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Original und Kopie

Die Ausgaben für Arzneimittel steigen ins Uferlose, da sind Generika hochwillkommen. Nach Ablauf eines Patentes für einen Wirkstoff bieten diese Medikamentenkopien den gleichen Effekt für weniger Geld. Schließlich enthalten sie denselben Wirkstoff und setzen ihn ebenso schnell und effektiv frei wie das Original. Dennoch kann es wichtige Unterschiede geben.

Von Volkart Wildermuth |
    Zwei mal Acetylsalicylsäure mit Vitamin C. Einmal das Original, Aspirin, für 4,56 €. Einmal die Kopie von ratiopharm, Preis 3,59 €. Das sind 21 Prozent Unterschied. Haben Sie die gehört? Ich nicht. Optisch scheint die Kopie intensiver zu sprudeln, dafür bleibt nach dem Auflösen ein wenig mehr Pulver auf dem Grund des Glases zurück. Im Geschmack wirkt das Bayerprodukt strenger, mehr nach Arznei, während ratiopharm seiner Version mit Aromastoffen eine fruchtige Anmutung verpasst. Die Wirkung dagegen dürfte annähernd gleich sein.

    Zwei Mittel gegen Heuschnupfen. Hier ist Vividrin von Dr. Mann Pharma der Klassiker für die Doppelpackung aus Nasenspray und Augentropfen. Wer stattdessen zu dem Generikum greift, spart über vier Euro, das sind 30 Prozent. Aber anders als die Tropfen von Dr. Mann brennt die Kopie in meinen sowieso von der Allergie gereizten Augen. An der Wirksubstanz kann es nicht liegen, die ist bei Original und Nachahmung identisch. Wahrscheinlich reagiere ich auf einen der Hilfsstoffe. Ob es anderen Heuschnupfen geplagten ebenso ergeht, weiß ich nicht. Aber ich persönlich bleibe in diesem Fall beim Original, selbst wenn ich dafür tiefer in den Geldbeutel greifen muss.

    Tabletten. Millionen von Tabletten. Aus einem großen Trichter rieseln sie aufs Fließband, werden in langen Reihen sortiert, rutschen ordentlich in Plastikstreifen, eine Folie wird aufgeschweißt, am Ende legt die Maschine den Beipackzettel dazu und faltet blitzschnell um alles die Pappschachtel mit dem Logo TAD. TAD, das ist ein mittelständischer Generikahersteller in Cuxhaven, Jahresumsatz rund 50 Millionen €. Im Angebot rund 80 Wirksubstanzen in 300 Darreichungsformen, vom Rheumamittel bis zur Parkinsonpille, vom Blasentee bis zum Herzmedikament. Verantwortlich für den Betrieb ist der Apotheker Jens Peter Schütz. Obwohl er bei TAD Medikamente nur nachbaut, langweilt er sich nicht:

    "Das ist wirklich spannender als ein Krimi, vor 10 Jahren hat es gereicht das man innerhalb von na ja nach Patentablauf so vier bis sechs Wochen auf dem Mark war, das ist immer schneller geworden und inzwischen haben wir es so, dass wir mit Null Uhr Eins auf dem Markt sind. Das heißt, wenn das Patent bis 24 Uhr eines Datums läuft sind wir am nächsten Tag um Null Uhr ein in dem Markt drin, das heißt, die Apotheken morgens um acht Uhr wenn die den Schlüssel umdrehen haben die bereits unsere Ware im Schub. Und das ist ein ungeheurer Erfolgsfaktor. Wenn sie das nicht hinkriegen das sie zum Tag Eins am Markt sind, sind ihre Erfolgsaussichten schon deutlich geringer."

    Innerhalb von Tagen entscheidet sich, welcher von oft zehn, zwanzig Generikahersteller das Rennen an den Apothekentresen macht. Die anderen können dann nur noch die Preise senken, um im Geschäft zu bleiben. So fallen die Kosten für ein Medikament in den Wochen nach Patentablauf häufig um 60, 70, manchmal um 80 Prozent. Die Gewinnspannen sind klein, das muss die schiere Masse der Tabletten ausgleichen.

