Das Buch beginnt mit dem Ende – mit dem "Ende der Freiheit". So heißt die Überschrift der Einleitung, und weil es schön schaurig klingt, schieben Ilja Trojanow und Juli Zeh ein Zitat des griechischen Dichters Sophokles nach.
"Wenn wir Angst haben, raschelt es überall."
Und Angst sollten wir haben, viel Angst sogar. Denn der Staat – oder sollten besser sagen: der Große Bruder? – hat eine unerschöpfliche Gier nach unseren persönlichen und intimen Daten.
"Früh raus. Der Wecker klingelt. Es ist noch dunkel. Wie jeden Morgen rufen Sie Ihre privaten E-Mails ab. Die sind schon überprüft worden – nicht nur von Ihrem Virenscanner. Sie haben noch ein paar Minuten Zeit, (…) also rufen Sie die eine oder andere Website auf – die Kripo weiß welche. Sie nehmen noch schnell eine Überweisung vor,… die zuständigen Behörden wissen, an wen… Sie eilen zur Haustür hinaus. Die Überwachungskamera Ihres Wohnkomplexes beobachtet jeden Ihrer Schritte (…) Kein Grund zur Beunruhigung. Alles geschieht zu Ihrem Besten. Der Staat passt auf Sie auf."
George Orwell lässt grüßen! "Angriff auf die Freiheit" ist keine gediegene juristische, ethische oder politische Analyse, es ist ein Pamphlet, eine wütende Kampfschrift. Sie soll auch den letzten Bürger aufrütteln und ihm klar machen, dass er inmitten eines Überwachungsstaates lebt. Trojanow und Zeh schreiben schnörkellos, mitunter hastig und sprechen den Leser direkt an.
"Sie fragen sich bestimmt schon, warum Ihnen so hartnäckig aufgelauert wird?... Es gibt doch keinen Grund, aus dem sich irgendjemand für Sie interessieren könnte. Sind Sie sicher? Sind Sie absolut sicher?"
Auf 171 Seiten aufgeteilt in elf Kapitel und in einem 30 Seiten langen Anhang beschreibt das Autorenduo den langen Weg zu den heute geltenden bürgerlichen Grundrechten. Und sie beschreiben die Notwendigkeit, diese Grundrechte vor den Begehrlichkeiten des Staates zu schützen. Sei es das Folterverbot, das von einigen Juristen bei terroristischen Gefahren in Frage gestellt wird, sei es der Schutz persönlicher Daten, der heute kaum noch eine Lobby hat: Vom Bundestrojaner, der private Computer ausspioniert, über Videokameras, die zukünftig sagen können, wer sich wann und wo aufgehalten hat, bis hin zum Lesen privater E-Mails – die Überwachung ist total. Wer aber hat Interesse daran? Kriminelle, weil sie betrügen wollen. Unternehmen, um mit den Daten Geld zu verdienen. Und der Staat, weil er uns schützen will vor terroristischen Gefahren. Das, sagt Ilija Trojanow, ist aber nicht möglich.
"Man kann nicht zusätzliche Sicherheit schaffen, man verschiebt nur Sicherheit. Das vermeintliche Mehr an Sicherheit, das ist ja oft zweifelhaft, aber wenn es ein Mehr an Sicherheit gibt vor sagen wir mal Terroristen, dann geht das Hand in Hand mit einem Weniger an Sicherheit vor dem Staat. Und was wir immer wieder sagen, und was das 20. Jahrhundert sehr klar herausgestellt hat, die allergrößte Gefahr geht von den Staaten aus."
Das ist zwar eine richtige, allerdings keine bahnbrechende Erkenntnis. Staatlich sanktionierter Terror übersteigt fast immer den Terror einzelner Personen oder Gruppen. Das war in der Antike so, wie im Mittelalter, wie im 20. Jahrhundert. Neu sei allerdings, sagen Trojanow und Zeh, die Qualität der Überwachung.
"Schon bislang darf der britische Geheimdienst alles abhören und speichern, braucht dafür aber jeweils eine Erlaubnis des Innenministers, die allein im Jahre 2007 etwa 500.000mal angefordert wurde. Eine derart umfassende Kontrolle hat es noch nie gegeben, nicht unter Nero, Henry VIII, Louis XIV., Napoleon, Franco, nicht einmal unter Hitler und Stalin."
