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Ostdeutsche Minister
Haseloff hofft auf CDU-Ostbeauftragten

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ist enttäuscht über die Personalentscheidung der Kanzlerin: Man habe sich Hoffnung gemacht, dass der Osten seitens der CDU einen eigenen Minister bekomme, sagte er im Dlf. Einiges möglich sei aber noch bei der Funktion des Ostbeauftragten.

Reiner Haseloff im Gespräch mit Sarah Zerback | 02.03.2018
    Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff
    Reiner Haseloff (CDU Sachsen-Anhalt) hält einen Ostbeauftragten als Teil der neuen Bundesregierung für wichtig (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Sarah Zerback: Seit fast nun 30 Jahren trennt Deutschland keine Mauer mehr. Doch über die Frage, ob der Osten trotzdem noch eine Sonderrolle braucht, thematisch und personell, wird jetzt, kurz bevor Deutschland endlich vielleicht bald eine neue Bundesregierung auf die Beine stellt, wieder eifrig diskutiert. Sachsen-Anhalt ist eines der fünf Bundesländer im Osten und vor der Sendung konnten wir darüber sprechen mit Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU. Nachdem nun klar ist, dass die Kanzlerin keinen der Ministerposten mit einem Politiker aus Ostdeutschland besetzen möchte, habe ich ihn zunächst gefragt, ob er findet, dass der Osten denn kein gutes Personal hat.
    Reiner Haseloff: Doch, wir stellen die Kanzlerin, und das ist, denke ich mal, unser großer Vorteil, dass ohne Kanzleramt und Kanzlerin in dieser Bundesrepublik wenig passiert. Aber natürlich: Wir hatten uns schon Hoffnung gemacht, dass wir seitens der CDU einen eigenen Minister bekommen, der auch, sagen wir mal, sehr starke Verankerung im Osten hat, damit auch bestimmte Befindlichkeiten besser transportiert in die Kabinettssitzung hinein zum Beispiel, als das den anderen möglich ist. Aber ich bin der Meinung, wir haben ja noch die Parlamentarischen Staatssekretäre und es geht ja noch um die Funktion des Ostbeauftragten, dass da noch einiges möglich sein wird.
    "Da ist ein Ostbeauftragter schon wichtig"
    Zerback: Dass die Kanzlerin jetzt aus der Uckermark kommt, heißt das denn, dass sie sich in den vergangenen zwölf Jahren ausreichend für die Belange des Ostens stark gemacht hätte?
    Haseloff: Jedem war klar, dass wir auf der einen Seite stolz darauf waren, dass wir die Kanzlerin aus den neuen Ländern stellen. Auf der anderen Seite ist sie die Kanzlerin aller Deutschen und demzufolge kann sie da nicht einseitig für jemanden Partei ergreifen, sondern muss objektiv und ausgewogen regieren. Das hat sie auch gemacht.
    Es geht ja auch darum, dass in bestimmten Prozessen davor, bevor eine Kabinettssitzung über irgendwas befindet, mit Zeichnungsverfahren die entsprechenden Interessenslagen abgeglichen werden, und da ist ein Ostbeauftragter schon wichtig.
    Zerback: Nach viel Kritik gibt es den jetzt. Da gibt es Signale aus dem Wirtschaftsministerium, dass dieser Posten doch weiter besetzt wird. Aber in den Koalitionsvertrag, den Sie ja mit verhandelt haben, da hat es diese Forderung nicht geschafft. Haben Sie da schlecht verhandelt?
    Haseloff: Na gut. Erst mal sind wir davon ausgegangen, dass das Regionalprinzip einigermaßen greift, dass jede Großregion (und wir umfassen hier im Osten ja 15 Millionen Einwohner, also die zweitstärkste Gruppe, wenn man so will, von der gemeinsamen Betroffenheitslage her), dass das in irgendeiner Weise Abbildung im Kabinett findet. Aber jetzt ist es nun nicht geschehen und das, was im Range des Parlamentarischen Staatssekretärs auch als Ostbeauftragte oder Ostbeauftragter in Funktion gebracht werden könnte, ist ja gerade jetzt in der Verhandlung und da ist die Zuständigkeit der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung, der drei Koalitionspartner gegeben. Ich hoffe, dass die sich da auf eine gute Lösung verständigen.
