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Organzüchtung
"Aus Gründen des Tierschutzes sehr bedenklich"

Die Versuche japanischer Forscher, Mischwesen aus Mensch und Tier als Organspender zu züchten, machten die Tiere zu "Organersatzteillagern" des Menschen, sagte Ethiker Axel W. Bauer im Dlf. Für jeden einzelnen Patienten, der etwa ein Herz benötige, müsste immer auch ein Tier getötet werden.

Axel W. Bauer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Eine Labormaus sitzt auf der behandschuhten Hand einer Wissenschaftlerin.
"Wenn wir sagen, die Tiere sollen uns als Ersatzteillager dienen, das sagt etwas über das Verhältnis von Mensch und Tier aus", sagte der Ethiker Axel W. Bauer im Dlf (imago stock&people)
Dirk-Oliver Heckmann: Auch hierzulande gibt es ja seit Jahrzehnten zu wenige Menschen, im Fallen ihres Ablebens ihre Organe zur Verfügung stellen. Tausende schwer- oder todkranke Menschen stehen deshalb auf einer Warteliste, oft vergeblich. Da könnte eine Methode in Zukunft Abhilfe schaffen, an der Forscher in Japan jetzt arbeiten. Ihnen nämlich wurde erstmals erlaubt, menschliche Organe zu züchten – und zwar in Tieren. Das war eine Meldung, die in den letzten Tagen für viel Diskussion sorgte und die wir hier vertiefen wollen mit Axel W. Bauer, er ist Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der medizinischen Fakultät Mannheim der Universitätsklinik Heidelberg. Er war außerdem Mitglied des Deutschen Ethikrats bis 2012 und hat eine Stellungnahme zu Mensch-Tier-Mischwesen dort mitverfasst. Schönen guten Morgen, Herr Professor Bauer!
Axel W. Bauer: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Bauer, das Thema hat ja viele Aspekte, lassen Sie uns das vielleicht Punkt für Punkt angehen. Kritiker lehnen die Methode ja ab, weil sie befürchten, dass Mischwesen zwischen Mensch und Tier entstehen könnten, dass Tiere auf lange Sicht sogar ein Bewusstsein entwickeln könnten, denken könnten wie Menschen.
Bauer: Dieser Einwand ist im konkreten Fall, so wie ich das einschätze, ohne dass ich nun diese Forschung ins letzte Detail durchschaue, wahrscheinlich nicht gerechtfertigt. Es ist nicht anzunehmen, dass diese Chimären, also diese Mischwesen, aus beispielsweise Mäusen, in die man induzierte pluripotente Stammzellen von Menschen eingegeben hat, damit die dort Bauchspeicheldrüsengewebe bilden sollen, dass diese embryonalen Mäuse etwa auch ein umgestaltetes Gehirn bekommen und anfangen würden, wie Menschen zu denken, also diese Vorstellungen sind wahrscheinlich nicht realistisch. Wir haben das ja auch damals in der Ethikratsstellungnahme zu den Mischwesen sehr deutlich herausgestellt, dass man aber bei Experimenten mit großer Eingriffstiefe – das wäre der Fall, wenn man menschliche Zellen in einen tierischen Embryo einbringt –, sehr genau abwägen muss, wie Nutzen und Schaden hier sich darstellen werden.
"Haben auf der anderen Seite auch große Ähnlichkeit mit den Tieren"
Heckmann: Wann ist denn ein Tier ein Tier und wann ist ein Mensch ein Mensch?