    Forschung ist riskant. Pharmafirmen untersuchen viele Substanzen, die wenigsten werden zu erfolgreichen Medikamenten. Die hohen Investitionen lohnen sich, weil die Unternehmen unter dem Schutz von Patenten jahrelang exklusiv an ihren Wirkstoffen verdienen dürfen. Wenn das Patent ausläuft, drängen dann die Generika-Unternehmen nach und bieten ihre Kopien des Originals an. Die sind deutlich billiger, schließlich fallen kaum noch Forschungskosten an. Deutschland liegt im internationalen Vergleich weit vorne in der Nutzung dieser Analogpräparate. Das spart den Kassen jedes Jahr Milliardenbeträge. Und Forscher der Universität Bremen rechnen im Arzneimittelreport 2005 vor, dass sich weitere 3,8 Milliarden Kosten vermeiden ließen, wenn die Generika wirklich konsequent verschrieben würden. Seit gut 20 Jahren sind die Nachahmerprodukte auf dem deutschen Markt. Anfangs wurden sie als Billigmedizin angegriffen. Heute gesteht selbst die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, Cornelia Yzer zu, dass Generika aus dem Gesundheitssystem nicht mehr wegzudenken sind:

    "So klar wie wir für Patenschutz eintreten so klar akzeptieren wir auch, dass nach Ablauf des Patenschutzes Nachahmung von Originalpräparaten möglich sein muss. Ja, natürlich befürworten wir bei Altpräparaten einen Preiswettbewerb denn dadurch können finanzielle Mittel freigesetzt werden für innovative Arzneimittel die dringend benötigt werden. Dass Ressourcen im Gesundheitssystem knapp sind ist bekannt. Insofern Preiswettbewerb auf dem Altpräparatemarkt ist okay."

    Andersherum will auch Generikahersteller Jens Peter Schütz nicht am Patentschutz rütteln. Selbst wenn er in dieser Zeit nicht an einem Medikament verdienen kann:

    "Auch ein generisches Unternehmen ist darauf angewiesen, dass die Forschung in Deutschland und weltweit weiter getrieben wird, weil diese Umsatzpotentiale die mit neuen Produkten aufgebaut werden, sind dann irgendwann die Umsatzpotentiale, die Generika Firmen eben haben."

    Überhaupt – forschendes Unternehmen, Generikaunternehmen, die Unterschiede sind längst nicht mehr so eindeutig. Viele bekannte Pharmanamen haben eigene Generikasparten, weil sie den Umsatz nach Ablauf eines Patentes nicht den Nachahmern überlassen wollen. Jüngstes Beispiel für diesen Trend ist der Kauf von Hexal durch Novartis. Andersherum ist Hexal ein Beispiel für einen Generikahersteller, der selbst forscht und zum Beispiel bei den Pflastern eigene Patente hält. Es ist auch durchaus üblich, dass sowohl Originalhersteller als auch Nachahmer die Pillen gar nicht selbst produzieren sondern sie von ein und demselben Hersteller beziehen, dass die Tabletten in den unterschiedlichen Schachteln also identisch sind. Klagen über die Qualität der Generika sind da wirklich unbegründet, das bestätigt auch der Arzt und Apotheker Dr. Wolfgang Becker Brüser, Herausgeber des pharmakritischen Arznei-telegramms:

    "Wenn man das objektiv betrachtet und zwar hinsichtlich der überprüften Qualität der Produkte, dann gibt es heutzutage wirklich keinen Grund mehr dafür, Generika bloß weil sie preiswerter sind, als schlechtere Produkte anzusehen, die pharmazeutische Qualität, also Wirkstofffreisetzung, Wirkstoffgehalt, Wirkstoffqualität, das ist heute alles so in Ordnung, mindestens so gut wie die Originale."

    Planung, das ist das A und O der Generikahersteller. Anders als die forschenden Unternehmen orientieren sie sich weniger an den unvorhersehbaren Durchbrüchen in Wissenschaft und Medizin als an den verläßlichen Daten der Patentämter:

    "Grundsätzlich findet hier ein sehr, sehr großes Screening statt in allen generischen Häusern, so auch bei TAD, das ist einmal Patent getrieben, das heißt, dass wir uns sehr, sehr genau ankucken, welche Patente in nächster Zeit auslaufen, da liegt ein wichtiger Punkt für den Erfolg eine generischen Unternehmen und der zweite Punkt der genauso wichtig ist, zu verfolgen, wie wirtschaftlich sinnvoll sind überhaupt diese Substanzen, das heißt, wie groß sind eigentlich die Märkte."
    Wenn ein Präparat nur 1 Million € Umsatz im Jahr verspricht, ist es für Jens-Peter Schütz uninteressant. Sind es aber 100 Millionen, dann werden fast alle Generikahersteller aktiv und das schon weit im Vorfeld des Patentablaufs:

    "In der Regel planen wir mit sieben Jahren Vorlaufzeit. Da ist natürlich mit einkalkuliert, dass die eine oder andere Sache in der Entwicklung auch mal schief gehen kann, aber die Praxis zeigt leider, dass das auch relativ oft der Fall ist, wenn sie sich 100%ig sputen würden, könnten sie es in vier Jahren schaffen wenn sie richtig gut sind, aber da dürfte dann gar Nichts schief laufen."

