"Mich hat diese Krankheit dazu gebracht, mehr nachzudenken. Wie abhängig wir sind von anderen Menschen."
In seinem Gemeindehaus am Düsseldorfer Stadtrand sitzt Bischof Grigorije vor einem Laptop.
"Ich scherze manchmal, dass dieser Virus die gesamte Welt dazu getrieben hat, zu fasten. Besonders uns Christen, die wir mehr und mehr angefangen haben, das Fasten als etwas Formales zu begreifen und schlimmer noch: die heilige Liturgie als eine Routine."
Grigorije Duric ist Bischof der Eparchie von Düsseldorf und ganz Deutschland. Damit ist er das geistige Oberhaupt aller serbisch-orthodoxen Christen hierzulande.
"Ich rede derzeit viel mit meinen Priestern, sage ihnen, dass sie viel mit ihren Gläubigen sprechen sollen, über das Telefon oder andere Kommunikationswege, dass sie ihnen sagen, macht euch keine Sorgen."
"Daran leiden viele Orthodoxe"
Für die meisten orthodoxe Christen ist diese Woche die wichtigste Zeit im Jahr, die heilige Woche vor Ostern und das anschließende Osterfest. Doch hier wie an anderen Orten der Welt auch, dürfen sich die Mitglieder der Kirchengemeinden nicht physisch treffen. Für orthodoxe Gläubige ist das besonders hart, sagt Assaad Elias Kattan, orthodoxer Theologe am Centrum für religionsbezogene Studien an der Uni Münster:
"Weil dieses Gemeinschaftsgefühl ein integraler Bestandteil der Gottesdienste in der Karwoche im Allgemeinen und des Ostergottesdienstes im Besonderen ist. Die Osterliturgie lebt von diesem Gemeinschaftsgefühl. Einfach von der Tatsache: dass, wenn man zur Liturgie geht, dort Menschen begegnet. Und ich denke, gerade diese Unmöglichkeit, jetzt die Liturgie in der Gemeinschaft zu feiern und dieses Gemeinschaftsgefühl zu haben, daran leiden viele Orthodoxe, und ich gehöre dazu."
Das seien Gottesdienste, die nur einmal im Jahr erlebt werden könnten, sagt Kattan. Es handle sich auch um musikalische Erlebnisse, in der westlichen Tradition am ehesten vergleichbar mit dem Besuch der Matthäus- oder der Johannespassion von Bach:
"Da ändert sich ja auch die ganze Liturgie, die Gottesdienste nehmen einen völlig anderen Charakter an. Das ist auch einer der Faktoren, die eine Rolle spielen, warum die Orthodoxen diesen Eindruck haben, dass das Ostergeschehen für sie etwas Besonderes ist. Und deshalb verschiebt sich auch die Liturgie. Sie ändert sich ganz radikal. Und ich denke, das prägt die Orthodoxen, auch die Orthodoxen, die nicht unbedingt dauernd in die Kirche kommen, sondern zu bestimmten Anlässen, zu bestimmten Gottesdiensten."
Die Kirche als "Stück Heimat"
Dass dieses gemeinschaftliche Erlebnis fehlt, das ist für die orthodoxen Christen in Deutschland nochmal ein besonderes Problem, so Kattan:
"Weil die Kirche ein Stück Heimat ist, die Sprache, die im Gottesdienst verwendet wird, für viele Menschen, gerade für ältere Herren und für ältere Damen, ein Stück Heimat ist."