Bauer: Das ist die schwierige Frage, die wir uns auch damals gestellt haben, was zeichnet den Menschen vom Tier aus? Wir sprechen ja immer auch von der besonderen Würde des Menschen, die man festgemacht hat an seiner Gottebenbildlichkeit, an seiner Vernunftfähigkeit, an den bürgerlichen Rechten, die er hat. Also, letzten Endes wird dabei sehr viel Wert gelegt auf die Funktionalität des menschlichen Gehirns, in dem wir ja doch in der Regel den Sitz des Geistes verorten. Aber wir haben auf der anderen Seite auch große Ähnlichkeit mit den Tieren, biologische Ähnlichkeit. Und wir haben damals in der Ethikratsstellungnahme auf eine alte aristotelische Idee zurückgegriffen, der vier Gründe unterschieden hat, wann jemand mit sich identisch ist, nämlich Materie, Form, Entstehungsweise und Funktionalität beziehungsweise Bestimmung. Und gerade in Materie und Form sind wir natürlich den Tieren sehr ähnlich – und deswegen gibt es ja dann auch die Probleme mit den sogenannten Mischwesen, die ja schon ein Teil der antiken Mythologie sind. Denken Sie nur an die klassische Chimäre, der Nixe, die oben ein Mensch und im Unterleib ein Fisch ist. Diese Vorstellung verbinden wir mit Chimären, weil uns die Tiere eben biologisch sehr nahe sind, besteht die Möglichkeit, dass Mischwesen entstehen – und das ist uns eine intuitiv sehr unsympathische Vorstellung, ganz unabhängig von ethischen Fragen.
Heckmann: Jetzt sagen Sie, bei diesem Experiment, das geplant ist in Japan, da ist die Gefahr nicht so groß, dass ein Mischwesen zwischen Mensch und Tier entstehen könnte. Ist das Verfahren also ethisch unbedenklich aus Ihrer Sicht?
Bauer: Das ist es sicherlich nicht, vor allem – aus meiner Sicht – aus langfristigen Gründen des Tierschutzes. Was wird gemacht? Soweit ich das verstanden habe, werden menschliche Zellen, also induzierte pluripotente Stammzellen in einen Embryo eingebracht, der zum Beispiel von Natur aus nicht in der Lage ist, ein bestimmtes Organ, etwa die Bauchspeicheldrüse, zu bilden, in der Hoffnung, dass nun eine Maus entsteht oder später vielleicht auch ein Schwein, in dem dann ein menschliches Pankreas, also eine menschliche Bauchspeicheldrüse vorhanden ist, die man gegebenenfalls transplantieren könnte. Das wird sicher 20, 30 Jahre dauern, bis das so weit ist, aber das Ziel ist eben, dieses Mischwesen dann zu töten vor der Geburt, um zu untersuchen, ob tatsächlich nur dieses eine Organ menschlichen Ursprungs ist oder ob die menschlichen Zellen auch in andere Organe eingewachsen sind. Also letzten Endes wird das Tier auf lange Sicht, wenn wir einmal annehmen, diese Forschungen führten zu einem positiven Ergebnis, vom Menschen instrumentalisiert als Organersatzteillager. Und man muss vielleicht hier auch noch sehen: Würde das gelingen, müsste man ja für jeden einzelnen Patienten, der etwa ein Herz benötigt oder eine Leber, dessen Zellen verwenden, damit ein Tier ein Organ für ihn produziert, dass dann das Tier getötet wird. Und das wäre natürlich aus Gründen des Tierschutzes sehr bedenklich.
Heckmann: Jetzt sagt aber Ihre Kollegin, Herr Bauer, wenn ich kurz einhaken darf, Ihre Kollegin, die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats Frau Woopen, die hat hier im Deutschlandfunk gesagt, wenn man sich klarmacht, was der Mensch alles mit Tieren macht, sie werden als Nahrung genutzt und als Versuchskaninchen für die medizinische Forschung, weshalb dann das nicht. Diese Frage könnte man stellen mit Fug und Recht.