Ob diese Aussage einer historischen Analyse standhält, darf bezweifelt werden. Außerdem ist der Vergleich des heutigen Großbritanniens mit den Terrorregimen Hitlers und Stalins äußerst fragwürdig, wenn nicht polemisch. Juli Zeh sieht aber noch einen weiteren Grund für den privaten wie staatlichen Überwachungswahn: Informationen sind die wichtigsten Ressourcen der Zukunft.
Zeh: "Die Daten bedeuten eben nicht nur ökonomischen Vorteil, sie bedeuten ganz klar, das ist vorhersagbar, auch Machterhalt. Und es ist ein neues Feld, dass sich eröffnet hat aufgrund der technologischen Revolution, das heißt, wir erleben jetzt, wie die Akteure sich auf dem neuen Spielfeld neu sortieren und versuchen, wie das bei Systemen ja üblich ist, den größtmöglichen Einfluss geltend zu machen, und der einzige Akteur, der erschreckend wenig in Erscheinung tritt, ist der einzelne Bürger, dem diese Daten ja originär zustehen."
Und da solle, fordert Juli Zeh, der Bürger mitentscheiden dürfen, welche Daten er preisgibt und was mit ihnen geschieht. Neu ist allerdings auch das nicht, Datenschützer fordern diese Mitsprache seit Jahren. Genau genommen ist aber für die Autoren auch nur ein Nebenschauplatz, im Mittelpunkt steht die orwellsche Vision eines totalitären Überwachungsstaates und der daraus resultierende "Angriff auf die Freiheit".
Trojanow: "Es kann einem schon Angst und Bange werden, wenn man behauptet, wir haben eine Demokratie, die meisten Bürger haben aber kaum noch einen Freiheitsbegriff. Das ist insofern fatal, weil es ja gleichzeitig eine Atomisierung, eine Fragmentarisierung der Gesellschaft gibt, und wenn man das koppelt mit dem gläsernen Menschen, sind wir bald so weit, und das ist ja eine der Pointen unseres Buches, dass die Visionen von George Orwell harmlos wirken."
Sind wir bald so weit? Wir wollen es nicht hoffen! Immerhin endet "1984" damit, dass Winston durch Kugeln der Gedankenpolizei stirbt, während er gleichzeitig ein Bekenntnis zur Liebe zum Großen Bruder ablegt. Der Überwachungsstaat hat gesiegt. Wie aber lässt sich 2009 der Überwachungsstaat verhindern?
Zeh: "Da muss, glaube ich, im Kopf erst einmal ein Schalter umgelegt werden. Man muss verstehen, es gibt nicht den bösen Terroristen, für den diese Sicherheitsgesetze gelten, und dann gibt es noch die große Menge an guten Bürgern, für die diese Gesetze nicht sind, sondern diese Gesetze sind für uns alle und die meinen auch uns alle, und deswegen muss sich jeder fragen, ob er das möchte und ob er sich angesprochen fühlt. Das ist ein erster wichtiger Schritt, weil man nur vor diesem Hintergrund sich fragen kann, wie wehren wir uns konkret?"
Leider liefert das Buch auf diese Frage keine Antworten. Und das ist seine Schwäche. Es sagt laut und krachend, was seit Jahren bekannt ist, dass wir zunehmend überwacht werden. Interessant wäre zu erfahren, welche Konsequenzen das hat. Wie verändert sich eine überwachte Gesellschaft? Entstehen heute feine Risse, die zukünftig zum Bruch der Gesellschaft führen können? Wie lässt sich der Überwachungsstaat mit demokratischen Mitteln verhindern? Wir sind optimistisch, sagen Trojanow und Zeh, es geht. Aber wie?
Mirko Smiljanic war das über das Buch von Juli Zeh und Ilija Trojanow: "Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte". Das Buch, das seit heute im Handel ist, ist bei Hanser verlegt worden, hat 176 Seiten und kostet 14 Euro 90. Bei Osterwold ist zudem eine gekürzte Hörbuch-Version erschienen, sie umfasst 3 CDs und kostet 19.95 Euro.
