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Osteuropas surreale Realitäten

Dorota Maslowska gilt als Shootingstar der jungen literarischen Szene in Polen und erhält viel Lob, aber auch Kritik, für ihren authentischen Jugendslang. Vor zwei Jahren schrieb sie ihr erstes Bühnenstück unter dem Titel "Zwei arme polnisch sprechende Rumänen". Jetzt hat es Armin Petras bei den Wiener Festwochen in Szene gesetzt.

Von Hartmut Krug |
    So wie in ihren Romanen gibt es auch in Dorota Maslowskas erstem Theaterstück aus dem Jahr 2006 nur gebrochene Gestalten, die, wie die Autorin sagt, "doch intelligent und im tiefsten Innern gute Menschen, aber dennoch unglücklich sind und die von den Normen oder ihrer gesellschaftlichen Rolle in bestimmte Haltungen gezwungen sind."

    "Zwei arme polnisch sprechende Rumänen" sind Zufallsbekannte. Zwei junge Polen, die sich auf einer Party völlig zugedröhnt haben und erst wieder halbwegs zu sich kommen, als sie irgendwo in Polen, weit weg von Warschau sind. Noch immer sind sie high und fühlen sich stark. Also terrorisieren sie einen Autofahrer, von dem sie mitgenommen werden wollen. Dabei spielen sie Rumänen, die nach kleinbürgerlichen Vorurteilen in Polen als Underdogs angesehen werden.

    Regisseur Armin Petras, der die deutschsprachige Erstaufführung des Stückes mit dem Ensemble seines Berliner Maxim Gorki Theaters zuerst im Schauspielhaus bei den Wiener Festwochen herausbrachte, unterlegt seine Aufführung mit Balkanpop. Bühnenbildnerin Annette Riedel hat kein atmosphärisches Bühnenbild geschaffen, sondern eine hinten von Wellblech und an den Seiten vor Sperrholzu begrenzte leere, erdfarbene Spielfläche. Hier wird deutlich nur Theater gespielt, aber nicht Realität abgebildet.

    Es beginnt mit dem Autofahrer, der unter einer Verhörlampe an der Bühnenrampe sitzt und dem Kommissar vom gewalttätigen Eindringen des Paares in sein Auto erzählt, das gleichzeitig vorgespielt wird. Gespielt wird lange Zeit mit völliger Überdrehtheit: Hilke Altefrone als die junge schwangere Dschina schrillt und schreit unentwegt, bevor sie zu sich kommt und sich zu erinnern versucht, wie sie ihre Alimente auf den Kopf gehauen und wo sie ihr Kleinkind gelassen hat. Die Arbeitslose erzählt von trostlosen Jobs, während Andreas Pietschmann ihren unfreiwilligen Reisegefährten eher verhalten zwischen totaler Orientierungslosigkeit und Angst um seinen Job schwanken läßt. Denn er spielt in einer Serie den Pfarrer Gregorz und muss am nächsten Morgen zum Dreh erscheinen.

    Dorota Maslowskas Roadmovie ist recht konventionell gebaut, und die erfinderische Sprachkraft ihrer beiden Erfolgsromane "Scheeweiß und Russenrot" und "Die Reiherkönigin. Ein Rap" findet man in ihm leider nicht. Während die Autorin die Beziehungslosigkeit aller Figuren in ihrem Stück allerdings ansatzweise durchaus aus sozialen Zusammenhängen her begründet, zeigt Regisseur Armin Petras reine Theaterfiguren. Seine Inszenierung ist ein Spiel, dessen szenischen Bilderfindungen und Spieleinfällen unterhaltsam sind, dem Stück und Stoff aber alle Härte und Zuspitzung nehmen.

    Wo Maslowskas Geschichte spielt, verrät uns die Inszenierung kaum, auch wenn das junge Nicht-Paar irgendwie folkloristisch gewandet daherkommt. Manchmal motzt die Inszenierung das Geschehen sogar unnötig auf und versucht ihm tiefere Bedeutung zu geben. Wenn zum Beispiel die beiden von einer reichen, betrunkenen Frau im Auto mitgenommen werden, dann verunglückt diese im Stück bei einer Kollision mit einem Wildschwein. Bei Armin Petras wird sie im Streit von einem halbnackten, geschwärzten Mann, der ein rattengroßes Wildschwein an der Hand baumeln hat, mit einer Flasche erschlagen.

    Zwei Schauspieler spielen alle Menschen, denen die beiden unfreiwillig Reisenden begegnen. Das gibt muntere Spielanlässe, wenn Kranke, Betrunkene oder spießige Provinzler ausgestellt werden sollen. Im Hintergrund laufen oft Videobilder von Autofahrten im Schnee, und wenn die Schauspieler nicht gerade auf einem kleinen Eisblock stehen oder sitzen (Achtung: Metapher!), dann stellen sie sich oft unter einen Sack, ziehen an einer Schnur und lassen Schnee auf sich rieseln. Es gibt manch nette Spieleinfälle in dieser Inszenierung, doch Gewalt und Tod sind nur Spiel. So wird Parcha einmal mit Blutbeuteln beworfen, und ein Rausschmeißer in einer Provinzbar tritt nur im Film auf, als nackt posierender Bodybuilder.

    Insgesamt ist der Abend von schmerzloser, aber scherzvoller Harmlosigkeit. Wie sehr hier Menschen unter Einsamkeit leiden, wird nie richtig und sinnlich deutlich. Wenn Parcha, nackt auf einem Eisblock stehend, klagt, dass Frauen mit ihm nur Sex haben wollen, weil er den Pfarrer in einer berühmten Serie spielt, dann wirkt das nicht anrührend, sondern leider nur wie ein szenischer Gag.

    Wenn Parcha Dschina durch die Klotür zuruft, sie leide an fehlender Liebe, dann erhängt sie sich einfach bei Dorota Maslowska. Bei Armin Petras sieht man sie im Film, wie ihr bei Parchas Worten effektvoll das Blut den Nacken herunterrinnt. Dann geht der nackte Parcha durch den Zuschauerraum ab, und alle treten hinter einen Gazevorhang an die Rampe und schauen sehnsuchtsvoll dem Schiff nach, das auf den Vorhang projiziert wird.

    Ein harmloses Roadmovie, ein munterer, eifrig belachter und beklatschter Abend war das. Von der inhaltlichen und sprachlichen Kraft ihrer Roman ist Dorota Maslowskas Theaterstück, jedenfalls in Armin Petras deutschsprachiger Erstaufführung, weit entfernt.