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Ostdeutsche und Mauerfall
Das Trauma der Kränkung

Auch heute noch ist im Osten von kulturellem Kolonialismus und Bashing durch westdeutsche Eliten die Rede. So klagt Sachsen-Anhalts CDU-Kulturminister Robra, dass es ihn kränke, dass der "durchschnittliche Westdeutsche so wenig Interesse für uns hat". Über die Wende und die Aufarbeitung eines Traumas.

Von Christoph Richter |
    Die Uniformjacke eines Feldwebels der NVA hängt am 12.07.2016 in der Ausstellung des NOstalgiemuseums in Leipzig (Sachsen). Mehr als 30.000 Exponate erinern in der Ausstellung, die am Samstag (16.07.2016) eröffnet wird, an 40 Jahre Alltag in der DDR. Der Großvater der heutigen Museumschefin hatte die Utensilien einst zusammengetragen und das Museum bereits 1999 in Brandenburg an der Havel eröffnet - jetzt ist es in die Messestadt umgezogen. Foto: Hendrik Schmidt/ZB | Verwendung weltweit
    Viele DDR-Bürger mussten ihre Lebensentwürfe sprichwörtlich an der Gaderobe abgeben. Uniformjacke eines Feldwebels der NVA im Nostalgiemuseum in Leipzig. (dpa-Zentralbild)
    Der Ost-West Streit, er lebt neu auf. Befeuert durch Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung. Er spricht von einer Dominanz westdeutscher Eliten im Osten. Das werde als "kultureller Kolonialismus" erlebt, sagte der einstige DDR-Bürgerrechtler kürzlich in einem Interview der "Berliner Zeitung". Er bezieht sich auf eine Studie und sieht eine wachsende Entfremdung von staatlichen Institutionen und Demokratie.
    Anlass für unseren Sachsen-Anhalt Landeskorrespondent Christoph Richter, sich mal ein Bild zu machen, wie es um die Ostdeutschen und deren Blick auf den Mauerfall bestellt ist:
    "Bin manchmal ein bisschen verbittert. Das muss ich ehrlich sagen. Was sie da mit uns gemacht haben, fand ich nicht in Ordnung…"
    "Wir wurden sozusagen aussortiert"
    Sigrid Bergemann ist eine zierliche Frau, Mitte 70. Und sie war Thälmann-Werkerin, erzählt sie nicht ohne Stolz. Gemeint ist damit das frühere Schwermaschinenkombinat "Ernst Thälmann" in Magdeburg - kurz SKET, gewissermaßen die Krupp-Werke des Ostens. 1989 waren hier 30.000 Mitarbeiter beschäftigt, danach hat es die Treuhand filetiert, wie Kritiker zynisch sagen.
    "Ja, wir wurden sozusagen aussortiert. Und fertig waren sie. So war die Realität."
    Jetzt könne sie wieder lachen, sagt sie noch. Das war nicht immer so. Mitte der 90er Jahre war der Stress so groß, dass Sigrid Bergemann einen Herzinfarkt bekam, lange im Krankenhaus lag: "Unsere Geschichten wollte und will keiner hören, man fühlt sich fremd im eigenen Land." So die weitverbreitete Meinung, insbesondere der Generation, die 1989 zwischen 40 und 50 Jahre alt war. Vom Glücksgefühl über den Mauerfall ist da wenig zu spüren.
    "Im Osten war es ja so ein bisschen kolonialistisch"
    Stattdessen kursieren immer noch die Vokabeln von Liquidation, Ausverkauf, Goldrausch. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, wenn es um die 90er Jahre in den Neuen Ländern geht. Wenn das Wort Treuhand fällt, läuten noch heute die Alarmglocken. Zur Erinnerung: Die Aufgabe der Behörde war es, die Unternehmen der einstigen DDR zu privatisieren. Ein gigantisches Vorhaben. Bis heute wird der Treuhand der Vorwurf gemacht, dass sie die frühere DDR deindustrialisiert, 2,5 Millionen Menschen arbeitslos gemacht und damit ihrer Würde geraubt hätte.
    "Im Osten war es ja so ein bisschen kolonialistisch. Weil, da kommt jetzt jemand von außen. Da kommt so ein Regierungsbeamter - was weiß ich - aus Bayern, der setzt sich in Sachsen hin und macht große Karriere. Viele waren sauer auf die, die Leute waren gekränkt. Kränkung ist aber immer was Schlimmes."
    "Oftmals auch mit einer gewissen Larmoyanz"
    Worüber aber nie laut geredet wurde, sagt die gebürtige Magdeburgerin Anett Gröschner. Buchautorin. Laut einer Studie kommen nur gut 13 Prozent der Richter in Ostdeutschland aus dem Osten, von 22 Hochschulrektoren in den Neuen Ländern seien bloß drei im Osten geboren. Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Zeit nach dem Mauerfall, den biografischen Brüchen und enttäuschten Hoffnungen gebe es bis heute kaum, erzählt Gröschner. Eine energische Frau, Anfang 50.