    Generika enthalten denselben Wirkstoff, wie das Original. Aber das heißt noch lange nicht, dass es keine Unterschiede gibt. Den Grund erläutert Prof. Henning Blume, lange Jahre der Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker:

    "Wenn zwei Großmütter jeweils einen Käsekuchen backen auch dann wenn gleiche Ingredienzien drin sind, dann schmecken die doch etwas unterschiedlich und so ist auch die galenische Verpackung, wie wir sagen, die Technologie die in der Tablette drin ist, wie fest sie verpresst ist, und welches Hilfsstoffe verwendet werden, das kann Unterschiedlich sein und das kann sich letztendlich auch auf die Wirksamkeit auswirken, das heißt die Wirkung kann vielleicht etwas schneller anfluten, wie wir sagen, oder sie kann etwas intensiver ausfallen."

    Diesen Unterschieden sind allerdings enge Grenzen gesetzt. Entscheidend ist die sogenannte Bioäquivalenz. Was darunter zu verstehen ist, wird für jedes Medikament in den internationalen Arzneibüchern genau festgelegt. Der Wirkstoffgehalt einer Kopfschmerztablette darf zum Beispiel nicht mehr als 5% vom Original abweichen. Außerdem muss 85% des Wirkstoffs innerhalb einer halben Stunde freigesetzt werden. Viele Generika und Originale lösen sich schon nach fünf Minuten auf, nur wenige Präparate benötigen die vorgegebenen 30 Minuten.

    Wer unter Kopfschmerzen leidet, wird diese Unterschiede relevant finden. Weil es sich aber nicht um eine lebensbedrohende Krankheit handelt, sind die Vorschriften nicht so streng. Bei Präparaten für Zuckerkranke, Epileptiker oder Transplantatempfänger legen die Arzneibücher dagegen deutlich höhere Anforderungen fest. An seinem Institut SocraTec prüft Henning Blume für die Generikahersteller, ob die Medikamentenkopien den Kriterien der Bioäquivalenz standhalten:

    "Also da wird zum Beispiel das Originalprodukt und das Generikum bei 24 jungen, gesunden Männern und Frauen so im Alter von 18 bis 55 Jahren untersucht und dann nehmen diese Probanden zu zwei verschiedenen Gelegenheiten die beiden Produkte ein, es wird zu bestimmten Zeiten Blut abgenommen, und man analysiert dann dort, wie schnell und wie quantitativ der Wirkstoff aus den Tabletten in den Organismus aufgenommen wird und wenn dieses gleich schnell und gleich quantitativ erfolgt, dann schließt man daraus, dass die beiden Produkte gleiche therapeutische Effekte erzielen werden."

    Mit diesen Daten kann ein Generikahersteller dann gegen Ende der Patentschutzzeit zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gehen und eine sogenannte bezugnehmende Zulassung beantragen. Also eine Zulassung, die sich auf die klinischen Studien des Patentinhabers mit den Originalpräparaten beruft. Wird die Zulassung erteilt, darf das Nachahmerpräparat dann nach Ablauf des Patents in den Apotheken verkauft werden. Die Qualität der Nachahmerpräparate aber auch der Originaltabletten wird in Deutschland regelmäßig überprüft. In den letzten Jahren sind dabei keine Probleme aufgefallen. Das war nicht immer so. Henning Blume erinnert sich an den Fall eines Herzmedikamentes namens Nifedipin aus englischer Produktion:

    "Da hat man bei dem Generikum tatsächlich nach der Gabe an 24 dieser Studienteilnehmern, bei 18, also bei drei viertel dieser Probanden über 15 Stunden und länger überhaupt kein Nifedipin im Blut also den Wirkstoff im Blut feststellen können und damit natürlich auch keine therapeutische Wirksamkeit wenn diese spezielle Produkt nach einem Frühstück eingenommen wurde. Wie man ein solches Produkt in England hat zulassen können ist mir offen gesagt schleierhaft und ich hoffe sehr und bin mir da auch relativ sicher, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Zulassungsbehörde einen solchen Fall stoppen würde und verhindern würde, dass dieses Produkt auf den Markt kommt."