"Wenn wir Angst haben, raschelt es überall."
Und Angst sollten wir haben, viel Angst sogar. Denn der Staat – oder sollten besser sagen: der Große Bruder? – hat eine unerschöpfliche Gier nach unseren persönlichen und intimen Daten.
"Früh raus. Der Wecker klingelt. Es ist noch dunkel. Wie jeden Morgen rufen Sie Ihre privaten E-Mails ab. Die sind schon überprüft worden – nicht nur von Ihrem Virenscanner. Sie haben noch ein paar Minuten Zeit, (…) also rufen Sie die eine oder andere Website auf – die Kripo weiß welche. Sie nehmen noch schnell eine Überweisung vor,… die zuständigen Behörden wissen, an wen… Sie eilen zur Haustür hinaus. Die Überwachungskamera Ihres Wohnkomplexes beobachtet jeden Ihrer Schritte (…) Kein Grund zur Beunruhigung. Alles geschieht zu Ihrem Besten. Der Staat passt auf Sie auf."
George Orwell lässt grüßen! "Angriff auf die Freiheit" ist keine gediegene juristische, ethische oder politische Analyse, es ist ein Pamphlet, eine wütende Kampfschrift. Sie soll auch den letzten Bürger aufrütteln und ihm klar machen, dass er inmitten eines Überwachungsstaates lebt. Trojanow und Zeh schreiben schnörkellos, mitunter hastig und sprechen den Leser direkt an.
"Sie fragen sich bestimmt schon, warum Ihnen so hartnäckig aufgelauert wird?... Es gibt doch keinen Grund, aus dem sich irgendjemand für Sie interessieren könnte. Sind Sie sicher? Sind Sie absolut sicher?"
Auf 171 Seiten aufgeteilt in elf Kapitel und in einem 30 Seiten langen Anhang beschreibt das Autorenduo den langen Weg zu den heute geltenden bürgerlichen Grundrechten. Und sie beschreiben die Notwendigkeit, diese Grundrechte vor den Begehrlichkeiten des Staates zu schützen. Sei es das Folterverbot, das von einigen Juristen bei terroristischen Gefahren in Frage gestellt wird, sei es der Schutz persönlicher Daten, der heute kaum noch eine Lobby hat: Vom Bundestrojaner, der private Computer ausspioniert, über Videokameras, die zukünftig sagen können, wer sich wann und wo aufgehalten hat, bis hin zum Lesen privater E-Mails – die Überwachung ist total. Wer aber hat Interesse daran? Kriminelle, weil sie betrügen wollen. Unternehmen, um mit den Daten Geld zu verdienen. Und der Staat, weil er uns schützen will vor terroristischen Gefahren. Das, sagt Ilija Trojanow, ist aber nicht möglich.
"Man kann nicht zusätzliche Sicherheit schaffen, man verschiebt nur Sicherheit. Das vermeintliche Mehr an Sicherheit, das ist ja oft zweifelhaft, aber wenn es ein Mehr an Sicherheit gibt vor sagen wir mal Terroristen, dann geht das Hand in Hand mit einem Weniger an Sicherheit vor dem Staat. Und was wir immer wieder sagen, und was das 20. Jahrhundert sehr klar herausgestellt hat, die allergrößte Gefahr geht von den Staaten aus."
Das ist zwar eine richtige, allerdings keine bahnbrechende Erkenntnis. Staatlich sanktionierter Terror übersteigt fast immer den Terror einzelner Personen oder Gruppen. Das war in der Antike so, wie im Mittelalter, wie im 20. Jahrhundert. Neu sei allerdings, sagen Trojanow und Zeh, die Qualität der Überwachung.
"Schon bislang darf der britische Geheimdienst alles abhören und speichern, braucht dafür aber jeweils eine Erlaubnis des Innenministers, die allein im Jahre 2007 etwa 500.000mal angefordert wurde. Eine derart umfassende Kontrolle hat es noch nie gegeben, nicht unter Nero, Henry VIII, Louis XIV., Napoleon, Franco, nicht einmal unter Hitler und Stalin."
