Ein junger Mann ist gestrandet am Rand der Welt. Felix, 19 Jahre alt, sitzt in einem heruntergekommenen Haus in Tschechien, nahe zur Grenze nach Deutschland und weiß nicht, wie es mit ihm weitergehen soll. Er schreibt seiner Freundin Nina in Bonn einen langen Brief, um zu erklären, wie es dazu gekommen ist. Und worin der Abgrund besteht, an dem er, Felix, angeblich wandelt.
"Nicht mal nach Feierabend endendes Gutsein"
Nach Bonn ist Felix im Jahr 2007 mit seiner Schwester und seiner Mutter gezogen, nachdem diese in Berlin den Vater verlassen hat. Und Felix beschreibt mit einigem Widerwillen das Milieu, in das er seinerzeit hineingezwängt wurde: Die Mutter, die in einer Dritte-Welt-NGO arbeitet, geht ihm ebenso auf die Nerven wie seine Streberschwester, die ihm stets als leuchtendes Vorbild gepriesen wurde. Also geht Felix in die gezielte Opposition gegen Schwester und Mutter, deren Engagement er als heuchlerisch empfindet:
"Es war dieses aufdringliche und nicht mal nach Feierabend endende Gutsein meiner Bonner Familie, das mich immer häufiger zum Fürsprecher des Bösen hat werden lassen, nicht aus Überzeugung, wie Laura und meine Mutter dachten, wenn ich mit einem einzigen Einwurf eines ihrer politischen Gespräche entgleisen ließ, die genau genommen darin bestanden, sich gegenseitig in der jeweils völlig identischen Haltung zu bestärken, sondern aus Prinzip."
Es gibt kaum etwas, was sich zur Verteidigung von André Kubiczeks Roman ins Feld führen lässt. Schon die Ausgangslage dieses hoffnungslos missglückten Buchs ist ein Konstruktionsproblem: Da sitzt also jener Felix in der tschechischen Hütte und schreibt an Nina. Allerdings berichtet er ihr zunächst von Ereignissen, bei denen sie selbst dabei war. Das ist unplausibel, aber notwendig, um dem Leser die Gründe für Felix' Flucht zu seinem Vater nach Berlin zu erklären. Nur so viel: Es geht um eine Antifa-Demo in Köln, zu der Felix und Nina damals gemeinsam aufgebrochen sind, und um den brennenden Oldtimer eines rechtsradikalen Hipsters.
Ostkater-Stimmung in holperiger Briefform
Marek wiederum, Felix' Vater, ein Literaturwissenschaftler und Universitätsdozent, sitzt seinem Sohn gegenüber. Und anstatt ihm zu sagen, was er zu sagen hat, schreibt auch er alles in einem langen Brief auf. Was er aufschreibt, ist in verschraubtem Beamtendeutsch formuliert und noch dazu recht abstrus:
"Natürlich hatte diese Renaissance unseres Sexuallebens, das sich im Laufe der Ehe bei einmal GV circa alle zwei Wochen eingependelt hatte, nichts mit Lust zu tun, und so wunderte es mich gar nicht, dass mir Miriam eines Tages gestand, ihr Gynäkologe habe schon vor Monaten jene Spirale wieder entfernt, die sie sich zwecks Karriereschub hatte einsetzen lassen."
Erzählt man so etwas seinem 19-jährigen Sohn, den man seit mehr als einem Jahrzehnt nicht gesehen hat?
Der Dritte im Bunde, der sich ebenfalls in der tschechischen Hütte verkrochen hat, ist Veit Stark, ein Kollege von Marek. Warum Kubiczek ihn in der dritten Person beschreibt, während Felix und Marek aus der Ich-Perspektive sprechen, erschließt sich nicht. Wie überhaupt im Dunkeln bleibt, wohin Kubiczek mit seinem Roman will.
Sicher, man bekommt eine Ahnung, dass er, der die Umbruchssituation seiner Generation so genau und auch bestechend beschrieben hat wie kaum ein anderer, nun so etwas in Szene setzen will wie einen Ostkater, die große Gegenwartsdepression nach dem Freiheitsversprechen.
Leitartikel-Literatur
Das Land, in dem der Roman spielt, ist innerlich zerrissen. Politische Parolen, Hetze, Agitation und die Hilflosigkeit der vermeintlich Guten sind in einem riesigen Echoraum aus Realität und Internet vermengt. Veit Stark, gebürtig aus Cottbus, hat die Kontrolle über sich verloren und sich in einen rechtsradikalen Hobbytroll verwandelt.
All das wäre als Romanthema sicher relevant, nur liest man bei Kubiczek nichts über die aufgepeitschte Gegenwart, was man nicht schon in Reportagen einerseits oder auch nur in O-Tönen von Pegida-Demonstranten andererseits gehört hätte. Will Kubiczek all das demaskieren oder abbilden? Will er die ideologische Hilf- und Richtungslosigkeit vorführen? Man erfährt es nicht.
Es gibt nichts zu sagen gegen die Uneindeutigkeit eines Romans, im Gegenteil. Nur sollte diese sich sprachlich anders manifestieren als in abgedroschenen Floskeln:
"Durchhalten, wie gesagt. Vom Abitur bis zur Rente, ohne Sinn und Verstand. Spielmasse der Märkte sein. Und dass man einigermaßen komplikationslos durch den ganzen Schlamassel kommt, um am Schluss ins Grab zu steigen. Möglichst ohne Krebs zu bekommen und ohne Pfandflaschen sammeln zu müssen zwischendurch."
André Kubiczek, das muss klar gesagt sein, ist ein Autor, der gezeigt hat, dass er wirklich bemerkenswerte Romane schreiben kann. Umso schmerzlicher ist die Lektüre von "Komm in den totgesagten Park und schau". Es ist ein Buch, in dem Kubiczek weder zu einer und schon gar nicht zu seiner Form gefunden hat.
André Kubiczek: "Komm in den totgesagten Park und schau"
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 384 Seiten, 22 Euro
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 384 Seiten, 22 Euro