    Die Entwicklung eines Generikums beginnt nicht im Labor sondern am Schreibtisch. Viele Informationen zu einer Tablette finden sich in den Patentschriften und in den Unterlagen bei den Zulassungsbehörden. Die entscheidenden Details lassen sich allerdings nicht erlesen, sie müssen analysiert werden. Deshalb verfügt TAD auch über leistungsfähige Labore. Die Glaskolben, Analysemaschinen und Tablettenpressen in Cuxhaven dienen allerdings vor allem der Überwachung der Qualität laufenden Produktion. Die Entwicklung der Generika muss in anderen Ländern stattfinden, bedauert Jens-Peter Schütz:

    "Wir hatten in Deutschland die Situation gehabt, dass wir vor Patentablauf einer Substanz kein Gramm dieser Substanz in den Händen halten durften oder in den Gebäuden haben durften, wir duften daran nichts experimentieren und das war für uns in Deutschland ein sehr, sehr großer Nachteil, weil wir mussten für diese Entwicklung immer ins Ausland gehen, beispielsweise Island ist sehr beliebt, Indien ist sehr beliebt, wo man das manchen kann, Kanada ist sehr beliebt und mussten dann mit der Nacht des Patentablaufes diese Sachen für viel Geld hier nach Deutschland importieren über Flugzeug beispielsweise. Was natürlich zur Folge hatte, dass in Deutschland diesbezüglich sehr viele Arbeitsplätze vernichtet worden sind."

    Auf EU-Ebene ist inzwischen geregelt, dass Generikahersteller noch vor Ablauf des Patentes mit kleinen Mengen einer Substanz arbeiten dürfen. Seitdem analysiert der TAD Laborleiter Richard Höfelmeier die Produkte der Konkurrenz auch selbst. Entscheidend ist die Freisetzung des Originalwirkstoffs, die er ja möglichst genau kopieren muss:

    "In einer künstlichen Lösung beispielsweise in künstlichem Magensaft wird die Tablette temperiert bei 37 Grad Celsius wie im Organismus in ein entsprechendes Gerät hinein wird mit Hilfe eines Rührers der die Magenbewegung simuliert, bei einer bestimmten normierten Geschwindigkeit die Tablette allmählich zum auflösen gebracht, im aufgelösten Zustand wird dann der Wirkstoffgehalt in dieser Lösung bestimmt und dadurch erhält man, wenn man diese Untersuchung in regelmäßigen Abständen alle paar Minuten wiederholt, ein allmähliches Freisetzungsprofil."

    Alle Generika erfüllen die Kriterien der Bioäquivalenz. Sie erzielen die gleiche Wirkung wie das Original, senken den Blutdruck oder beseitigen Bakterien. Das heißt aber nicht, dass es völlig egal ist, welches Präparat der Arzt verschreibt. Denn der einzelne Patient kann durchaus unterschiedlich auf ein und denselben Wirkstoff in Tabletten verschiedener Hersteller reagieren, erläutert Wolfgang Becker-Brüser:

    "Es gibt sicherlich einige Probleme bei Arzneimitteln, die durch Hilfsstoffe hervorgerufen werden. Das kann Lactose sein, das können aber auch vor allem bei flüssigen Zubereitungen Parabene sein, also bestimmte Konservierungsmittel, das können auch Farbstoffe sein und in solchen Situationen muss man sich genau ansehen, was in diesen Arzneimitteln drin ist und auch bestimme Arzneimittel einfach ausschließen für bestimmte Patenten dass diese die nicht erhalten dürfen. Das betrifft natürlich Generika genauso wie Originale."
    Wer an einer Milchzuckerunverträglichkeit leidet, darf keine Tablette aus Lactose erhalten. Für trockene Alkoholiker dagegen sollten alkoholische Tropfen tabu sein. Die große Mehrheit der Patienten kommt aber mit den pharmazeutischen Hilfsstoffen problemlos zurecht. Ihnen kann der Arzt einfach die billigste Variante eines Medikamentes verschreiben. Die Leitlinien der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft raten nur zur Vorsicht, wenn ein bei einem Patienten gut wirksames Medikament umgestellt werden soll. Das betrifft vor allem chronisch Kranke, die eine Dauermedikation erhalten. Für besonders problematisch hält Henning Blume Umstellungen bei der Therapie einer Epilepsie, einer Zuckerkrankheit oder bei der Unterdrückung des Immunsystems nach einer Organtransplantation:

    "Hier müssen konstante und kalkulierbare und prognostizierbare Wirkungen erreicht werden so dass man grundsätzlich sagen kann, bei Retardarzneimitteln ist es immer kritisch, denn es kommt ja auch zum Beispiel, der Patient selber dazu, der natürlich auch verunsichert ist, wenn er plötzlich eine neues Arzneimittel bekommt und auch diese Frage muss berücksichtigt werden, also diese psychologische Komponente. Leider ist dieser Austausch dadurch häufiger Alltag weil in den Arztpraxen zum Teil ja auch auf Ärztemuster zurück gegriffen werden, die nur in beschränktem Maße für die einzelnen Produkte den Ärzten zur Verfügung gestellt werden, so dass dann der Patient zum Teil beim nächsten mal wiederum ein anderes Muster bekommt und dadurch wir die Substitution letztlich auch verstärkt und das ehe ich durchaus als nicht unkritisch an."

    Hier sind die Ärzte gefordert. Wenn billigere Generika auf den Markt kommen, sollten sie eine Umstellung genau verflogen, damit sich kleine Unterschiede zum Beispiel in der Wirkstofffreisetzung nicht nachteilig auswirken. Entscheidend ist außerdem eine vernünftige Aufklärung. Denn nur wenn der Arzt auch erläutert, warum er das Medikament wechselt, werden die Patienten die Behandlung auch annehmen, betont Wolfgang Becker-Brüser:

    "Wenn der Arzt sagt, ich muss jetzt was billigeres verordnen, die Kassen sind da so dahinter her, dass ich Kosten spare, dann kommt das beim Patienten so an, das mag ja wohl etwas schlechteres sein. Was de facto aber nicht zutrifft. Wenn aber vom Arzt vermittelt wird, dass es sich hier um ein Produkt handelt mit gleicher Qualität das inzwischen zu günstigen Preisen wirklich gut hergestellt werden kann, dann mag das vielleicht beim Patienten auch so ankommen."

    Hier werden Tabletten unter exakt kontrollierten Bedingungen zerbrochen. Die Apotheker bei TAD feilen so lange an der Rezeptur ihrer Medikamente, bis die Presslinge fest genug sind, um die harsche Behandlung in den Produktionsanlagen zu überstehen, und sich doch schnell und verläßlich auflösen. Aber nicht nur die mechanischen Eigenschaften müssen stimmen. Jens Peter Schütz hält zum Beispiel den Geschmack für genauso wichtig:

    "Die meisten Wirkstoffe sind bitter, äußerst bitter, wen sie die auf der Zunge hätten oder im Rachenraum würden sie die sofort ausspucken, also eine große Aufgabe von uns liegt darin, die reinen Wirkstoffe so zu kaschieren, dass sie Geschmacks neutral sind, dass sie die nicht sofort wieder ausspucken, sonder dass dieser bittere gemeine Geschmack erst im Magen oder im Darm kommt, wo sie bekanntlich keine Geschmacksnerven haben und das dann nicht mehr wahrnehmen."

    Die Zusammenstellung einer Tablette läßt sich mit einem ausgefeilten Kochrezept vergleichen. Wenn es am Ende Hirschragout geben soll, reicht es nicht aus, nur das Wildfleisch in den Topf zu tun. Erst die richtige Kombination der Zutaten sorgt für ein gelungenes Mahl. Ähnlich ist bei einem Medikament der Wirkstoff zwar der entscheidende Bestandteil, aber es sind noch viele andere Zutaten nötig, damit er seinen Einfluss auf die Gesundheit auch entfalten kann.

    Der Star, im Labor von Richard Höfelmeier ist deshalb eine ultrafeine Analyseapparatur die beständig Probe auf Probe einsaugt und überwacht, ob die Tabletten auch wirklich der komplizierten Rezeptur entsprechen:

    "Und eine typische Fragestellung heute ist schon nicht mehr, wie erreichen wir 99,9% Wirkstoffgehalt sondern viel mehr die Überlegung, was ist denn dann das restliche 0,1%. Das heißt die Frage nach den Verunreinigungen. Es gibt in diesem Sektor eine ganze Reihe von Produktspezifischen Prüfungen die zur Aufgabe haben, bekannte Nebenprodukte oder Zersetzungsprodukte zu identifizieren und zu quantifizieren auch die unbekannten und dieser Bereich der Verunreinigungsanalytik nimmt einen immer größeren Stellenwert ein und ist auf europäischem Niveau sehr hart geregelt mittlerweile."