    "Personalentscheidungen sind ja nicht originärer Inhalt einer Koalitionsverhandlung"
    Zerback: Sie hoffen, Sie sind davon ausgegangen. In meinen Ohren klingt das dann doch recht fatalistisch. Sie hätten das ja schon auch aktiv beeinflussen können.
    Haseloff: Ja gut. Personalentscheidungen sind ja nicht originärer Inhalt einer Koalitionsverhandlung. Der Koalitionsvertrag selber ist ein ausgezeichneter und hat auch die Interessen des Ostens und die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse sehr, sehr gut im Blick. Und wenn der greift und als Bundesregierung umgesetzt wird, egal wo der Minister oder die Ministerin herkommt, dann ist das gut für den Osten. Und es ist ja nicht so, dass Personen wie Monarchen regieren können wie sie wollen. Es geht um die Umsetzung eines Koalitionsvertrages. Und wenn sich jeder Minister daran hält, dann kommt auch was herüber.
    Zerback: Stichwort Löhne angleichen, Renten auch angleichen, Ost- und Westniveau. Da würde ich sagen, das wäre durchaus auch Ihre Aufgabe gewesen, das in den Koalitionsvertrag zu verhandeln. Wie erklären Sie denn jetzt in Zukunft den Wählern, dass es eben nicht gelungen ist, den Mindestlohn in der Branche dem Westniveau anzugleichen, in der Arzt- und Pflegebranche, dass die Altenpflegerin bei Ihnen in Sachsen-Anhalt weniger bekommt als in NRW?
    Haseloff: Gewerkschaften und Arbeitgeber müssen sich natürlich hier auch verständigen. Wir können das politisch entsprechend begleiten. Bei der Rente gibt es ja die Lösung, bis 2025 die Rentenangleichung hinzubekommen. Das ist aber ein Prozess, der auch davon bestimmt wird, wie die Lohnentwicklung läuft und wenn wir nicht beobachten, ob sich die Löhne so angleichen, dass das Rentensystem auch so funktioniert, dass für die gleiche Arbeit auch die gleiche Rente herauskommt, dann müssen wir da auf jeden Fall noch mal reingrätschen. Das ist aber innerhalb des existenten Rentenrechts nur möglich und das haben wir auch festgelegt, dass diese Dinge auch weiterhin beobachtet und kontrolliert werden müssen. Wir haben eine ganze Reihe von Mechanismen, denke ich, geschaffen, die das ermöglichen.
    Zerback: Ein zweites Beispiel wäre der Breitbandausbau, auch ein Thema, was schon seit Jahren auf der politischen Agenda jeder Regierung unter der Kanzlerin steht – schnelles Internet für alle. Auch das soll es jetzt erst bis 2025 geben. Reicht Ihnen das?
    Haseloff: Na gut. Die Digitalisierung ist ein Thema, die Breitband-Anschlussqualität das andere. Das was wir unter Breitbandanschluss vernünftigerweise verstehen, hat sich natürlich auch von Jahr zu Jahr verändert. Während Breitbandanschluss noch vor einigen Jahren zwei Mbit gewesen ist, dann zehn Mbit, jetzt 50, dann ist jetzt das Gigabit-Zeitalter ausgerufen worden mit Glasfaser, da ist ja auch die Erwartungshaltung von Jahr zu Jahr nach oben geschoben worden, der die Realität im Sinne von Baukapazitäten und Investitionsmöglichkeiten der großen Anbieter gar nicht entsprechen kann.
    Zerback: Gut! Aber dann muss die Politik vielleicht auch mit der Realität schritthalten. Was wir jetzt haben ist eine ziemlich schwammige Formulierung im Koalitionsvertrag. Ich kann die mal zitieren: "Unser Ziel lautet, Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde möglichst direkt bis zum Haus." – Warum denn dann nur "möglichst" und nicht "definitiv"? Da würden doch gerade die ländlichen Regionen bei Ihnen im Osten auch von profitieren.
    Haseloff: Ich habe gerade jetzt mit Investoren bei uns gesprochen. Die sagen, dazu muss es auch die ausreichende Tiefbaukapazität geben. Wenn ich nicht genug Firmen schlagartig da habe, die der Markt ja zu stellen hat, dann kann ich Fördermittel hinstellen, dann kann ich große politische Philosophien entwickeln, dann wird es schlicht und einfach nicht eingebuddelt, dieses Glasfaserkabel. Mit solchen Realitäten müssen wir umgehen.