Ob diese Aussage einer historischen Analyse standhält, darf bezweifelt werden. Außerdem ist der Vergleich des heutigen Großbritanniens mit den Terrorregimen Hitlers und Stalins äußerst fragwürdig, wenn nicht polemisch. Juli Zeh sieht aber noch einen weiteren Grund für den privaten wie staatlichen Überwachungswahn: Informationen sind die wichtigsten Ressourcen der Zukunft.
Zeh: "Die Daten bedeuten eben nicht nur ökonomischen Vorteil, sie bedeuten ganz klar, das ist vorhersagbar, auch Machterhalt. Und es ist ein neues Feld, dass sich eröffnet hat aufgrund der technologischen Revolution, das heißt, wir erleben jetzt, wie die Akteure sich auf dem neuen Spielfeld neu sortieren und versuchen, wie das bei Systemen ja üblich ist, den größtmöglichen Einfluss geltend zu machen, und der einzige Akteur, der erschreckend wenig in Erscheinung tritt, ist der einzelne Bürger, dem diese Daten ja originär zustehen."
Und da solle, fordert Juli Zeh, der Bürger mitentscheiden dürfen, welche Daten er preisgibt und was mit ihnen geschieht. Neu ist allerdings auch das nicht, Datenschützer fordern diese Mitsprache seit Jahren. Genau genommen ist aber für die Autoren auch nur ein Nebenschauplatz, im Mittelpunkt steht die orwellsche Vision eines totalitären Überwachungsstaates und der daraus resultierende "Angriff auf die Freiheit".
Trojanow: "Es kann einem schon Angst und Bange werden, wenn man behauptet, wir haben eine Demokratie, die meisten Bürger haben aber kaum noch einen Freiheitsbegriff. Das ist insofern fatal, weil es ja gleichzeitig eine Atomisierung, eine Fragmentarisierung der Gesellschaft gibt, und wenn man das koppelt mit dem gläsernen Menschen, sind wir bald so weit, und das ist ja eine der Pointen unseres Buches, dass die Visionen von George Orwell harmlos wirken."
Sind wir bald so weit? Wir wollen es nicht hoffen! Immerhin endet "1984" damit, dass Winston durch Kugeln der Gedankenpolizei stirbt, während er gleichzeitig ein Bekenntnis zur Liebe zum Großen Bruder ablegt. Der Überwachungsstaat hat gesiegt. Wie aber lässt sich 2009 der Überwachungsstaat verhindern?
Zeh: "Da muss, glaube ich, im Kopf erst einmal ein Schalter umgelegt werden. Man muss verstehen, es gibt nicht den bösen Terroristen, für den diese Sicherheitsgesetze gelten, und dann gibt es noch die große Menge an guten Bürgern, für die diese Gesetze nicht sind, sondern diese Gesetze sind für uns alle und die meinen auch uns alle, und deswegen muss sich jeder fragen, ob er das möchte und ob er sich angesprochen fühlt. Das ist ein erster wichtiger Schritt, weil man nur vor diesem Hintergrund sich fragen kann, wie wehren wir uns konkret?"
Leider liefert das Buch auf diese Frage keine Antworten. Und das ist seine Schwäche. Es sagt laut und krachend, was seit Jahren bekannt ist, dass wir zunehmend überwacht werden. Interessant wäre zu erfahren, welche Konsequenzen das hat. Wie verändert sich eine überwachte Gesellschaft? Entstehen heute feine Risse, die zukünftig zum Bruch der Gesellschaft führen können? Wie lässt sich der Überwachungsstaat mit demokratischen Mitteln verhindern? Wir sind optimistisch, sagen Trojanow und Zeh, es geht. Aber wie?
Mirko Smiljanic war das über das Buch von Juli Zeh und Ilija Trojanow: "Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte". Das Buch, das seit heute im Handel ist, ist bei Hanser verlegt worden, hat 176 Seiten und kostet 14 Euro 90. Bei Osterwold ist zudem eine gekürzte Hörbuch-Version erschienen, sie umfasst 3 CDs und kostet 19.95 Euro.