    Sowohl die Generikafirmen wie die Originalanbieter müssen sicherstellen, dass ihre Tabletten Charge für Charge die gleiche hohe Qualität aufweisen.

    Qualität für weniger Geld. Es mag Probleme bei einzelnen Patienten geben, die Umstellung von Dauerbehandlungen ist vielleicht nicht so einfach, im Großen und Ganze aber gewinnen Kranke, Ärzte und Kassen bei den Generika. Nicht so begeistert sind naturgemäß die Hersteller der Originalpräparate. Wenn das Ende des Patenschutzes näher rückt, versuchen sie deshalb sich eine gute Startposition im Wettkampf mit den Generikanbietern zu verschaffen. Das ist nur natürlich, manchmal aber, findet Wolfgang Becker-Brüser, schießen die Firmen über das Ziel hinaus:

    "Ein Beispiel ist jetzt aktuell Lamotrigin, das ist ein Arzneimittel da könnte man sagen, das ist ein heikles Gebiet, es wird häufig als heikel bezeichnet, weil es ein Antiepileptikum ist. Und hier wird gesagt, dass Spiegelschwankungen entstehen können, dass sogar bis zu 50% angeblich die Spiegel sich unterscheiden könnten, wenn man auf ein Generikum umsteigt. Dummerweise werden aber die Nachfolgeprodukte auch wieder von dem Originalhersteller hergestellt und produziert, sogar die Tabletten selbst. Das heißt hier erhält der Patient, in Verpackung eines Generikums, von Ratiopharm oder Hexal, ausgerechnet ein Originalprodukt. Also jeder Spruch, jede Warnung vor diesen Produkten ist wirklich reine Panikmache um vor diesen für den Originalanbieter ungünstigen Effekt des Anwanderns auf Generika zu warnen."

    Original und Kopie sind in diesem Fall identisch. Die gewaltigen Schwankungen im Spiegel des Wirkstoffes sollen durch die ungewohnte Verpackung hervorgerufen werden, die die Patienten angeblich verunsichern würde. Dieses psychologische Argument für die Treue zu den Originalpräparaten greift allerdings zu kurz. Schließlich ist es auch bei den Originalen gang und gäbe, dass die Aufmachung eines Medikamentes verändert wird, etwa wenn sich der Name des Herstellers nach einer Fusion ändert:

    "Eine weitere Möglichkeit Generika abzuwehren ist, am Wirkstoff anzusetzen und diesen etwas zu verändern. Viele Wirkstoffe sind Gemische von links- und rechtsdrehenden Bestandteilen. Wenn ich davon die eigentlich wirksame isoliere, habe ich eigentlich ein neues Arzneimittel, es kriegt einen neuen Namen und diesen angeblich neuen Wirkstoff kann ich dann neu patentieren lassen das fängt von vorne die Patentschutzzeit an und alles das was an Nachfolgeprodukten kommt kann ich dann zum alten Schnee rechnen. Das man aber eigentlich dadurch ein bewährtes Arzneimittel vom Markt zu verdrängen versucht und austauscht gegen ein angeblich Neues, was sich wahrscheinlich nicht viel oder gar nicht von dem Alten unterscheidet, darf man nicht aus den Augen zu verlieren."

    Der therapeutische Mehrwert der sogenannten Analog Wirkstoffe ist recht unterschiedlich. In einigen Fällen sind sie tatsächlich verträglicher, in anderen werden sie vor allem auf den Markt gebracht, um die Generika auszubremsen. Ein ganz aktuelles Beispiel ist das Magenmittel Losec, in den Neunzigern immerhin das weltweit Umsatz stärkste verschreibungspflichtige Medikament. AstraZeneca hatte für sein Präparat eine veränderte Darreichungsform entwickelt und so eine Ausweitung des Patenschutzes erreicht. Zusätzlich zog das Unternehmen in Dänemark, Norwegen und Schweden die Marktzulassung der alten Version zurück.

