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Oscars für "Im Westen nichts Neues"
Netflix braucht kein deutsches Steuergeld

Wir spielen wieder vorne mit! Vier Oscars für einen deutschen Film gab es noch nie. "Im Westen nichts Neues" entstand ohne einen Cent staatliche Förderung - das heiße aber nicht, dass es keine Filmförderung braucht, kommentiert Vladimir Balzer.

Von Vladimir Balzer |
Ernestine Hipper im schwarzen Kleid und Christian M. Goldbeck im Smoking halten jeweils eine goldene Oscar-Statue in Händen.
Ernestine Hipper und Christian M. Goldbeck freuen sich über den Oscar für das beste Produktionsdesign, der "Im Westen nichts Neues" zugesprochen wurde. (picture alliance / Chris Pizzello / Invision / AP / Chris Pizzello)
Wir müssen uns die deutsche Filmszene als eine glückliche Branche vorstellen. Auch wenn es noch einiges zu tun gibt, damit Erfolge wie die von Sonntagnacht häufiger werden. Aber erstmal heißt es feiern. Denn das, was da in Hollywood vergeben wurde, war nicht nur der wichtigste Filmpreis der Welt, sondern es war gleich vier Mal der wichtigste Filmpreis der Welt. Ja, es waren vielleicht nicht die wichtigsten Kategorien, aber Oscar ist Oscar - und vier für einen deutschen Film, das gab es noch nicht.

Endlich aus der Nische geholt

Also: bitte feiern, stolz sein, auf die Zukunft freuen. Denn mit diesen Auszeichnungen wird der deutsche Film endlich aus der Nische geholt. Wir spielen wieder vorne mit. Dabei kann man unterschiedlicher Meinung über die ästhetische Wirkmacht dieser Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“ sein. Es geht hier aber weniger um künstlerische als um Fragen der Kulturwirtschaft. Denn, und das ist bemerkenswert, diese 20-Millionen-Dollar-Produktion ist ohne einen einzigen Cent Fördergeld ausgekommen.

Oscars 2023

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Dreharbeiten überwiegend in Tschechien stattfanden und in Deutschland nur die Vor- und Nacharbeit. Das wiederum zog nach sich, dass das Minimum, was es an deutschen Anteilen für eine staatliche Förderung braucht, nicht erbracht wurde. Also keine Förderung.

Völlig neue Produktionswelt

Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die die Bundesfilmförderung zu verantworten hat, ist dennoch nach Hollywood gereist, um die deutsche Filmpolitik zu repräsentieren. Was für eine Ironie. Das zeigt ihren ausgeprägten Sinn für öffentliche Auftritte. Vielleicht aber auch eine Einsicht in Realitäten. Denn durch die internationalen Streamingdienste wie Netflix, die diesen deutschen Oscar-Erfolg in Auftrag gegeben haben, ist eine völlig neue Produktionswelt entstanden: internationaler, höher budgetiert und mehr auf Erfolg aus.
Die kulturpolitische Lehre aus dieser Oscar-Nacht: Netflix braucht das deutsche Steuergeld nicht, um den bislang erfolgreichsten deutschen Film der Geschichte zu machen. Das heißt aber nicht, dass es keine Filmförderung in Deutschland braucht. Ganz im Gegenteil! Sie muss sich einfach nur mehr konzentrieren.

Den "Fördertourismus" begrenzen

Das ist ja auch die Idee der Reformpläne aus dem Hause Claudia Roth: weniger Filme stärker fördern. Die regionalen Länder-Förderungen zu mehr Pragmatismus anhalten und den „Fördertourismus“ unterbinden, bei dem Filmproduktionen wie ein Treck durchs Land ziehen, um überall noch Gelder mitzunehmen. Wenn sich die regionalen Förderer auf diese Reformpläne einließen, wäre das ein Fortschritt. Dies würde Geld frei machen für künstlerisch anspruchsvolle Filme mit kleinem Publikum - nicht-kommerzielle Kunstwerke, die kein Streamingdienst aufnehmen würde, die auf Festivals laufen oder in die öffentlich-rechtlichen Mediatheken kommen.
Also: besser, genauer, strategischer Filme fördern. Das ist die Devise. Und die Feste feiern, wie sie fallen - den größten deutschen Oscar-Erfolg als Startsignal in eine internationale, blühende Zukunft des deutschen Films zu verstehen.