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Ostukraine
Der Ärger auf Kiew wächst

Offiziell lässt die ukrainische Regierung die Separatistengebiete im Osten des Landes nicht fallen. Doch Einreisebeschränkungen, der schleppende Wiederaufbau und ausstehende Gehaltszahlungen sorgen bei den Bürgern der sogenannten Volksrepubliken für Unmut über die Zentralregierung in Kiew.

Von Sabine Adler |
    Ostukraine: Ein zerstörtes Fabrikgebäude im Ort Rybeschje.
    Ostukraine: Ein zerstörtes Fabrikgebäude im Ort Rybeschje. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Für Anton Drejew aus Lugansk begann der Krieg in der Ostukraine mit einem Albtraum. Seine Frau, eine leitende Bankangestellte, wurde gekidnappt, von Anhängern der sogenannten Lugansker Volksrepublik. Das Ehepaar weiß seitdem, was es von der Gesetzestreue der neuen Machthaber zu halten hat:
    "Meine Frau arbeitet in der Privatbank, ihre Filiale wurde besetzt. Weil sie zur Führung gehörte, wurde sie in Geiselhaft genommen, eine ganze Woche lang. Die Aufständischen wollten nicht nur das Geld im Tresor, sondern auch die Schlüssel von allen Bankautomaten."
    Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
    "Guten Tag, was wünschen Sie?"
    In der Iwanowstraße Nummer 27 in Charkiw herrscht ein reges Kommen und Gehen. Hier hat die Beobachtergruppe für Menschenrechte ihr Domizil. Fälle wie Entführungen registriert sie, doch vor Gericht kann sie deswegen derzeit niemanden bringen. Aber wer im Krieg sein Haus verloren hat und nicht weiß, wie er an die staatlichen Kompensationszahlungen gelangt, zumindest der ist hier richtig. Ludmila Klotschko nimmt die Anträge entgegen: "Derzeit schreiben wir Klagen an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, um Kompensationszahlungen für zerstörtes Eigentum zu bekommen. Das Strafgesetzbuch und die Gesetzgebung beim Kampf gegen Terrorismus sind die rechtliche Grundlage dafür. Wer Kompensationszahlungen bekommen möchte, muss sich zuerst an die Polizei wenden und erklären, dass sein Eigentum durch einen Terrorakt zerstört wurde. Da die den Schuldigen nicht ermitteln kann, geht das Ganze dann vor das europäische Gericht."
    Willkürliche Gehaltkürzungen und schleppende Auszahlungen
    Dass der Wiederaufbau nur schleppend vorangeht, versteht man in Swetlodarsk sogar. Aber dass die Krankenhausangestellten seit zwölf Monaten keine Gehälter bekommen, lässt sie an Kiew zweifeln.
    "Es fehlt an Unterstützung und an Verständnis von Seiten der Regierung", sagen die beiden Röntgen-Assistentinnen. "Einen Teil unserer Gehälter bekommen wir von Hilfsorganisationen, ohne unsere Schrebergärten wären wir nicht über die Runden gekommen."
    Nur von den Bewohnern, die aus den hermetisch abgeriegelten Separatistengebieten herauskommen, kann man erfahren, was dort vor sich geht. Pawel Lisjanskij von der Menschenrechtsgruppe Ostukraine berichtet, dass Gehälter willkürlich gekürzt werden.
    "Manche bekommen überhaupt kein Geld, obwohl sie arbeiten. Andere bekommen nur einen Teil, wie zum Beispiel in den Betrieben von Rinat Achmetow. Unternehmer nutzen aus, dass die Leute sich keine neue Stelle suchen können. Die Gewerkschaften fallen komplett aus, sie sorgen dafür, dass sich die Leute nicht zum Protest organisieren und machen sich zu Helfershelfern der Machthaber dieser sogenannten Volksrepubliken."
    In den ukrainischen Medien als Verräter abgestempelt
    Die ukrainische Regierung lässt die Separatistengebiete offiziell nicht fallen. De facto erschwert sie den Menschen aber, sich weiterhin wie in einem Land zu fühlen. Denn gerademal an fünf Grenzposten erlaubt sie die Einreise von den sogenannten Volksrepubliken auf das von ihr kontrollierte Gebiet. Tatjana Nosatsch und ihr Mann mussten von Donezk drei verschiedene Busse nehmen, haben 30 Stunden gebraucht, normal wären keine zwei. Mit dem Auto hätten sie genauso lange in den Schlangen gewartet.
    "An den Checkpoints gibt es keine Toiletten, nichts zu essen zu kaufen. In die Büsche kann man nicht gehen, weil überall Minen liegen."
    Manche ukrainischen Medien bezeichnen die, die die selbsternannten Republiken nicht verlassen haben, als Verräter. Die Menschenrechtler rufen dazu auf, die Bürger in den Separatistengebieten nicht zu stigmatisieren, ihnen die ihnen zustehenden Renten zu zahlen. Die überweisen die ukrainischen Behörden aber erst nach einer langen Anmeldeprozedur, für die die Bewohner mehrfach auf ukrainisches Gebiet müssen. Entsprechend groß wird der Ärger auf Kiew.