    Mit diesen beiden Schachzügen wurde der Vertrieb von Losec-Kopien um sieben Jahre hinausgezögert. Zu Unrecht, meint die EU-Kommission. Bei den Patentämtern wurden nach ihrer Ansicht falsch Daten eingereicht, weshalb das Unternehmen jetzt 60 Millionen Euro Strafe zahlen soll. AstraZeneca wird gegen diese Entscheidung klagen. Wie auch immer das Verfahren letztlich ausgeht, es zeigt: die Originalhersteller sind nicht bereit, ihren Markt kampflos abzugeben. Und so ist es kein Wunder, dass sich auch Jens-Peter Schütz das Recht, Generika herzustellen, immer wieder vor Gericht erstreiten muss:

    "Wir hatten zum Beispiel neulich eine Situation gehabt wo eine Kapselfarbe von einem Antidepressivum geschützt worden ist, das war in einem Hellgrün und einem hellem Beige das Ganze und da wurde gesagt, bei Antidepressiva darf es diese Farbkombination aus diesem hellen Grün und diesem hellen Beige bei Antidepressiva nicht geben, sondern nur bei dem Original und alles andere hat man sich schützen lassen. Und da haben wir gesagt, na ja, das nun Farben da eine Rolle spielen, das können wir nicht ganz nachvollziehen, haben dagegen geklagt und haben auch das Verfahren gewonnen."

    In den Laboren der Generikafirmen forschen die Apotheker normalerweise den Präparaten der Originalanbieter hinterher. Gelegentlich aber versuchen sie selbst innovativ zu sein. Zwar nicht bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe, aber bei deren Verpackung:

    "Zum Beispiel große Tabletten, die schwer sind zu schlucken, versuchen wir in eine Form zu bringen, dass sie sehr, sehr glitschig werden, in dem Moment, wenn Sie sie in dem Mund haben und damit besser schlucken können. Es gibt spezielle Zellulose also Zelluloseformen, und diese Zellulose versuchen wir in einem Endbefilmungsschritt das heißt diese Zellulose wird in eine Flüssigkeit überführt, in eine Lösung überführt versuchen wir dann in speziellen Wirbelschichtgranulierern, die Tabletten, die Tablettenkerne die gepresst sind versuchen wir dann zu besprühen und in dem Moment, wo die dann mit Luftfeuchtigkeit oder mit erhöhter Feuchtigkeit also mit erhöhter Luftfeuchtigkeit aber insbesondere natürlich mit Speichel in Verbindung kommen, dass sie dann eben sich wieder auflösen und diesen Zelluloseartigen glitschigen Schleim um sich bilden das dann eine sehr große Tablette sehr gut den Rachen passieren kann."

    Stolz ist Jens Peter Schütz auch auf eine hochdosierte Schmerztablette, die fast ohne Hilfsstoffe auskommt. Dadurch ist die Pille kleiner und schluckfreundlicher. In den Apotheken läßt sich mit solchen Verbesserungen kein höherer Preis erzielen. Doch TAD hofft, dass die Patienten die angenehmeren Tabletten bevorzugen und die Firma so Marktanteile dazu gewinnt.

    Die Pharmaindustrie wird zunehmend nicht mehr von der Chemie sondern von der Biotechnologie bestimmt. Fast alles Insulin für Zuckerkranke ist inzwischen ein Produkt der Gentechnik. Das Blutbildende Hormon EPO ist ein Kassenschlager, dazu kommen Wachstumshormone, Interferone und therapeutische Antikörper. Auch für die Generika Firmen liegt hier der Markt der Zukunft. Die ersten Patente für biologisch erzeugte Medikamente sind schon abgelaufen.

    Doch die Novartis-Tochter Sandoz ist mit einen Zulassungsantrag für ihre Kopie des menschlichen Wachstumshormons an der EU-Kommission gescheitert. Begründung: die sogenannten Biosimilars sind mit normalen Generika nicht zu vergleichen. Eine Ansicht, die die Hauptgeschäftsfrüherein des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller Cornelia Yzer, unterstützt:

    "Gentechnische Arzneimittel sind hoch komplexe Arzneimittel auch im Herstellungsprozess. Es ist nicht wie beim chemisch synthetisierten Arzneimittel, wo sie sagen, hier ist der Wirkstoff, sondern sie haben hier Moleküle, die sehr schnell auch Veränderungen aufzeigen. Sie sind vergleichbar mit Impfstoffen oder Blutprodukten in ihrer Komplexität und für diese Produkte gilt, dass sie nicht einfach nachgeahmt werden dürfen, sondern es müssen eigene klinische Studien durchgeführt werden. Studiendaten zur Arzneimittelsicherheit, zur Verträglichkeit und das muss auch für gentechnische Arzneimittel gelten, sonst wird es für den Patienten gefährlich."