    Ich habe eine Region bei uns, die ist dünn besiedelt: die Altmark. Die ist doppelt so groß wie Luxemburg und Saarland zusammen. Dort wohnen 200.000 Menschen in 650 Dörfern. Der Dorfdurchschnitt beträgt dort 80 bis 130 Einwohner. Da müssen Sie sich ganz schön anstrengen, um dort überall in jeden Haushalt Glasfaser reinzukriegen. Wir müssen da wahrscheinlich auch Schwerpunkte setzen, um gewerbliche Unternehmen reinzukriegen und Gewerbegebiete. Aber das ist schon eine Herausforderung, die, wenn wir Glasfaser nehmen und nicht nur Kupfer mit Vectoring versehen, schon eine Herausforderung darstellt.
    Aber es gibt einen Rechtsanspruch darauf. Die Bundesregierung hat sich darauf eingelassen. 2025 ist in Gänze dann auch ein realistisches Ziel und Unternehmen wie die Telekom müssen sich jetzt strecken, dass sie parallel auch die entsprechenden Infrastruktur-Firmen binden, um das umzusetzen.
    "Wir sollten einfach mal sagen, Leute, das ist das Erfolgsrezept"
    Zerback: Aber wenn das doch eine so große Herausforderung ist, wie Sie sagen, wäre dann nicht doch ein eigenes Digitalministerium vielleicht sinnvoller gewesen als ein Heimatministerium?
    Haseloff: Na gut, ein Heimatministerium gibt es ja nicht. Es gibt das Innenministerium, was die Fassette Heimat mit aufnimmt, und ich heiße das ausdrücklich gut, denn gerade diese Komponente ist in unserer Gesellschaft nicht besonders im Blick gewesen in der Politik, was auch dazu geführt hat, dass viele Menschen heimatlos waren und extrem gewählt haben, vor allen Dingen in den letzten Jahren ja auch AfD. Das können wir so nicht laufen lassen.
    Horst Seehofer wird das machen. Bayern ist das modernste Bundesland in Deutschland und hat trotzdem die stärksten Traditionen und viel Heimatgefühl. Also wir sollten das nicht bloß immer lächerlich machen, sondern sollten einfach mal sagen, Leute, das ist das Erfolgsrezept.
    Zerback: Kann man festhalten, dass bei Horst Seehofer, dass in seinen Händen die Ostbelange gut aufgehoben sind?
    Haseloff: Ich glaube schon, weil wir auch bei den Bund-Länder-Finanzverhandlungen auf ihn sehr stark setzen konnten. Er war unser Partner. Er hat immer dafür gekämpft, dass die Vollendung der deutschen Einheit jetzt auch wirklich schnell passieren muss, und dass wir da finanziell ganz gut weggekommen sind, ist auch mit sein Verdienst. Da konnten wir uns auf ihn verlassen. Er hat einen Blick dafür, er ist selber ein ostdeutsches Land, wenn auch weiter im Süden gelegen.
    Zerback: Sie haben jetzt gerade die AfD angesprochen, Herr Haseloff. Die ist ja im Osten tatsächlich besonders stark und in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid sogar aktuell fast gleichauf mit der Union. Da steht es 25 zu 26. Werden Sie dort als Volkspartei gerade abgelöst?
    Haseloff: Diese Umfrage halte ich nicht für valide, weil die Bundestagswahl als letzte Wahl für uns gezeigt hat, dass zwischen Union, CDU, also bei uns im Lande Sachsen-Anhalt, und der AfD zehn Prozent dazwischen liegen. Das ist immer noch zu viel für die AfD, ...
    "Da müssen wir unsere Hausaufgaben machen"
    Zerback: Ja, fast 20 Prozent.
    Haseloff: Ja, der Abstand vergrößert sich aber gegenüber der Landtagswahl vor knapp zwei Jahren, sodass wir zumindest von der Trendentwicklung her auf dem richtigen Weg sind.
    Auf der anderen Seite ist es genau das, was Sie vorhin angesprochen haben: Wo sind die Lücken, die wir lassen für diese AfD, für die Wählerinnen und Wähler, die sich nicht mehr heimisch fühlen, die einfach Orientierung wollen, die einen handlungsfähigen Staat wollen und nicht Kontrollverluste beziehungsweise Handlungsdefizite aufgezeigt bekommen in den Medien. Und da müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Das können wir nur selber lösen, die, die in Regierungsverantwortung sind, auf welcher Ebene auch immer.
