Eine Anhöhe tief im von Separatisten kontrollierten Gebiet Luhansk. Der Vizechef der OSZE-Beobachtermission, Alexander Hug, beugt sich mit lokalen Beobachtern über eine Landkarte auf dem Kühler eines weißen OSZE-Geländewagens. Aus der Ferne hörte man die dumpfen Detonationen von Panzern. Die Separatisten üben hier den Krieg. Viele glauben, dass die Rebellen an russischen Panzern ausgebildet werden. Mehrfach schon hat die OSZE versucht, diese Gerüchte zu überprüfen, immer wieder wurde sie abgewiesen. Jetzt versucht es der Schweizer Hug mit einem Überraschungsbesuch.
"Ich habe aus diesem Grund die Route gewechselt. Die wussten nicht, dass wir kommen. Und schauen, wie reagiert wird."
Schon auf der Zufahrtsstraße versperren bewaffnete Kämpfer den Weg. Freundlich, aber bestimmt. Hug ruft den Verbindungsoffizier der russischen Armee in Donezk an, telefoniert mit lokalen Rebellenkommandeuren. Ohne Erfolg.
"Okay, war nett Sie kennengelernt zu haben. Ich werde nun berichten, dass Sie uns den Zutritt verwehrt haben." - "Das macht uns nicht sehr traurig." - "Sagen Sie bitte noch den Namen des Brigadekommandeurs, der Ihnen das befohlen hat." - "Kann ich sagen." - "Okay, auch das ist eine Information. Vielen Dank für die Verletzung von Minsk, wir fahren weiter." - "Kommen Sie wieder! Aber rufen Sie vorher an!"
Kritik immer deutlicher geäußert
Kein Einzelfall. Die OSZE-Beobachter, die eigentlich Feuerpause und Waffenabzug überwachen sollen, werden genau dabei vor allem im Separatisten-Gebiet systematisch behindert, was die eigentlich neutrale Mission in ihren Pressekonferenzen zunehmend deutlich thematisiert.
"Die Bewegungsfreiheit unserer Beobachter, wie sie in Minsk festgeschrieben ist, wird immer wieder gestört, insbesondere durch die sogenannte Luhansker und Donezker Volksrepublik. Allein zwischen dem 5 und 11. Januar wurden wir 22 Mal behindert, und das vor allem in den Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle."
Und nicht immer geht es dabei so freundlich zu wie mit dem lachenden Soldaten von Luhansk. In Horliwka im Norden des Donzeker Separatistengebiets wurde zu Jahresbeginn eine OSZE-Patrouille von bewaffneten Separatisten gezwungen, auszusteigen, und sich mit gespreizten Beinen auf den Boden zu legen, berichtet Hug.
"Unsere Beobachter wurden nicht nur illegal festgesetzt. Sie waren auch einer Gewalt ausgesetzt, die sie um ihr Leben fürchten ließ. Noch schlimmer: Das waren keine versprengten, illegalen Gruppen außerhalb der Befehlskette. Es war im Gegenteil ein gezielter, wohlorganisierter Angriff auf die Beobachter der Mission und auf die Mission als Ganzes."
OSZE-Beobachter präsent im ganzen Land
Wenig später wurden aus der Gegend, die die Beobachter eigentlich inspizieren wollten, Raketen und Artilleriegeschosse abgefeuert, berichtet die OSZE. Bei den Gefechten in Horliwka starb eine Zivilistin und ein ukrainischer Polizist, der eine weitere Verletzte bergen wollte.
"Es ist augenscheinlich, dass die sogenannte Donzeker Volksrepublik Beobachter gezielt daran hindern wollte, eskalierende Gewalt und Waffengebrauch in Horliwka zu beobachten."
Die OSZE-Beobachter sind inzwischen präsent im ganzen Land, und nicht immer werden sie so dreist behindert. Die täglichen Lageberichte der Mission umfassen Verstöße gegen die Minsker Friedensvereinbarung auf beiden Seiten, verbotene Waffen in Frontnähe; verschwundene Geschütze aus den Waffenlagern, Angriffe trotz Waffenruhe.
Die Zahl der Beobachter soll in den nächsten Wochen weiter steigen auf 800, die meisten sind in den östlichen Konfliktgebieten im Einsatz. Erst letzte Woche eröffnete die Mission weitere feste Stützpunkte - wie hier in Krasnoarmijsk auf der von Kiew kontrollierten Seite der Kontaktlinie, wie die Front im Diplomatensprech heißt.
"So viele wie möglich, und so nahe wie möglich zur Kontaktlinie. Das ist unsere Aufgabe. Hier, auf der ukrainischen Seite der Front, können sich die Kontrolleure der OSZE verhältnismäßig frei bewegen. Behinderungen durch die ukrainische Armee sind eher selten. Aber die Aufgabe der Organisation besteht nicht nur darin, Augen und Ohren aufzusperren und illegalen Waffen nachzuspüren. Die OSZE soll auch einen Dialog zustande bringen. Und das gelingt am besten im Ort Solidar."
Russisch-ukrainische Freundschaft im Stabsquartier
Das Stabsquartier unweit der Front ist der wohl sicherste Posten der ukrainischen Armee. Denn in einer ganzen Etage residiert der Feind: Hasan Kalojew, General der russischen Armee, und sein Stab aus 73 Mann, auf Einladung der ukrainischen Regierung. Das Verbindungsbüro für Kontrolle und Koordination ist der einzige direkte militärische Draht zwischen Russland und der Ukraine.
Und wenn wie heute wieder der russische General Kalojew neben dem ukrainischen General Taran Platz nimmt, dann tritt oft auch ein Vertreter der OSZE vermittelnd hinzu.
"Die Sache ist nicht so, dass man die Kämpfe per Knopfdruck einstellen kann. Die beiden Generäle haben die Übersicht, und wir steuern bei, dass wir unabhängig berichten."
Manche der in Solidar beteiligten Russen und Ukrainer kennen sich noch aus der Sowjetarmee, und obwohl der ausgehängte Essensplan getrennte Zeiten für Russen und Ukrainer vorsieht, gehen beide Generäle gemeinsam in die Kantine.
Und die OSZE? An deren Neutralität melden russische Medien ab und an Zweifel an - wie auch ukrainische Hardliner, denen schon suspekt ist, dass unter den internationalen Beobachtern auch Russen sind. Putins General:
"Die OSZE ist die glaubwürdigste Informationsquelle. Dazu gehören Menschen aus allen Staaten. Sie können keine Lügen verbreiten. Und die Bebachter arbeiten professionell. Da fahren zum Beispiel drei OSZE-Beobachter zusammen: Einer aus Großbritannien, der zweite aus Russland, der dritte aus Ungarn. Da kann nichts abgesprochen werden. Sie stellen einfach Fakten fest."
Dem stimmt auch die ukrainische Seite zu. Und das ist in diesem Konflikt schon fast einmalig.