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Ostsee
Wenn die Robbe dem Fischer den Hering wegschnappt

In der Ostsee ist gerade Heringszeit - doch die Stellnetzfischer in Mecklenburg-Vorpommern kehren regelmäßig ohne Fang heim. Die Robben reißen ihnen auf der Jagd nach Fisch die Netze kaputt und auch gefräßige Kormorane sorgen für leere Boote. Und dann noch die Vorgaben der EU: Die Fischer sind bedient.

Von Silke Hasselmann |
    Eine Kegelrobbe schaut aus dem Wasser
    Eine Kegelrobbe im Greifswalder Bodden in Mecklenburg-Vorpommern: Mit einem wissenschaftlichen Beobachtungsprogramm soll der Bestand der Kegelrobben in den Küstengewässern und mögliches Konfliktpotenzial mit Fischern ermittelt werden (picture alliance/ dpa/ Stefan Sauer)
    Auf dem Kutter unterwegs vor Usedom - und Andreas Zirkler ist schon wieder bedient. Ein Stellnetz nach dem anderen zieht er aus dem Wasser. Darin kein einziger Hering, dafür große Löcher. "Das waren die Robben", sagt der Ahlbecker Berufsfischer. "Die wollen sich den Fisch holen, und dabei - die haben so viel Kraft - reißen die dat kaputt."
    Seit die einst fast ausgerottete Kegelrobbe vor einigen Jahren auch wieder vor Vorpommern sesshaft geworden ist und sich seitdem munter vermehrt, sei das Flicken der engmaschigen Kunststoffnetze nahezu sinnlos geworden, ergänzt Uwe Krüger. Rückblick auf seine erste Heringswoche 2018:
    "23 Netze haben wir zu beklagen gehabt und sind dann ins Achterwasser gegangen. Wir konnten einfach nicht weiterfischen. Wir wären weit über hundert Netze losgeworden. Das sind ja unwahrscheinliche Löcher, und wenn wir neue Netze anfertigen - wir kriegen ja nicht dat Geld raus, wat die gekostet haben, wenn wir damit fischen. Und wir müssen fischen, um unsere Familien zu ernähren."
    Zander wäre eine Alternative - doch da sind die Kormorane
    Im Achterwasser gibt es keine Robben. Hering aber auch nicht. Was es dort gibt: Hecht, Barsch, Zander. Eine annehmbare Alternative für Krügers 30-Mann-Betrieb - wäre da nicht auch die Kormoranplage.
    "Und das Achterwasser, die Rückseite der Insel, ist eigentlich die Kinderstube vom Zander, vom Barsch, vom Plötz, vom Blei. Da kommen zum Beispiel um die 3.000, 4.000 Kormorane rein und fressen an einem Tag alles komplett leer. Das geht ab Peenemünde, Freest da oben los und geht bis ins Stettiner Haff durch."
    Auch am Greifswalder Bodden vor Usedom begann die diesjährige Heringssaison unerfreulich. Von den einst 250 Mitgliedern der Freester Fischereigenossenschaft sind nur noch wenige aktiv. Die beklagen, dass sich von den Politikern kaum jemand für sie einsetze. Nur Journalisten wie kürzlich vom NDR-Fernsehen interessierten sich für ihre Sorgen:
    "Wir hatten neulich 15 Netze drin. Davon waren 14 Netze kaputt und konnten wir jedes Mal sehen: Wo ein großes Loch drinne war, muss ja auch ein Fisch gesessen haben. Sonst, wenn man heile Netze reinsetzt und da sind keine Fische drin und die Robben sind da, dann bleiben die Netze auch heil. Da gehen die gar nicht ran."
    EU senkt Heringsfangquote
    Rund sechs Flickstunden pro Netz oder 100 Euro pro Neuanschaffung, dazu die Benzinkosten, aber kein Fang – als hätten die Stellnetzfischer nicht schon genug Sorgen. Die EU senkte die Heringsfangquote für dieses Jahr um fast 40 Prozent. Plötzlich sollen ihre in der DDR erworbenen "Patente für die Führung von Fischereifahrzeugen" nur noch für Ausfahrten von zwei Seemeilen vor der Küste reichen. Zugleich müssen auch sie seit diesem Jahr über eine Smartphone-App alle möglichen Daten in Echtzeit an eine Bundesbehörde übermitteln – auch bei Wellengang, Kälte und häufigem Internetausfall. Und dann seien da jene Naturschützer, denen die Wiederansiedelung von Kegelrobbe und Kormoran über alles zu gehen scheine:
    "Wir sind nun einfach mal eine Kulturlandschaft hier. Das ist ja wie mit den Wölfen."
    "Die Robbe steht an erster Stelle. Dann kommt lange nichts. Dann kommen die Kormorane. Und dann kommen irgendwann wir."
    "Wir stehen abends auf der Promenade oder in den Dünen, gucken aufs Wasser und haben unsere Erinnerungen. Denn zurzeit wissen wir nicht, wie es weitergeht. Wir haben keine Zukunft. Da sie uns schon so beschnitten haben mit den Quoten - ich habe kurz vor der Wende noch gut 100 Tonnen Hering fischen dürfen. Heute habe ich 'ne Quote von vier Tonnen Hering, die ich fangen darf. Davon kann sich keiner halten. Und wir sind alle in Traditionen Fischer, und wir wollen das weitermachen."
    Die Hoffnung stirbt zuletzt
    Im zuständigen Landwirtschafts- und Umweltministerium in Schwerin will man nun über einen "Managementplan" für Robben wie Kormorane nachdenken. Das kann dauern. Und so bleibt den Usedomer Fischern vorerst nur die Hoffnung auf den Heringszug Richtung Greifswalder Bodden, wohin sich alljährlich von Ende März bis Mitte Juni rund 80 Prozent des westlichen Ostsee-Heringsbestandes zum Laichen zurückziehen. Besonders fette Beute auch für die Kegelrobben.
    "Wenn im Greifswalder Bodden nachher mehr Hering ist, dann haben wir hier ein bisschen weniger von den Robben. Aber schauen wir mal, wie es weitergeht."
    Zumindest auf Land spielt der Hering bis Sonntag noch eine gewichtige Rolle: Bis dahin laufen die Usedomer Heringswochen. Von Zinnowitz, Ahlbeck bis Heringsdorf. Und das endet mit dem traditionellen "Heringpuken" in Koserow. Dabei holen ein Vertreter der Kurverwaltung und Gäste den fangfrischen Hering aus den Fischernetzen. Vorausgesetzt, die Robben haben ihn nicht schon wieder vorher weggeschnappt.