Archiv

Orthodoxie
"Sankt Wladimir" unterm Eiffelturm

Im Oktober wird in Paris eine neue orthodoxe Kathedrale eingeweiht. Der Kreml hat das prächtige Bauwerk bezahlt. Eingefädelt wurde das Projekt vor Jahren vom damaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und dessen Amtskollegen Wladimir Putin. Mittlerweile ist vielen Franzosen der Bau eher peinlich. Kritiker deuten die Großkirche als Teil der russischen Weltherrschaftsstrategie

Von Bettina Kaps |
    Bauarbeiter arbeiten an der Katherdrale Sainte-Trinité in Paris
    Im Herzen von Paris baut Russland die Kathedrale Sainte-Trinité (AFP/Matthieu Alexandre)
    Die Pariser Skyline hat sich verändert: Fünf Zwiebeltürme mit orthodoxen Kreuzen ragen jetzt neben dem Eiffelturm in den Himmel. Prall und gold glänzend ziehen sie den Blick auf eine Kathedrale aus hellem Stein. Rund um das Kirchengebäude werden eine russisch-französische Grundschule, ein Kulturzentrum und Wohnungen für Priester und Seminaristen gebaut, erklärt Borina Andrieu vom Architekturbüro Wilmotte, das den gesamten Komplex entworfen hat:
    "Das ist wohl das schwierigste Bauprojekt, das wir jemals verwirklicht haben. Wir mussten all diese Gebäude auf einer sehr schmalen Parzelle unterbringen. Sie grenzt an das Seine-Ufer - es gehört zum Weltkulturerbe - und an ein denkmalgeschütztes Palais. Wir mussten uns also in die unverwechselbare Pariser Kulisse mit dem Eiffelturm einfügen und zugleich die Regeln der Orthodoxie einhalten."
    Das ist gelungen. Die Kathedrale ist ein strenger, hoher Bau mit einigen wenigen Fensterschlitzen. Von weitem sehen die Wände aus als bestünden sie aus schmalen Querstreifen. Von nahem zeigt sich, dass es massiver Stein ist. Jedes einzelne Band hat ein anderes Profil. Dadurch ergibt sich ein Linienmuster, in dem sich das Licht bricht, so dass die Mauer zu vibrieren scheint.
    Bischof Nestor Sirotenko, künftiger Hausherr des Kirchengebäudes, ist begeistert: "Es gibt nichts Vergleichbares. Hier entsteht nicht nur eine Kirche, sondern auch ein Zentrum für russische Kultur. Auch deshalb ist dieser Komplex einmalig."
    Als höchster Vertreter des russischen Patriarchats in Frankreich, Portugal, Spanien und der Schweiz hat der Geistliche im Frühjahr eine Kathedrale in Madrid eingeweiht, die russisch-orthodoxe Kirche in Rom ist auch erst sieben Jahre alt. Aber keine von beiden sei entfernt so prächtig wie die neue Kathedrale in Paris. Der inzwischen verstorbene Patriarch Alexij II. habe das Prestigeprojekt angestoßen, als er 2007 in Paris war, sagt Bischof Nestor:
    "Damals suchte unsere Gemeinde einen neuen Kirchenraum, weil die jetzige Kirche im 15. Pariser Bezirk viel zu klein ist. Jeden Sonntag ist sie überfüllt. Als der Patriarch den damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy traf, haben wir diese Frage ins Programm einfließen lassen."
    Französische Russland-Kenner betonen jedoch, dass auch handfeste politische Absichten im Spiel sind. Der spektakuläre Kirchenbau füge sich perfekt in die "ideologische Software" von Staatspräsident Wladimir Putin ein, sagt der Philosoph Michel Eltchaninoff, Autor des Buches "In Putins Kopf":
    "Mit dem Konzept 'russkij mir', also 'russische Welt', will Putin alle Menschen mit russischen Wurzeln, die im Lauf des 20. Jahrhunderts emigriert sind, zu Einflussträgern machen, um die russische Weltmachtstellung zu restaurieren. Die Kathedrale ist eindeutig Teil dieser Strategie. Sie soll beweisen, dass eine der Facetten der russischen Kultur - nämlich die orthodoxe Religion - in Europa eine Rolle spielt und im Herzen von Paris eine majestätische Vertretung besitzt."
    Sarkozy bewundert Putin