Bauer: Das hat Frau Woopen sicherlich nicht zu Unrecht gesagt, tatsächlich verwenden wir die Tiere zu allerlei Zwecken, auch zu Nahrungszwecken. Hier würden sie aber noch nicht einmal für längere Zeit leben können, sondern würden direkt nach der Geburt getötet. Das ganze Problem muss man vielleicht auch etwas umfassender sehen. Die Menschen sind ja immer noch, stehen unter dem Wort, macht euch die Erde Untertan, und dazu gehört auch die Ausnutzung der natürlichen Ressourcen, einschließlich der Tiere. Wir sind jetzt gerade an einem Punkt, an dem wir Fragen des möglichen Klimawandels, Fragen des Umweltschutzes diskutieren – und auch diskutieren, ob wir uns nicht etwas mehr bescheiden verhalten müssten und die dem Menschen doch eigene Maßlosigkeit zurückführen müssten. Gerade nun aber auf dem Gebiet der Medizin scheint es hier eine Ausnahme zu geben, in der Medizin wird ein gewisses Maß offensichtlich sehr schwer gefunden. Ich empfinde das als ein bisschen widersprüchlich zu den übrigen Sektoren, in denen wir da politisch derzeit diskutieren.
"Ethisch nicht vertretbar ist natürlich ein schwieriger Terminus"
Heckmann: Widersprüchlich oder ethisch nicht vertretbar?
Bauer: Ethisch nicht vertretbar ist natürlich ein schwieriger Terminus, weil es keine einheitliche ethische Meinung gibt und auch niemals geben kann, sondern der eine hat diese, der andere hat jene Ansicht.
Heckmann: Wie ist ihre Meinung?
Bauer: Aus meiner Sicht ist natürlich dieses Thema der Organtransplantation insgesamt nicht unproblematisch, aber bleiben wir beim Thema. Würden wir zum Beispiel jetzt Tiere als Organspender nutzen, hätte das natürlich auch Folgen dafür, dass immer mehr Organe benötigt würden, denn die Frage der Indikation, wann bekommt jemand ein Organ, könnte man dann großzügiger stellen – bis hin vielleicht zu der Frage, kann nicht jeder Ältere, dessen Herz oder dessen Leber nicht mehr so gut funktioniert, dann auf ein tierisches Organ zurückgreifen mit dem Ziel eines dann annähernd ewigen Lebens. Also, wir handeln uns auch damit enorme neue Probleme ein, wenn wir sagen, wir können die Organknappheit auf diese Weise verringern oder bekämpfen.
Heckmann: Herr Bauer, der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der Theologe Peter Darbrock, der hat gesagt vor dem Hintergrund dieser Meldung aus Japan, das Verfahren diene ja dazu, menschliche Organe herzustellen und sei deswegen durchaus gerechtfertigt. Jetzt meine Frage an Sie, Herr Bauer, was sagt das denn über die Gesellschaft, wenn sich nur ein Bruchteil der Menschen als Organspender zur Verfügung stellen will im Falle des eigenen Ablebens und dann lieber darauf setzt, dass wieder Tiere ausgebeutet werden?
Bauer: Also, ich würde die Themen jetzt im Moment noch nicht so eng miteinander verbinden. Wir haben zurzeit in Deutschland eine Diskussion über die sogenannte Widerspruchslösung, und diese Forschung findet jetzt als Grundlagenforschung in Japan statt. Die Erfolge, die sich da zeigen könnten, werden erst in vielen Jahren sich manifestieren. Im Augenblick haben wir einen Organmangel, das stimmt.
Heckmann: Seit Jahrzehnten.
Bauer: Ja, ungefähr 10.000 bis 12.000 Personen werden auf den Wartelisten gemeldet, wobei man aber wissen muss, die Wartelisten sind ja keine Naturkonstante, sondern das sind Ärzte, die entscheiden, ob ihr Patient auf diese Liste kommt oder nicht. In den letzten Jahren sind sie etwas kleiner geworden nach den Organspendeskandalen. Auf jeden Fall gibt es aus meiner Sicht keine soziale und auch keine moralische Pflicht zur Organspende. Wir haben keinen Anspruch auf fremde Organe, auch dann nicht, wenn der betreffende Mensch das Pech gehabt hat, am sogenannten Hirntod beziehungsweise am irreversiblen Hirnfunktionsausfall zu leiden und in dessen Folge zu sterben. Dass die Technik seit 50 Jahren besteht, Organe zu verpflanzen, beginnend mit den Herztransplantationen 1967 – oder sogar früher noch Niere, 1957 –, sagt nicht automatisch, dass jeder Bürger verpflichtet wäre, im Falle seines sogenannten Hirntodes Organe zu spenden. Deswegen bin ich auch kein Anhänger der Widerspruchslösung, erstens aus pragmatischen Gründen, es ist nicht gesagt, dass sie positiv wirkt im Sinne der Steigerung der Organspendezahlen, und zweitens aus prinzipiellen Gründen, weil es keinen Anspruch geben kann auf die Organe fremder Menschen. Und deshalb ist die Zurückhaltung der Bürger, was nun Organspendeausweise betrifft, aus meiner Sicht moralisch nicht zu kritisieren.
