsident Bruno Meiser:
    "Dazu ist meiner Meinung nach unbedingt eine nationale Initiative notwendig. Die muss von ganz oben kommen, vom Bundesgesundheitsministerium. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum es bei uns so wenig Organspender gibt und in Österreich und Belgien doppelt und in Kroatien dreimal so viele. Also warum soll das bei uns nicht funktionieren."
    Klar ist: Formale Änderungen sind zu wenig. Nicht nur die Politik ist am Zug, auch die Kliniken müssen ihren Umgang mit letzten Fragen klären.