    "Viele Geschichten wurden auch nicht angehört. Die wurden oftmals auch mit einer gewissen Larmoyanz vorgebracht, das will auch niemand hören. Die Geschichten müssen anders erzählt werden, mit so einer gewissen Klarheit. Ruhig, mit Argumenten, ich finde auch mit Humor."
    Menschen "die Möglichkeit gibt, ihre Stimme zu erheben"
    Als Anwalt der Ostdeutschen hat sich jetzt Thomas Krüger in die Bresche geworfen. DDR-Bürgerrechtler und Chef der Bundeszentrale für politische Bildung. Und spricht in einem Zeitungsinterview vom kulturellen Kolonialismus westdeutscher Eliten, die den Osten dominierten. Sachsen-Anhalts CDU-Kulturminister und Chef der Staatskanzlei Rainer Robra sagt, dass es ihn kränke, dass der "durchschnittliche Westdeutsche so wenig Interesse für uns hat". Das alles sind Formulierungen dieser Tage und nicht von vor zehn oder fünfzehn Jahren.
    "Ja, ich glaube schon, dass es da ein Defizit gibt und das eine Reihe von Problemen - jedenfalls im öffentlich-politischen Diskurs - doch zu kurz gekommen sind. Und deswegen ist es auch richtig, dass man sich mit diesen Problemen jetzt noch mal neu auseinandersetzt. Und fragt, was die Menschen zu erzählen haben und versucht, ihnen diese Chancen einzuräumen und damit ihnen auch die Möglichkeit gibt, ihre Stimme zu erheben und ihre Position zu vertreten."
    "Marginalisiert, exotisiert, ja auch lächerlich gemacht"
    Raj Kollmorgen ist Sozialwissenschaftler an der Hochschule Zittau/Görlitz, am südöstlichsten Rand Deutschlands. Spezialist auf dem Gebiet postsozialistischer Transformationsforschung. Die Ostdeutschen wurden gerade in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung marginalisiert, exotisiert, ja auch lächerlich gemacht. Dinge, die sie beschädigt haben, wie Kollmorgen sagt. Und: Das wirke nach. Weshalb nun debattiert wird, ob der Wahlerfolg der AfD in Ostdeutschland seine Ursachen in der Nach-Mauerfallzeit hat. Die sächsische SPD-Integrationsministerin Petra Köpping fordert daher eine öffentliche Auseinandersetzung, der richtige Weg sagt Soziologe Raj Kollmorgen.
    "Und das muss nicht münden, in eine allgemeine neue Wehleidigkeit. Aber dem kann man begegnen, weil man mit diesem biografischen Material, mit diesen Äußerungen auch kritisch umgehen kann. Das würde ich im Übrigen auch fordern. Und das wird in Erzählwerkstätten auch getan, also man muss das nicht einfach so stehen lassen, man kann sich dazu auch kritisch verhalten."
    Traumata aufzuarbeiten "kann Jahrzehnte dauern"
    Das man jetzt erst - 28 Jahre nach dem Mauerfall - beginnt, öffentlich über das Erlittene zu sprechen, verwundert Jörg Frommer keineswegs. Er ist Traumaforscher und Chef der Magdeburger Uniklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
    "Wir wissen aus der Psychotraumatologie, dass bei vielen Betroffenen die erste Reaktion das Schweigen ist. Dass zunächst die Bewältigung darin besteht, das Ganze möglichst weit wegzuschieben und darüber zu schweigen. Das geschieht aus reinem Überlebenswillen. Denn wenn man das erzählen würde, was passiert ist, würde es einem die Beine wegziehen. Das heißt, wir rechnen immer damit, das lange Jahre vergehen, bevor Menschen berichten können, was traumatisch der Fall war. Sie müssen erst eine Stabilität im Alltag wieder erlangen, dann können traumatische Dinge aufgearbeitet werden. Das kann Jahrzehnte dauern."
    Scham über das Scheitern eigener Lebensentwürfe
    Bei den vielfach erlebten biografischen Brüchen, gehe es um Scham. Um das Scheitern eigener Lebensentwürfe, von denen man nicht mal engsten Freunden erzähle, erläutert Psychoanalytiker Jörg Frommer. Doch mittels des narrativen Erzählens über sich selbst, indem Ostdeutsche im öffentlichen Raum über ihre teils traumatischen Transformationserfahrungen sprechen, könne man Ängste überwinden, aus der Sprachlosigkeit herausfinden. Das sei der genau richtige Weg, so Forscher Frommer weiter.
    "Eine absolut gute Idee, absolut unterstützenswert. Weil: Sie erfordert das Hineingehen in öffentliche Diskurse, aus dem verängstigten Leben in Nischen, sich was trauen, seine Meinung sagen. Absolut positiv."
    Mit dem Bashing westdeutscher Eliten jedoch kann Frommer wenig anfangen, er selbst ist Mitte der 1990er Jahre aus Düsseldorf nach Magdeburg gekommen. Aber es mache ein Dilemma deutlich: Denn einerseits klage man, dass zu viele "Westeliten" in den Osten gekommen seien, andererseits wollte man aber auch keine alten "Osteliten" in Machtpositionen. Eine Spanne, die damals wie heute nicht aufzulösen ist.