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Osteuropäische Lkw-Fahrer
Ohne Wasser, Dusche und Toilette

Müll, Toilettenpapier, aufgehängte Wäsche: Lkw-Fahrer aus Osteuropa verdienen zu wenig, um sich ein Hotel zu leisten. Stattdessen campieren sie auf ihrer Fahrt durch Deutschland in ihren Lkws. Anwohner empfinden die Situation als unzumutbar.

Von Gerhard Schröder |
Tschechische LKW-Fahrer nutzten das Sonn- und Feiertagsfahrverbot für Lastkraftwagen auf deutschen Autobahnen zu einem Grillnachmittag
Viele osteuropäische Lkw-Fahrer fahren für rumänische oder bulgarische Mindestlöhne (imago/Ralph Lueger )
Ein Samstagnachmittag im Duisburger Hafen. Milan steht vor der offenen Ladeklappe seines LKW, schwarzer Jogging-Anzug, heller Kapuzenpuli, blaue Winterjacke. Er bückt sich zu dem Gaskocher, in der Pfanne brutzeln Pommes. Es ist Zeit fürs Mittagessen. Auf einem weißen Plastiktisch stehen drei Schüsseln mit Broccoli, Thunfischsalat und Reis. Daneben eine Flasche mit Traubenschnaps.
Milan ist LKW-Fahrer, er heißt eigentlich anders, möchte aber im Radio lieber nicht erkennbar sein. Er kommt aus Mazedonien, ist etwa 30 Jahre alt, kurze Haare, schwarzer Bart. Wochentags ist er mit seinem LKW auf der Autobahn unterwegs, transportiert Waren von Deutschland nach Frankreich, Belgien oder in die Niederlande. Die Wochenenden verbringt er oft hier, auf dem Parkplatz im Duisburger Hafen.
Die Wochenenden im Lkw
Der Parkplatz in Duisburg-Rheinhausen ist zu einem beliebten Treffpunkt für osteuropäische LKW-Fahrer geworden. Viele verdienen so wenig, dass sie sich ein Hotel nicht leisten können oder das Geld lieber nach Hause schicken, zur Familie. Deshalb verbringen sie die Wochenenden in ihren LKWs, auf einem Parkplatz im Hafen. Ohne Wasseranschluss, ohne Duschen, ohne Toiletten.
Viele Lkw-Fahrer kochen sich in ihren Pausen selbst essen. Auf einer Ablage liegt verschmutzes Geschirr.
Viele Lkw-Fahrer kochen sich in ihren Pausen selbst essen (imago images / Christian Thiel )
"Ja, das ist unser größtes Problem," sagt Marek, ein hagerer Mann mit streichholzkurzen Haaren, 39 Jahre alt. Auch er kommt aus Mazedonien.
"Wir können uns hier nicht waschen, es gibt keine Toiletten. Das ist wirklich schwierig."
Nicht nur für die Fahrer, sondern auch für die Anwohner.
"Das sind die Friemersheimer Rheinauen, die zählen zum Naturschutzgebiet."
Manuela Kahlke steht auf dem Damm oberhalb des LKW-Parkplatzes, und zeigt auf die Rheinwiesen, auf das Gebüsch, das viele Fahrer ersatzweise als Toilette nutzen. Toilettenpapier und Müll liegen zwischen den Sträuchern herum.
"Ja klar, es stinkt, es ist dreckig. Es ist alles vermüllt, das sieht nicht schön aus. Macht keinen Spaß, da spazieren zu gehen."
Lastkraftwagen bei Gotha (Thüringen) auf einem Parkplatz.
Fernfahrer in der EU: "Millionen von Fahrten, viel zu wenig Kontrolleure"
Die EU-Länder wollen Arbeitsbedingungen für Fernfahrer verbessern. Es gehe vor allem darum, dass Fahrer nicht monatelang im Fahrzeug verbringen, sagte Frank Huster vom Bundesverband Spedition und Logistik im Dlf.
Der Unmut in der Bevölkerung wächst
Die Bevölkerung ist sauer, sagt Manuela Kahlke. 800 Meter von dem LKW-Parkplatz entfernt betreibt sie einen kleinen Schnellimbiss.
Jetzt soll ein Krisengespräch helfen. Der Duisburger Gewerkschafter Frank Indervoort hat eingeladen, und viele sind gekommen, zu Manus Treff, dem kleinen Imbiss von Manuela Kahlke am Rande des Hafengeländes: Bundestagsabgeordnete, Landes- und Kommunalpolitiker, Vertreter der Duisburger Polizei und der Hafengesellschaft. Insgesamt drängen sich zwei Dutzend Personen um die wenigen Tische in Manus Schnellimbiss.
"Ich kann nur sagen, wir haben großes Interesse, das Thema in den Griff zu bekommen. Wir sind froh, den Hafen und die Arbeitsplätze zu haben", sagt Martin Murrack, er ist Stadtkämmerer in Duisburg. Ein smarter Typ, 42 Jahre alt.
