So klingt ein Goldflügel-Waldsänger. Die kleinen Singvögel aus Nordamerika sind Zugvögel. Im Herbst fliegen sie von ihren Brutgebieten in den Südstaaten der USA 5.000 Kilometer nach Süden bis Kolumbien. Um ihre Flugrouten genauer zu erkunden, stattete der Biologe Henry Streby von der Universität von Kalifornien in Berkeley einige Vögel mit Miniatur-Ortungsgeräten aus, sogenannten Geolokatoren.
"Ein Geolokator speichert Helligkeitswerte über die Zeit. So können wir anhand gespeicherter Daten zur Tageslänge, dem Zeitpunkt von Sonnenauf- und untergang und dem Sonnenhöchsstand am Mittag im Rückblick für jeden Tag abschätzen, wo sich ein Vogel auf dem Planeten befunden hat."
Als Henry Streby die ersten Daten eines kompletten Vogelzugjahres einiger Goldflügel-Waldsänger analysierte, stieß er auf ein für ihn erst einmal unerklärliches Phänomen: Den Aufzeichnungen nach waren die Vögel im Frühjahr in ihr Brutgebiet im US-Bundesstaat Tennessee zurückgekehrt, kurz darauf aber wieder 1.000 Kilometer nach Süden bis nach Florida geflogen, um eine Woche später erneut Tennessee anzusteuern.
"Ich habe einige Tage lang versucht herauszufinden, wo der Fehler bei den Daten lag. Aber es zeigte sich, dass tatsächlich irgendetwas passiert sein musste, weshalb die Vögel noch einmal so große Distanzen zurücklegten. Wir haben dann geforscht, was der Auslöser gewesen sein könnte."
Wie merkten die Vögel das 500 Kilometer entfernte Unwetter?
Ein großes Gewittersturmgebiet, eine sogenannte Superzelle, die auf ihrem Weg mit mehr als 80 Tornados am Boden wütete, zog zu jener Zeit von Westen her auf das Brutgebiet zu – und später auch darüber hinweg. Die Vögel allerdings brachten sich schon einen Tag im Voraus nach Süden in Sicherheit. Da war das extrem schlechte Wetter noch mehr als 500 Kilometer entfernt. Irgendwie müssen die Vögel das Anrücken des Sturmes gespürt haben. Erklären konnte sich Henry Streby das erst einmal nicht.
"Es ist bekannt, dass Vögel sehr feine Schwankungen des Luftdrucks spüren können. Sie können sicher auch Veränderungen der Bewölkung, der Temperatur oder anderer Hinweise in ihrem Umfeld wahrnehmen. Aber nichts davon passte in diesem Fall, weil die Vögel schon fortflogen, bevor sich irgendeiner dieser Wetterfaktoren an unserem Untersuchungsort veränderte."
Henry Streby suchte in biologischer und meteorologischer Fachliteratur nach Hinweisen, welcher physikalisch spürbare Effekt noch als Sturm-Vorbote für die Vögel in Frage kommen könnte. Dabei stieß er auf eine Spur: Schall, und zwar mit sehr tiefen, für den Menschen unhörbaren Frequenzen, sogenannter Infraschall.
"Meteorologen wissen schon seit Jahrzehnten, dass Stürme und Tornados extrem tiefe Töne erzeugen, die sich über Tausende von Kilometern ausbreiten. Und Ornithologen wissen auch schon lange, dass Vögel Infraschall hören können. Unsere Literaturstudie zeigte nun, dass der stärkste Infraschall der Stürme genau in jenem Frequenzbereich liegt, für den die Vögel am empfindlichsten sind."
Für Henry Streby liegt deshalb eine Vermutung nah: Die Goldflügel-Waldsänger können anrückende Stürme am Infraschall erkennen und zum Selbstschutz davor fliehen. Statistisch abgesicherte Beweise dafür hat er noch nicht. Er will diesem Phänomen aber weiter auf den Grund gehen. Für das kommende Jahr plant er, 400 der kleinen Singvögel mit Geolokatoren zu versehen. Sollten dann wieder heftige Stürme deren Lebensräume kreuzen, könnte sich zeigen, wie ausgeprägt ihr infraschall-gesteuerter Fluchtinstinkt tatsächlich ist.