Archiv

Oskar Kokoschka
Humanist und Rebell

Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert 2014 sein 20-jähriges Bestehen. In einer aktuellen Ausstellung widmet sich das Haus einem der berühmtesten Künstler Österreichs: dem Expressionisten Oskar Kokoschka. Natürlich dürfen dort auch Porträts seiner Muse, der nicht minder berühmten Komponisten-Witwe Alma Mahler, nicht fehlen.

Von Carsten Probst |
    Zwei Mitarbeiter des Kunstmuseums bringen am 23.04.2014 in Wolfsburg (Niedersachsen) in der Ausstellung des Malers Oskar Kokoschka Zitate an einer weißen Wand an.
    Eine Retrospektive im Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Bilder von Oskar Kokoschka. (picture-alliance / dpa / Jochen Lübke)
    Es gibt ein kleines Bild, eine Fotografie, die dieser ohnehin schon intensiv vielgestaltigen Ausstellung gleichsam die Krone aufsetzt: Das ist die berühmte Alma-Puppe, die Oskar Kokoschka 1918 bei der Münchner Puppenmacherin Hermine Moos in Auftrag gegeben hat und die in Lebensgröße Alma Mahler nachbilden sollte. Mahler hatte sich 1915 nach einer dreijährigen, turbulenten Beziehung von Kokoschka getrennt.

    Diese Beziehung und die Trennung waren ein Wendepunkt im Leben Kokoschkas und zeichnen sich deutlich in seinem Werk ab. Sein konzentriert-feingliedrig expressiver Stil wandelt sich jetzt zu einem pastosen, schnelleren, von Leidenschaften getriebenen Farbauftrag, die Beziehung zu Alma Mahler wird auch in den Porträts zum Thema. Und auch wenn die "Windsbraut", Kokoschkas berühmtestes Gemälde von 1914, das seiner Liebe zu Alma entsprang, in dieser Ausstellung fehlt, so erahnt man an zahlreichen anderen gemalten und gezeichneten Doppelporträts den ambivalenten Reiz, den der Musenkuss durch die Witwe des 1911 verstorbenen Komponisten Gustav Mahler auf Kokoschka ausgeübt hat.
    Vom Erlös der "Windsbraut" kaufte er sich in vermutlicher Todessehnsucht angesichts des nahenden Beziehungsendes ein Pferd, mit dem er sich freiwillig zur Kavallerie im Ersten Weltkrieg meldete. Kurz darauf wurde er an der Front in der Ukraine schwer verwundet. Die Alma-Puppe aber, die Kokoschka 1918 bestellte und die er zwei Jahre lang als malerisches und seelisches Werkzeug benutzte, um diese Beziehung zu verarbeiten, wurde 1920 symbolisch vom ihm enthauptet und auf den Müll geworfen.
    Indem sie die ganz intimen Obsessionen des Künstlers offenlegt, bildet die Abbildung dieser Puppe zugleich den Kontrapunkt zum "Humanisten und Rebellen" Kokoschka, den der Titel dieser Ausstellung beschwört. Der Humanist erscheint in Kokoschkas Werk trotz vieler allegorischer Werke zu zeithistorischen Themen weniger als politische Haltung, sondern zunächst in seiner demonstrativen Abwendung von jeglicher abstrakten Kunst – er will ein Maler des Menschen bleiben.
    Gerade seine zahlreichen Porträts machen dieses Interesse am Menschenbild offenkundig, die für ihn Persönlichkeitsstudien darstellen. Er verachtete Standesdünkel und künstlerische Anbiederung an den Markt. So gesehen ist der Übergang vom Humanisten zum "Rebellen" offenkundig und zeigt sich vor allem in Kokoschkas mitunter nicht ganz von Eitelkeit freier Weigerung, sich Künstlerbewegungen anzuschließen. In Zeiten der avantgardistischen Werkkollektive besteht er auf einer individuellen Distanz, die trotzig an bürgerlichen Kunstbegriffen festhält, die die Avantgarden längst überwunden zu haben meinten, und durchläuft dabei eine erstaunlich breite Stufe malerischer Entwicklungen, in denen sein Stil sich immer neue Ausdrucksformen erobert.
    Insbesondere Kokoschkas Dresdner Jahre in den frühen Zwanzigern, die selbst als seine materiell glücklichsten bezeichnet hat, bewirken eine neue expressive Stufe seiner Malerei zu einer Zeit, da die avantgardistische Moderne bereits in ihrer Dynamik zu erlahmen beginnen. Eines der herausragenden Bilder in dieser Ausstellung ist das "Mädchen mit Puppe" von 1921/22, das mit seinen in kräftigen, hintergründigen Tönen aufgetragenen Farbflächen eine beeindruckende Synthese des modernen Malereierbes zu schaffen scheint.
    Die Amsterdamer Kuratorin Beatrice von Bormann hat mit ihrer Hängung im nicht leicht zu bespielenden Kubus des Kunstmuseums Wolfsburg eine Balance aus chronologischer Lebenserzählung und facettenreichen Übergängen geschaffen, die auch Kokoschkas vielfach kritisiertes Spätwerk nach dem Zweiten Weltkrieg neu verstehen lässt. Zuweilen als Prominenten- und Auftragsmalerei verspottet, zeigt sich Kokoschkas Werk im Zusammenhang hier von einer inneren Neuerung verwandelt, die sich vom Natur-Pathos der Moderne selbstbewusst verabschiedet.
    Nervös überreizte, betont künstliche Farben und Motiv-Verzerrungen deuten weit auf jene Phase der Malerei der 60er- und 7oer-Jahre voraus, in denen Maler wie Georg Baselitz die "Neue Hässlichkeit" propagierten. So schließt sich beinah ein wenig unvermutet, aber doch virtuos inszeniert der Kreis zu den Ausstellungen mit Gegenwartskunst, die das Kunstmuseum Wolfsburg seit zwanzig Jahren in diesem Haus präsentiert.
    Die Kokoschka-Ausstellung "Humanist und Rebell" ist noch bis zum 17. August 2014 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.