"Logistik muss mit den Bewohnern Hand in Hand gehen. Und das geht nur mit klaren Regeln, guten Angeboten und einer gewissen Kontrolle der Lastkraftwagen, die hier hin kommen."
Allzu präzise will der Sozialdemokrat aber nicht werden. Und das geht hier vielen mächtig auf die Nerven.
Müll an einem Picknickplatz einer Autoraststätte
Viele Autobahnraststätten sind nicht auf übernachtende Lkw-Fahrer ausgelegt ( imago/ Müller-Stauffenberg )
"Wir haben vor einem halben Jahr einen Antrag gestellt, hier Dixie-Klos aufzustellen", sagt Reiner Friedrich, er sitzt für die SPD im Stadtparlament. Passiert ist bislang nicht viel.
"Ein Dixie-Klo aufzustellen ist nicht so komplex. Dieses wird seit Jahren diskutiert. Wir sind diese Diskussion leid, wir können es unseren Bürgern nicht mehr erklären."
Der Unmut in der Bevölkerung wächst, sagt auch Astrid Hanske, die Bezirksbürgermeisterin von Duisburg-Rheinhausen.
"Die Bevölkerung ist sauer. Wenn überall das Toilettenpapier in den Bäumen hängt, und die Kacke in den Vorgärten. Was sollen die Leute denn machen? Es hilft keiner."
Fahren für rumänische oder bulgarische Mindestlöhne
Die Situation ist unzumutbar, sagt Hanske, für die Anwohner, und auch für die Fahrer, die zu Dumpinglöhnen und schwer erträglichen Arbeitsbedingungen auf den Autobahnen unterwegs sind. Das sei das eigentliche Problem, die dreiste Art, wie die Fahrer aus Osteuropa ausgenutzt werden, sagt Dirk Engelhardt, er ist Vorstandssprecher des Bundesverbands für Güterverkehr und Logistik.
"Gleiche Arbeit für gleiche Entlohnung, das ist normaler Wettbewerb, dagegen hat die Branche überhaupt nichts, aber was derzeit hier stattfindet, ist einfach illegal, das läuft unter Sozialdumping. Und das muss dringend abgestellt werden."
Die osteuropäischen Fahrer sind meist bei bulgarischen oder rumänischen Firmen angestellt. Und bekommen rumänische oder bulgarische Mindestlöhne, also 250 bis 300 Euro im Monat. Für die Fahrer ist das trotzdem lukrativ, denn mit Spesen für Übernachtungen können sie auf über 1500 Euro pro Monat kommen.
Fernfahrer trocknet seine Wäsche an der Motorhaube seines LKW auf der Raststätte Frechen an der BAB A4. An den deutschen Autobahnen fehlt es oft an geeigneten Rastplätzen für Fernfahrer. Deshalb müssen die LKW-Fahrer oft improvisieren. 
Ein polnischer Fernfahrer trocknet seine Wäsche an der Motorhaube seines LKW auf einer deutschen Raststätte (imago / PaulxEckenroth )
"Was dazu führt, dass die Bilder tägliche Praxis sind: Campierende Fahrer, die auf den Ladepritschen ihre Ruhezeiten verbringen, ihre Mahlzeiten kochen, ihre Wäsche aufhängen. Und das alles kann im Jahr 2020 einfach nicht mehr im Sinn des Erfinders sein."
Die Fahrer tragen alle Risiken, sagt die Gewerkschaft
Mittlerweile sind vielen Auftraggebern aber offenbar auch osteuropäische Mindestlöhne noch zuviel. Und drängen die Fahrer in die Selbständigkeit, so wie Marek aus Mazedonien.
"Ich mache das seit letztem Sommer so. Für mich ist das ok. Ich habe meinen eigenen LKW, ich entscheide selbst, wann ich fahre. Und wann nicht. Meistens gibt es viel zu tun, ich habe viele Aufträge. Und dann verdiene ich natürlich auch ganz gut."
Im Schnitt bekommt er 2000 Euro brutto, in guten Monaten auch mehr, das ist in Ordnung, sagt Marek. Kein Geld verdient er allerdings, wenn er nach Hause fährt, nach Mazedonien, oder wenn er krank ist. Und auch Reparaturen am LKW muss er selbst bezahlen. Die Auftraggeber entziehen sich vollständig ihrer Verantwortung, die Fahrer tragen alle Risiken, sagt Frank Indervoort von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
"Und das ist natürlich für die Unternehmen, die eine Briefkastenfirma in Bulgarien gründen, dort Fahrer anwerben, und die dann hier fahren lassen, hoch lukrativ. Die sind aus der Verantwortung raus, denen kann nichts mehr passieren. Die Verantwortung, das wirtschaftliche, das rechtliche Risiko liegt allein beim Fahrer."
Der muss sich dann irgendwie durchschlagen, auf Parkplätzen in Industriegebieten, ohne Wasser, ohne Duschen, ohne Toiletten.