Heckmann: Moralisch nicht zu kritisieren – aber sie sagt etwas über die Gesellschaft aus oder nicht?
Bauer: Wenn Sie das jetzt mit diesem Tierversuchsthema ...
"Das sagt etwas über das Verhältnis von Mensch und Tier aus"
Heckmann: Jetzt mal unabhängig davon!
Bauer: … sagt es natürlich etwas aus, wenn wir sagen, die Tiere sollen uns als Ersatzteillager dienen, das sagt etwas über das Verhältnis von Mensch und Tier aus. Aber noch mal zurück zum Thema der Organspende: Wenn jemand schwer krank ist, meinetwegen wegen einer Herz- oder Lebererkrankung, dann kann es sein, dass er an dieser Erkrankung stirbt. Es wird aber seit Jahren so getan, als würde er an der Verweigerung eines anderen Bürgers, ihm Organe zu spenden, sterben. Und dieser Kurzschluss, den halte ich für gefährlich. Wir sterben an den Krankheiten, die wir haben, und irgendwann sterben wir alle, wir sterben aber nicht daran oder wir können nicht andere Menschen beschuldigen, wir stürben ihretwegen, weil sie uns keine Organe geben.
Heckmann: Ist nachvollziehbar, trotzdem noch mal nachgefragt, was sagt das über die Gesellschaft, wenn viele Menschen zu Lebzeiten nicht bereit sind, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen und dann erst, wenn sie vielleicht schwer erkrankt sind, auf die Idee kommen, dass das eine ganz gute Idee ist?
Bauer: Da ist was dran. Ich gehöre ja auch zu denen, die auch immer zu meinen Medizinstudenten sagen, eine Entscheidung, wie auch sie aussieht, sollte derjenige persönlich treffen. Er stirbt nicht sofort, weil er einen Organspendeausweis hat. Man sollte sich entscheiden, damit schon nicht Angehörige später entscheiden müssen. Und es sollte natürlich auch so sein, wenn ich zum Beispiel eine Entnahme von Organen nicht wünsche, dass ich dann auch verzichte auf den Empfang von Organen. Also, die Solidarität muss in beide Richtungen funktionieren. Ich kann nicht sagen, ich spende keine Organe, etwa, weil ich den Hirntod nicht anerkenne, aber wenn ich selber krank bin, dann möchte ich selbstverständlich ein Organ haben. Das geht moralisch nicht, juristisch geht es in der Tat doch, denn Sie können ja auch in Zukunft einen Widerspruch einlegen, sollte die Widerspruchslösung kommen, und trotzdem im Bedarfsfall ein Organ bekommen, da gibt es ja keine Kopplung, dass jemand, der Widerspruch einlegen würde, deswegen kein Organ bekäme. Das ist allerdings eine Frage der Fairness, und hier sehe ich schon eine genuin moralische, weniger juristische Frage, dass jemand, der keine Organe spendet, auch keine bekommen sollte.
Heckmann: Könnte man womöglich ja auch so regeln. Letzte Frage, wir haben nur noch 30 Sekunden Zeit. Herr Bauer, ganz zum Schluss, wir wissen ja nicht, ob die Forscher in Japan erfolgreich sind, Hand aufs Herz, in dem Zusammenhang gesagt, würden Sie sich ein Organ einpflanzen lassen, dass in einem Tier hergestellt wurde?
Bauer: Ich würde mir ohnehin kein Organ einpflanzen lassen – und sicherlich keines von einem Tier.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.