Für die orthodoxen Kirchen ist Deutschland ein Diasporaland. Es gibt russisch-orthodoxe, griechisch-orthodoxe, rumänisch-orthodoxe und viele weitere Kirchen, die in Deutschland Gemeinden haben – deren Mutterkirchen aber im Ausland liegen. Fast überall feiern die Gemeinden die Liturgie in der jeweiligen Landessprache oder einer dieser Sprache ähnlichen Liturgiesprache wie Kirchenslawisch. Für viele eine doppelte Identität, meint der Ostkirchenexperte Thomas Bremer von der Uni Münster:
"Zum einen die des Landes, der Kultur und der Religion, aus der man kommt, zum anderen der Gesellschaft, in der man lebt. Die Sprache, die in der Regel nicht Deutsch ist, ruft den Kontext der Kindheit, der Jugend oder der Heimatstadt hervor. Es ist nicht allein die Sprache, aber die Sprache ist ein Element davon, dass etwas reproduziert wird, was zu meiner Vergangenheit gehört, aus der ich komme und zu der ich mich noch zugehörig fühle."
Wie andere Religionsgemeinschaften stehen die orthodoxen Kirchen vor der Frage, ob es andere Wege, digitale Wege gibt, das Osterfest zu feiern.
Kattan: "Ich kenne es zum Beispiel von meiner eigenen Kirche hier in Deutschland, das Patriarchat von Antiochen: Sowohl aus Köln als auch aus Berlin werden Gottesdienste übertragen. Es ist völlig berechtigt, dass man das versucht. Es ist auch völlig berechtigt, die Menschen dazu aufzufordern, mitzumachen. Und diesen Gottesdienst auch digital zu erleben."
"Ich bin dagegen, dass die Liturgie auf digitalem Wege übertragen wird"
Aber der orthodoxe Theologe Assaad Elias Kattan ist dennoch skeptisch, ob das reicht. Bischof Grigorije aus Düsseldorf wird deutlicher:
"Ich bin dagegen, dass die Liturgie auf digitalem Wege übertragen wird. Liturgie setzt voraus, dass die Menschen präsent sind. Stellen sie sich vor, sie versuchen, digital an einer Hochzeit teilzunehmen. Man kann nicht sagen, man nimmt teil, man ist mehr Beobachter als Teilnehmer. Wir übersetzen Liturgie mit: Das gesamte Volk nimmt teil."
Grigorije Duric fordert aber nicht, dass Gottesdienste stattfinden sollten trotz Corona, ganz im Gegenteil. Diejenigen Stimmen in der orthodoxen Welt, die sich lange gegen das Verbot der Gottesdienste gewehrt haben, kritisiert er scharf, nennt sie Glaubensfanatiker. Ideen vom Kirchenfasten, wie sie etwa vom Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück formuliert wurden, stehen seinem Denken nahe, sagt der orthodoxe Bischof:
"Bei diesen Glaubensfanatikern kommt es mir vor, als ob man ihnen einfach die Routine genommen hätte. Wie bei schlecht erzogenen Kindern, die sauer sind und sagen, ich will unbedingt dieses oder jenes Geschenk haben, so ist das bei diesen Fanatikern, die sagen: ich will aber unbedingt meine Liturgie haben. Jetzt aber ist die Zeit der Enthaltsamkeit."
"Das wäre, wie Gott unter Versuchung zu stellen"
Dass sich manche orthodoxen Kirchen, etwa in Griechenland, lange auch gegen das Verbot der heiligen Kommunion gewehrt haben – mit Verweis auf den Leib Christi, der ja nicht ansteckend sein könne – kritisieren der Bischof und der orthodoxe Theologe Kattan gleichermaßen. Kattan begründet seine Kritik – neben dem medizinischen – auch mit einem theologischen Argument:
"Wenn man diese Logik bis zum äußeren Ende führt, dann erwartet man bei jedem Abendmahl sozusagen ein kleines Wunder von Gott. Das wäre, wie Gott unter Versuchung zu stellen. Das sind die Worte Jesu an den Satan: Du darfst Gott deinen Herrn nicht unter Versuchung stellen."
Inzwischen haben alle orthodoxen Kirchenleitungen die Einschränkungen akzeptiert – die orthodoxen Bischöfe in Deutschland hatten dies von Anfang an getan – und mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz bereits Ende März eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Auch das orthodoxe Osterfest wird in diesem Jahr also kein Gemeinschaftserlebnis.