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Oskar Schlemmers Wandbild "Familie"
Wundersam gerettet

Oskar Schlemmers Kunst galt während des Nationalsozialismus als "entartet". Im Untergrund erstellte er damals das Wandbild "Familie", das jahrzehntelang unentdeckt oder versteckt blieb. Nach einem 80-jährigen Kunstkrimi ist das Bild nun restauriert in Stuttgart zu sehen.

Von Julia Schröder |
    Ein Mann auf einer Leiter und eine Frau mit einem Brett in der Hand stehen vor einem Wandgemälde in einer Galerie.
    Oskar Schlemmers Wandbild "Familie" in der Staatsgalerie Stuttgart. (dpa/picture alliance/Marijan Murat)
    Es hat lang gedauert, sehr lang, bis der Künstler Oskar Schlemmer, geboren 1888 in Stuttgart und dort auch begraben, in seiner Heimatstadt gebührend gewürdigt werden konnte. Ebenso lang hat es gedauert, bis eines seiner wenigen monumentalen Wandgemälde, die den Bildersturm der Nazis überlebten, in Stuttgart am richtigen Platz gelandet ist, in der Öffentlichkeit nämlich. Dem voran ging ein veritabler Kunstkrimi - mit Happy End. Aber von vorn.
    Bereits 1933 plante der Württembergische Kunstverein eine Einzelschau des Bauhaus-Künstlers, aber die wurde nach Hitlers Machtübernahme noch vor Eröffnung verboten. Der Rest des traurigen Kapitels deutscher Kunstgeschichte ist bekannt: Bis zu Oskar Schlemmers Tod 1943 waren Arbeiten des verfemten Künstlers nur noch einmal öffentlich zu sehen - 1937 in der Münchner Schand-Ausstellung "Entartete Kunst". Als wäre diese exemplarische Beschädigung einer Künstlerbiografie durch den Nationalsozialismus nicht genug, folgte nach dem Tod von Schlemmers Witwe ein bizarrer Erben-Streit, der jede Werkschau de facto unmöglich machte.
    Wichtiger Akteur: der Galerist Freerk Valentien
    Erst 80 Jahre nach dem 1933 vereitelten Ausstellungsplan des Württembergischen Kunstvereins, 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers und dem Erlöschen des Urheberrechts war es so weit: Die Staatsgalerie Stuttgart konnte 2014/15 ihre weithin beachtete Retrospektive zeigen: "Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt", unter anderem mit dem erstmals wieder vollständigen "Triadischen Ballett".
    Der Rundgang schloss vor einem großen Wandbild von 1940 mit dem Titel "Familie" - 2,20 auf 4,50 Meter groß und rund eine halbe Tonne schwer. Was man der in Pastellfarben gehaltenen Figurengruppe Mann-Kind-Frau vor geometrischen Flächen in zartem Rot, Blau und Gelb nicht ansah, war die Odyssee, die sie von Stuttgart über Berlin bis in die Schweiz und zurück geführt hatte. Öffentliche Stiftungen, viele Einzelspender und 250 namentlich bekannte Großstifter haben rund zwei Millionen Euro aufgebracht, um Schlemmers "Familie" nun für die Staatsgalerie anzukaufen. Und dort wird sie hinfort im Foyer des Altbaus ihre Wirkung entfalten.
    Im Zusammenhang mit den Irrfahrten des einst an scheinbar unverrückbare Stelle gemalten Bildes fällt immer wieder ein Name, der des Stuttgarter Galeristen Freerk Valentien. Es war sein Vater, der die verbotene Ausstellung von 1933 vorbereitet hatte, und es war dessen Freund Dieter Keller, Teil eines Zirkels kunstliebender Stuttgarter Gegner des NS-Regimes, der kurz nach Kriegsbeginn das Wandbild "Familie" für sein Privathaus in Stuttgart-Vaihingen in Auftrag gab - bei dem als "entartet" verfemten Schlemmer. Im Juli 1940 verwirklicht Schlemmer im Geheimen mit Wachsfarben, Sand und Bronzen auf kreidegrundiertem Nessel innerhalb von fünf Tagen seinen Entwurf auf einer Wand im Haus Keller, Knappenweg 31. Als 1943 ein Luftangriff die Straße in Schutt und Asche legt, bleibt einzig Nummer 31 unversehrt. Zerstörung droht der "Familie" auch in Friedenszeiten, während sie hinter einem Vorhang langsam in Vergessenheit gerät.
    Zwei Jahrzehnte in der Schweiz unter Verschluss
    Neue Hausbesitzer überstreichen sie mit Dispersionsfarbe. Die nächste Besitzerin plant den Abriss des Hauses samt Wandbild, beantragt dann den Ausbau. Die Staatsgalerie reagiert, die Denkmalbehörden schalten sich ein, die Erben protestieren. Hier kommt der Galerist Freerk Valentien ins Spiel. 1995 will er das Bild im Auftrag der Hausbesitzerin verkaufen, lässt es fachgerecht vom Restaurator von der Wand fräsen und zeigt es in seiner Galerie. Die Schlemmer-Erben untersagen dies. 1997 ist das Bild in Berlin zu sehen, dann bringt die Besitzerin es in die Schweiz, wo es für zwei Jahrzehnte unter Verschluss bleibt.
    Nun hat Valentien, der 82-jährige Doyen des Stuttgarter Kunsthandels, auch bei dem Ankauf mit Stifterhilfe die Fäden gezogen. Schlemmers "Familie", entstanden aus dem Geist des Widerstands und mehrfach wundersam gerettet, findet dank kunstsinnigem Bürgerhandeln heim. Es gibt Vergangenheiten, die tatsächlich weder tot sind noch vergangen.