Jessica Sturmberg: Wie wird der Ausgang der Wahlen in Brandenburg und Sachsen von der Wirtschaft, von Ökonomen bewertet? Darüber habe ich vor der Sendung mit Oliver Holtemöller, dem stellvertretenden Präsidenten des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle gesprochen und zunächst gefragt: Welche Folgen sehen Sie für das wirtschaftliche Klima in den beiden ostdeutschen Ländern?
Oliver Holtemöller: Wirtschaftliche Tendenzen oder auch so etwas wie Unternehmensstimmungen ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen. Die Wahlergebnisse, die wir jetzt sehen, sind ja nicht total überraschend, sondern die spielen sich in der Bandbreite dessen ab, was auch vorher zu erwarten war. Wir haben in den ostdeutschen Flächenländern grundlegende, langfristig ausgerichtete ökonomische Grundprobleme, die vor allem mit der Demographie zusammenhängen, und man kann sich schon die Frage stellen, wie das in dieser Richtung mit den Parteien, die jetzt weiter die Verantwortung tragen werden, weitergehen wird.
Sturmberg: Was ist denn dann Ihre Langfristperspektive?
Holtemöller: Die demographischen Probleme sind in Ostdeutschland das, was das Klima für die Zukunft bestimmen wird. Diese demographischen Probleme werden noch einmal verstärkt durch den anstehenden Strukturwandel auch in den Braunkohleregionen. So ein Strukturwandel geht immer auch mit ein wenig stärkerer Abwanderung einher. Menschen, die gut qualifiziert sind, haben angesichts der immer noch günstigen Arbeitsmarktsituation in Deutschland ja überall gute Chancen.
Es wird schwierig sein, die Menschen davon zu überzeugen, ihre wirtschaftliche Zukunft in diesen Ländern zu suchen, in denen die demographischen Probleme so gravierend sind. Die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung geht weiter. Die Unternehmen in Ostdeutschland sind relativ kleinteilig und weniger international als in Westdeutschland.
Es muss also ein Konzept gefunden werden, mit dem Unternehmen, die vor Ort aktiv sind, auch weiter wachsen können, internationaler werden können, und das ist natürlich schwierig, wenn ein Großteil der Menschen auch Sympathien mit fremdenfeindlichen Kräften hegt.
"Teilweise ist die Infrastruktur besser als in Westdeutschland"
Sturmberg: Die Bundesregierung hat ja kurz vor der Wahl die 40 Milliarden Strukturhilfe für die Kohleländer beschlossen. Das Geld soll ja in die Infrastruktur fließen. Da ist doch ein großes Investitionsvolumen in Sicht.
Holtemöller: Ja, die physische Infrastruktur ist nicht der Flaschenhals der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland. Teilweise ist die physische Infrastruktur besser als in Westdeutschland. Zumindest ist sie gleichwertig, abgesehen vielleicht von der digitalen, der Internet-Verfügbarkeit in einigen Regionen. Nur mit Geld, das in die Infrastruktur, in Sachkapital gesteckt wird, wird man die ökonomischen Probleme Ostdeutschlands nicht lösen können. Man muss auf der ganzen Breite des Bildungssystems besser werden. Das fängt bei den hohen Schulabbrecher-Zahlen an. Das geht damit weiter, dass die ostdeutschen Universitäten im Wettbewerb mit den westdeutschen Universitäten im Bereich der Spitzenforschung nur ganz schwer mithalten können. Das hängt damit zusammen, dass im Bereich der Hochqualifizierten sogenannten Blue-Card-Empfänger die Zuwanderung sehr viel geringer ist als in den westdeutschen Bundesländern. Das sind die Probleme, die im Bereich der Qualifikation der Menschen liegen, und die kann man mit Investitionen in Straßen oder in Schulgebäude oder in andere physische Infrastruktur nicht wirklich bekämpfen.
Wir wissen aus der empirischen Forschung, dass heterogene Gesellschaften, in denen es unterschiedliche Arbeitsweisen, unterschiedliche Sichtweisen gibt, auch besser sind in der Innovation, dass kreative Milieus dann im Dienstleistungssektor auch bessere Ergebnisse mit sich bringen, und da kann natürlich das aktuelle Wahlergebnis auch ein kleiner Dämpfer in dieser Richtung sein.
"Was in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren passiert ist, ohne Beispiel"
Sturmberg: Wenn jetzt genau in dieses Humankapital investiert würde, Herr Professor Holtemöller, wann würden denn die Menschen die Früchte ernten?
Holtemöller: Ich glaube, die Menschen in Ostdeutschland ernten schon heute sehr deutlich die Früchte des jahrelangen Aufholprozesses. Im internationalen Vergleich ist das, was in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren passiert ist, ohne Beispiel. Es gibt keine andere Region in der Welt, die innerhalb von 30 Jahren wirtschaftlich so stark aufgeholt hat, und nicht nur wirtschaftlich. Diese Prozesse dauern aber sehr lange Zeit und wir müssen davon ausgehen, dass wir ökonomische Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland noch über Generationen haben, genauso wie wir ja auch innerhalb Westdeutschlands zwischen einzelnen Regionen himmelweite ökonomische Unterschiede haben.
"Man muss sich angucken, welche Dinge funktionieren"
Sturmberg: Aber die Unterschiede drücken sich ja dann auch in Frust aus, der bei Wahlen auch ein solches Ergebnis hervorbringt.
Holtemöller: Man darf nicht alles über einen Kamm scheren. Wir haben in Ostdeutschland natürlich Regionen, die ausgezeichnete Perspektiven haben. Zum Beispiel entwickelt sich Jena hervorragend mit seiner optischen Industrie. Es entwickelt sich Leipzig hervorragend. Wir haben auch in Dresden im Technologiebereich einige sehr positive Entwicklungen. Brandenburg profitiert sehr stark von der Hauptstadtfunktion Berlins in seinem Zentrum.
Man muss sich angucken, welche Dinge funktionieren. Wir sehen positive ökonomische Entwicklungen in einigen Schwerpunktregionen, wo es Lokomotiven gibt, und die Wirtschaftspolitik kann zum Beispiel solche Lokomotiven besser fördern. Das würde auch auf die Regionen im Umland ausstrahlen und so funktioniert es ja auch in vielen Regionen Westdeutschlands.
Der Unterschied zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland ist nicht, dass es strukturschwache oder relativ wirtschaftsschwache Regionen gibt, sondern in Westdeutschland gibt es sehr viel starke Lokomotiven, regionale Lokomotiven, die den ganzen Zug stärker ziehen, und daran muss auch in Ostdeutschland stärker gearbeitet werden, dass es diese regionalen Zentren gibt, urbane Dienstleistungsräume, wo die Wirtschaft dynamischer ist.
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