    Auf dem begehrten Terrain am Seine-Ufer hatte früher der Wetterdienst "Meteo France" seinen Sitz. Als es im September 2009 zum Kauf angeboten wurde, bewarben sich auch Saudi-Arabien und Kanada. Der damalige Staatschef Nicolas Sarkozy hat dafür gesorgt, dass Moskau den Zuschlag bekam - er gilt als Bewunderer von Wladimir Putin.
    Inzwischen ist das politische Klima umgeschlagen, heute hätte ein derartiges Projekt keine Chance mehr, meint Michel Eltchaninoff. Er findet es paradox, dass die Kathedrale nun ausgerechnet in der französischen Hauptstadt steht, wo sie wie ein moralischer Fingerzeig agieren kann:
    "In den Augen der russischen Ideologen im Kreml hat Frankreich die christlichen Wurzeln des Abendlandes aus dem Gedächtnis verloren. Moskau zufolge steht Frankreich für eine gewisse Feindseligkeit gegenüber der Religion und für Dekadenz. Beispiel: das Gesetz zur Homoehe im Jahr 2013. Die goldenen Kuppeln mit ihren großen orthodoxen Kreuzen sind eine Botschaft des Kremls an die Franzosen: Seht her, es gibt noch ein Land in Europa, das die Treue zur Tradition, zu christlichen Werten, zur Familie hoch hält, mit einer Kirche, die dem Staat verbunden und sehr patriotisch ist. Wir signalisieren euch: Eine andere Politik ist auch möglich, die russische Politik."
    Jean-Francois Colosimo leitet den auf religiöse Literatur spezialisierten Verlag "Éditions du Cerf". Er ist selbst orthodoxer Christ. Der Theologe hat eine weitere Erklärung für das russische Monument am Ufer der Seine: Es handle sich um einen Pakt, der seinen Namen nicht nennt.
    Colosimo weist darauf hin, dass es in Paris bereits seit 1861 eine russisch-orthodoxe Auslandskirche gibt: Die Alexander-Newski-Kathedrale hat sich nach der Oktoberrevolution von Russland freigeschwommen und dem Patriarchat von Konstantinopel angeschlossen. Dieses sogenannte "Erzbistum der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa" habe sich inzwischen französischen Verhältnissen angepasst. Es wolle keine Rückkehr zum russischen Patriarchat. Das Bistum betreibt auch eine Hochschule für orthodoxe Theologie, wo Colosimo unterrichtet:
    "Das Erzbistum war bis vor kurzem noch im Besitz von drei Kathedralen, die unter Zar Nikolaus II. gebaut wurden. Die Kathedrale in der Rue Daru im 8. Pariser Arrondissement, die Kathedrale von Biarritz, wo die Zarenfamilie ihren Sommerurlaub verbrachte, und die Kathedrale von Nizza, wo sie Winterferien machte."
    Russland zahlte 170 Millionen Euro für den Bau
    Zu Beginn der 2000er-Jahre hat Russland Ansprüche angemeldet. Weil die Auslandskirche die prächtige Kathedrale von Nizza nicht hergeben wollte, kam es zum Prozess - den Russland gewonnen hat. Die französische Regierung habe die Alexander-Newski-Kathedrale in Paris vor einem ähnlichen Schicksal schützen wollen, sagt Colosimo:
    "Das Patriarchat von Moskau wurde angehalten, seinen Anspruch auf die Kathedrale in Paris aufzugeben. Im Gegenzug wurde es ermutigt, sich für den Kauf des Geländes am Seine-Ufer zu bewerben, um dort seine eigene Kathedrale zu erbauen. Auf diese Weise bleiben die beiden russisch-orthodoxen Gemeinden in Westeuropa getrennt."
    Der russische Staat hat alle Baukosten für das Religions- und Kulturzentrum - immerhin rund 170 Millionen Euro - übernommen. Weil dort auch die Kulturabteilung der russischen Botschaft einzieht, erhält der Komplex ex-territorialen Status.
    Zur Einweihung am 19. Oktober wird Staatspräsident Putin erwartet. Die fünfstündige kirchliche Zeremonie kann aber erst ein bis zwei Jahre später stattfinden, wenn auch die aufwendige Innenausstattung der Kathedrale mit Ikonostase und Wandmosaiken fertig ist, sagt Bischof Nestor. Da sei noch nicht entschieden, was der Staat und was das Patriarchat bezahlen wird.