    "Es wäre nicht rechtfertigbar, so eine Chance für Deutschland auszulassen"
    Zerback: Was ist denn da Ihre ganz persönliche Hausaufgabe, die Sie mit nach Hause nehmen, um den Wählerinnen und Wählern da ein Angebot zu machen?
    Haseloff: Bei dem Koalitionsvertrag kann man genau nachlesen, an welchen Stellen wir deutliche Verbesserungen hinbekommen haben, wie wir gerade in der Infrastruktur-Entwicklung, aber auch im sozialen Bereich, Pflege, Ganztagsbetreuung in den Schulen, kommunale Programmfortsetzung – da sollten viele auslaufen, das haben wir jetzt prolongiert – und so weiter Erfolge gehabt haben. Fast 75 Prozent des gesamten zusätzlichen Budgets im Koalitionsvertrag gehen direkt in Richtung Kommunen, sind auch in vielen Bereichen für Innovation zulässig. Für unsere Hochschulen wird sich einiges tun, sodass ich sage, wer diesen Koalitionsvertrag, die 177 Seiten komplett liest, der weiß, dass die SPD-Basis gut beraten ist, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Es wäre nicht rechtfertigbar, so eine Chance für Deutschland auszulassen.
    "Ich kann mir kaum vorstellen, das die SPD das mehrheitlich ablehnt"
    Zerback: Jetzt haben Sie den Koalitionsvertrag sehr gelobt. Aber wenn die SPD jetzt am Sonntag die GroKo platzen lässt, dann war das alles umsonst verhandelt. Ärgert es Sie, dass die SPD da so viel Entscheidungsmacht hat?
    Haseloff: Ja gut. Das ist ein Koalitionspartner, den wir brauchen, um eine Mehrheit zu haben. Er hat seine eigenen Entscheidungsmechanismen entwickelt. Die müssen wir respektieren. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die SPD das mehrheitlich ablehnt, dieses Angebot, was wir gemeinsam mit SPD-Spitzenleuten auch entwickelt haben. Es ist ein Angebot, was wirklich Chancen mit sich bringt.
    Auf der anderen Seite: Wenn das schiefgeht, dann weiß ich nicht, ob die SPD auf Dauer eine Volkspartei bleiben kann.
    "Ich denke, das wird gut ausgehen"
    Zerback: Und dann müssen wir vor allen Dingen mal gucken, was in Sachen Regierungsbildung passiert. Bereiten Sie sich in diesem Fall schon mal auf den nächsten Wahlkampf vor?
    Haseloff: Nein, auf keinen Fall, weil ich denke, es wird gut ausgehen. Ich bin da optimistisch. Und für den Fall – man muss ja immer mit allen Restrisiken auch rechnen -, dass es nicht funktioniert, ist der Bundespräsident dran. Das entscheidet nicht der Bundestag oder die Kanzlerin oder der Bundesrat, sondern der Bundespräsident muss entscheiden, was jetzt für Deutschland richtig ist. Und er hat bisher diese ganze Sache gut moderiert und auch gut begleitet und ich habe volles Vertrauen, dass Bundespräsident Steinmeier auch die richtigen weiteren Entscheidungen trifft.
    "Die deutsche Demokratie ist nicht in Gefahr"
    Zerback: Und was ist für den Fall, dass die CSU Ihnen abspringt, weil Horst Seehofer hat schon angekündigt, in dem Fall, da wären Neuwahlen unvermeidbar. Wie wollen Sie den denn im Boot halten?
    Haseloff: Neuwahlen kommen irgendwann mal, hoffentlich erst in dreieinhalb Jahren – im Sinne dessen, dass die Legislaturperiode um ist. Ich glaube, man sollte jetzt erst mal Schritt für Schritt vorangehen und nicht versuchen, zu viel Wenn und Aber zu diskutieren. Wir sind erst mal optimistisch, dass unser Angebot greifen könnte, und dann muss man in Ruhe nachdenken. Aber vor allen Dingen: Dann werden auch die Parteispitzen sich mit dem Bundespräsidenten zusammensetzen und schauen, wie wir Deutschland und die Demokratie stabil halten. Die deutsche Demokratie ist nicht in Gefahr; sie ist durchaus stabil, hat jetzt sicherlich eine ungewohnte Phase. So lange hat eine Regierungsbildung noch nie gedauert. Aber ich glaube, dass wir zu einer Regierung kommen und dass wir eine Kanzlerin Merkel haben werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.