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Ostfinnland
Wandern in klirrend kalten Winterlandschaften

Das östliche Finnland mit den tief verschneiten Wald- und Seenlandschaften ist das wahre Finnland, wie die Einheimischen sagen. Eine Oase der Ruhe und Abgeschiedenheit.

Von Andreas Jacobsen | 05.01.2014
    Winterlandschaft in Ostfinnland
    Winterlandschaft in Ostfinnland (SaimaaHoliday)
    Eine Wanderung zu Fuß durch hügeliges Waldgelände, das Thermometer zeigt minus 20 Grad. Ohne Schneeschuhe würde man Gefahr laufen, im tiefen Schnee zu versinken.
    "Man kann mit diesen Schuhen praktisch überall gehen, auch, wenn der Schnee einen Meter oder noch tiefer ist. Es sei denn, er ist nass."
    Niina, unsere finnische Begleiterin, kennt sich aus in dieser Gegend der Stille und Abgeschiedenheit, die bis zur russischen Grenze reicht.
    "An den strengsten Wintertagen sieht die Landschaft fast wie ein Fantasiegebilde aus. Die Landschaft ist reglos, weiß und totenstill. Die Kälte strafft die Telefonleitungen zu vibrierenden Geigensaiten. An den Ecken knistert und knarrt es. Nur das Murmeln des Quellbachs bricht die Stille."
    So beschreibt ein finnischer Autor die Wald- und Seenlandschaft im Osten seiner Heimat, wie man sie häufig während der kalten Jahreszeit erlebt. Weil sich hier die Natur viel abwechslungsreicher zeigt als in lappländischen Breiten, eignet sich das Gelände besonders für ein- oder mehrtägige Ski-Wandertouren. Übernachtet wird dabei in einfachen Jagdhütten oder Gästehäusern, auf finnisch "majataloja". Manchmal ist das Geheul von Wölfen zu hören - von scheuen Tieren, die man tagsüber in freier Wildbahn nur äußerst selten zu Gesicht bekommt. Diese Vierbeiner sind dagegen zutraulich und sehr lebendig.
    "Das hier sind sibirische Huskys, in Finnland geboren. Sie stammen zum größten Teil aus eigener Züchtung - eine der besten in ganz Europa.”
    Voller Stolz blickt Hundebesitzer Juha auf seine temperamentvollen Kameraden, die gerade von einer Schlittentour zurückgekommen sind. Die beiden Teilnehmer, ein Ehepaar aus Berlin, mussten sich gegen den eisigen Fahrtwind mit Gesichtsmasken aus Wolle schützen.
    - "So was Kaltes, das haben wir noch nie erlebt in unserem ganzen Leben. Schlimm ist das nicht, aber so eine Kälte unter minus 30 Grad habe ich noch nie erlebt. Das ist mal das ganz besondere Erlebnis, was wir dieses Jahr in Finnland haben."
    - "Die Fahrt fand ich eigentlich wunderschön, wobei im ersten Moment, als wir losgefahren sind - meine Brille war beschlagen, ich habe wenig gesehen – da habe ich doch ganz schön Herzsausen bekommen. So ein bisschen Angst vor der Geschwindigkeit, vor dem Unbekannten. Aber dann nach einer Weile, als die Hunde etwas ruhiger und langsamer wurden, fand ich es einfach nur wunderschön. Der Ausblick, der weite See, der blaue Himmel - ganz, ganz toll."
    - "Vor allem begeistert mich die Weite ohne Menschen. Das ist vielleicht das Entscheidende, was ich hier sehr schön finde an dieser Landschaft."
    Sagt eine Besucherin, die ebenfalls aus Berlin angereist ist.
    Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reisten Adelsfamilien aus Moskau und St. Petersburg in den südöstlichen Teil Finnlands, das damals noch zum russischen Riesenreich gehörte. Sie fuhren hierher zur Kur und um sich zu vergnügen - in den Wintermonaten aber vor allem, um die gesunde Luft zu inhalieren, die in dieser Gegend besonders rein ist.
    Noch heute sind überall Spuren der russischen Vergangenheit zu entdecken: aus Holz gebaute Stadthäuser und schmucke Villen ebenso wie orthodoxe Kirchen und Kapellen, darunter Finnlands größte Holzkirche mit Platz für 5.000 Menschen. Es gibt sogar noch ein Gebäude, dass man zu Ehren der letzten Zarin Alexandra Fjodorowna beim Kurort Punkaharju errichtet hatte. Dort sollte die Herrscherin ungestörte Ferientage verbringen, wozu es aber nie kam. Dafür kommen heutzutage umso mehr Leute aus Russland über die Grenze, um günstig einzukaufen, aber auch, um in Ostfinnland ihr Feriendomizil zu finden - im Sommer ebenso wie zur kalten Winterzeit.
    Es gab hier schon immer Leute, die Russisch konnten, erzählt Matti, ein Einheimischer. Jetzt aber würde es in den Schulen gelehrt, damit man die Russen besser verstehen könne. Und dann sagt er auf Russisch, "dass es draußen sehr kalt sei".
    Von Punkaharju ist es nicht weit zur Kleinstadt Savonlinna - im Sommer Veranstaltungsort international renommierter Opernfestspiele in einer mittelalterlichen Burg. Umgeben von zahlreichen Seen, die jetzt alle zugefroren sind und großen und kleinen verschneiten Inseln mittendrin, zieht diese winterliche Bilderbuchlandschaft auch Besucher aus Mitteleuropa an.
    "Man kann Sommerhäuser mieten, die winterfest sind. Und die Landschaft ist hier sehr schön im Winter. Und man hat seine Ruhe - nicht so stressig."
    Dieser Italiener ist sehr von der Natur beeindruckt - trotz der Kälte. Für ihn, der aus einem südlichen Land kommt, sei das hier alles total neu und er fühle sich einfach viel besser.
    Besonders abends in der Sauna empfindet man ein wohliges Gefühl, nach anstrengendem Marsch durch tiefen Schnee oder mehrstündigem Laufen auf Skiern. Und später erst recht beim Eintauchen ins Eisloch, wer denn den Mut dazu hat.
    Und wie kommt man mit der früh einsetzenden Dunkelheit zurecht? Ein Urlauber aus Norddeutschland:
    "Also der Schnee federt diese Dunkelheit doch sehr ab. Das ist ja so ein weit verbreitetes Vorurteil, dass hier alles dunkel ist im Winter und die Menschen 24 Stunden lang Schnaps trinken, um mit der Dunkelheit fertig zu werden. Das ist ein Vorurteil, das fast unausrottbar ist. Es ist aber eben falsch! Es ist so, dass vom Schnee, dieser weißen Landschaft, immer ein Licht ausgeht. Da hat diese Dunkelheit sogar für einen Mitteleuropäer 14 Tage oder drei Wochen etwas sehr Attraktives."
    Beim Aufenthalt im winterlichen Ostfinnland sollte man sich auf Überraschendes gefasst machen: Am nächtlichen Himmel zeigt sich, wenn auch nicht so häufig wie in Lappland, ein gelb-grünes Farbenphänomen: Aurora borealis, das Nordlicht, das, wenn es denn auftaucht, noch jeden in seinen Bann gezogen hat, wie diesen Besucher aus dem Ruhrgebiet.
    "Man sieht, wie Gardinen, die sich am Himmel in verschiedenen Farben bewegen, sich ständig verändern und immer wieder neu aufbauen - das ist also beeindruckend, wenn man das beobachten kann und es längere Zeit so sieht: Es zieht auf und verschwindet. Und man kann nur staunen."