    Lebende Zellen sind weniger beherrschbar als chemische Reaktionen in der Retorte. Deshalb können schon kleine Veränderungen im biotechnologischen Prozess zu großen Unterschieden im Endprodukt führen. Das zeigte kürzlich das Beispiel EPO. Einer der drei Anbieter hatte seine Herstellung geringfügig verändert und zusätzlich neue Fertigspritzen eingesetzt. Das hatte offenbar Auswirkungen auf die Form des blutbildenden Hormons, das in der Folge vom Immunsystem einiger Patienten als fremd erkannt. Sie entwickelten Antikörper, die nicht nur das medikamentös zugeführte sondern auch das im eigenen Körper gebildete EPO unwirksam machten. Seitdem sind diese 141 Patienten, davon sieben in Deutschland, dauerhaft auf Blutkonserven angewiesen. Auch Jens-Peter Schütz gesteht zu, dass aufgrund dieser Erfahrungen für die Biosimilars höhere Hürden gelten müssen, als für gewöhnliche Generika:

    "Grundsätzlich ist das richtig, man darf allerdings nicht den Fehler machen, dass man auf die Maximalforderung der forschenden Unternehmen eingeht, weil die haben natürlich als allererstes Ziel im Kopfe, dass ihre Substanzen möglichst lange ohne Wettbewerb auf dem Markt bestehen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen drin. Eines ist richtig, das sind Prozesse letztendlich die vermarktet werden, und es müssen sichere Prozesse etabliert werden seitens der Generikahersteller, wie wir das bei den herkömmlichen Arzneimitteln beispielsweise auch geschafft haben, von sofern wird es da für die generische Industrie schon deutlich schwerer, aber nicht unlösbar."

    Die Entwicklung der Biosimilars wird deutlich teurer sein, als bei den normalen Medikamentenkopien. Doch den Generikaunternehmen bleibt nichts übrig, als das wirtschaftliche Risiko einzugehen, wenn sie sich nicht vom Fortschritt in der Medizin abkoppeln wollen. Bei der TAD in Cuxhafen wird deshalb schon seit einigen Jahren an der Produktion von Interferonen und von EPO geforscht. Obwohl das Endprodukt natürlich identisch sein muss, entwickelt das Unternehmen eigene Produktionsprozesse, die dann auch zum Patent angemeldet werden. Nach einigen Rückschlägen ist Jens-Peter Schütz optimistisch, 2007 mit den ersten Biosimilars auf den Markt kommen zu können. Problematisch sind allerdings immer noch die unklaren rechtlichen Rahmenbedingungen:

    "In der Vergangenheit hat sich eigentlich immer gezeigt, dass das auch ein bisschen trial and error sein wird, das heißt, man versucht was, wenn wir damit vor Gericht scheitern, weil uns ein Originalhersteller verklagt, wir werden den einen oder anderen Prozess gewinnen, das heißt, wir können dann weitergehen, hier ist ein komplett neues Geschäftsfeld, was sich erst mal finden muss mit allen Schwierigkeiten auch aus dem juristischen Bereich."

    Die Krankenkassen warten jedenfalls schon jetzt sehnsüchtig auf die ersten preisgünstigen Biosimilars. Schließlich gehören die gentechnischen Medikamente zu den teuersten Arzneimitteln überhaupt.

    Tabletten, Tabletten, Tabletten, ein endloser Strom wandert durch die Maschinen in Cuxhaven. Mittel gegen Bluthochdruck, gegen die Zuckerkrankheit, gegen Blasenprobleme. Alles keine Entdeckungen von TAD, aber doch wirksame, verträgliche und vor allem preiswerte Kopien. Die Generikaanbieter sind heute ebenso wie die forschenden Arzneimittelhersteller ein unverzichtbarer Bestandteil des Gesundheitssystems, davon ist Jens-Peter Schütz überzeugt:

    "Wir diskutieren an allen Ecken und Enden, wie wir Geld sparen können und insofern ist es sehr, sehr, sehr wichtig, dass Generika verordnet werden. Und wir haben hier allein in Deutschland Einsparungen aufgrund von Generika von annähernd 5 Mrd. Euro, die wir bringen, wenn jetzt das Originalpräparat verordnet würde, und eben keine Generika dann würden wir 5 Mrd. mehr haben und was das für den einzelnen Versicherten bedeutet, das können wir uns vorstellen, das wir eben nicht mehr ungefähr 14 Prozentpunkte Krankenversicherung haben sondern dann vielleicht sogar 16, 17 Prozentpunkte haben."