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OSZE in der Ukraine
"Dickicht von Kommandanten und politischen Führern"

Die OSZE hat eine Beobachter-Mission an die Absturzstelle von Flug MH17 entsandt. Jede ihrer Bewegungen müsse mit den Rebellenführern besprochen werden, sagte der stellvertretende Leiter der Mission, Alexander Hug, im DLF. Im Einzelfall könne eine schlechte Kommunikation gefährlich für die Beobachter werden.

Alexander Hug im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Der Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, inspiziert die Stelle des Flugzeugsabsturzes in der Ost-Ukraine und spricht mit pro-russischen Separatisten.
    Der Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, inspiziert die Stelle des Flugzeugsabsturzes in der Ost-Ukraine und spricht mit pro-russischen Separatisten. (AFP / Dominique Faget)
    Alexander Hug ist stellvertretender Chef der Beobachter-Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine. Diese Gruppe führt die Untersuchungen auf dem Trümmerfeld des abgestürzten Passagierflugzeugs MH17 nicht selbst, sie sei auch nicht zuständig für die Bergung der Leichen.
    Das Trümmerfeld ist nach Hugs Angaben sehr groß - ihm sei gesagt worden, mehr als 25 Quadratkilometer, das ist eine Fläche fast so groß wie die Insel Borkum. Sowohl Separatisten als auch die niederländischen Spezialisten, die die Absturzstelle untersuchen, sagten, es gebe noch Leichen, die geborgen werden müssten.
    Dass die Untersuchungen erst so spät begonnen haben, begründete Hug unter anderem damit, dass die Absturzstelle in der Mitte der Kampfzone gelegen habe; anfangs habe es dort noch Kampfhandlungen gegeben, was es schwierig machte, die Sicherheit der Rettungskräfte zu gewährleisten. Die Sicherheitslage sei aber inzwischen besser geworden: "In den letzten Tagen wurde uns der Zugang dorthin gewährt, wo wir hinwollten."
    Zur Absturzursache wollte sich der OSZE-Mitarbeiter nicht äußern. Seine Gruppe habe dazu keine Expertise; er wolle nicht spekulieren.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die Flugschreiber von MH17, der abgestürzten malaysischen Boeing, sind geborgen worden im Osten der Ukraine und an Fachleute übergeben worden. Sie werden ausgewertet. Der Krieg im Osten der Ukraine geht dagegen weiter. Gestern sind zwei Maschinen der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen worden. Am Telefon begrüße ich jetzt Alexander Hug, stellvertretender Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, heute Morgen aus Kiew zugeschaltet. Guten Morgen!
    Alexander Hug: Guten Morgen.
    Grieß: Herr Hug, was ist Ihnen über den Verbleib der sterblichen Überreste bekannt, die bisher noch nicht dokumentiert werden konnten?
    Hug: Ich muss zuerst klarstellen, dass die Spezialmission, die Beobachtermission der OSZE hier in der Ukraine nicht die Untersuchungen selbst führt und auch nicht zuständig ist für die Bergung der Leichen.
    Grieß: Die Koordination haben tatsächlich die Niederländer übernommen, auf Bitten der ukrainischen Regierung.
    Hug: Genau. Dem ist so. Unsere Beobachter, die noch vor Ort sind, haben auf ihren Touren gestern auf den Trümmerfeldern keine weiteren Leichen beobachtet. Es ist aber wahrscheinlich, dass noch weitere Leichen vorhanden sind, denn beide Angaben, diejenigen der Rebellen und diejenigen der holländischen Spezialisten, sagen aus, dass die komplette Anzahl der Leichen noch nicht gefunden ist. Man muss auch sehen, dass das Trümmerfeld sehr groß ist. Uns wurde gesagt, das ist über 25 Quadratkilometer groß, und dementsprechend ist die Chance groß, dass noch Leichen geborgen werden müssen.
    "Sicherheit durch Rebellen weitestgehend garantiert"
    Grieß: Es gibt nicht nur in Europa, sondern man kann fast sagen weltweit sehr viel Kritik daran, dass das quälend lange dauert. Das ist nicht unbedingt Kritik an der OSZE, sondern Kritik womöglich an den Separatisten. Warum dauert das so lange?
    Hug: Da gibt es viele Gründe. Ein Grund ist der Sicherheitsgrund. Zumindest am Anfang, gerade nach dem Absturz, lag dieses Gebiet noch in der Mitte der Kampfzone. Es liegt immer noch an der Grenzlinie, aber am Anfang gab es noch aktive Kampfhandlungen in dieser Zone, und die Sicherheit dort zu gewähren, ist sehr schwierig und fast unmöglich. Uns wurde dann 24 Stunden nach dem Absturz, als wir dann vor Ort waren, die Sicherheit durch die Rebellen soweit garantiert, wie sie das garantieren konnten. Aber ich nehme auch an, dass die Überlegungen in Sachen Sicherheit auch ein Beweggrund für die Experten waren, nicht schnell und unüberlegt sich nach dem Osten der Donezk-Region zu verschieben.
    Grieß: Was vermuten Sie für eine Motivation bei den Separatisten, Sie von der OSZE an Ihrer Arbeit zumindest anfangs zu hindern?
    Hug: Ich möchte nicht spekulieren hier. Natürlich ist das große Team von mir, das dort auf dem Trümmerfeld angekommen ist, ein Vorkommnis, mit dem die Rebellen nicht gerechnet haben, obwohl unser Sicherheits-Departement, das uns begleitet hat, das wissen musste. Wie gesagt ist dieses Gebiet direkt an der Grenzlinie und die Rebellen, die dort vor Ort waren, waren verunsichert mit diesem großen Medienaufgebot, den Monitoren vor Ort. Das ist eine Erklärung. Weitere Erklärungen will ich hier nicht versuchen anzustellen, weil das wäre dann pure Spekulation.
    Grieß: Herr Hug, wie ist die Situation jetzt? Können Ihre Mitarbeiter in der Ostukraine in diesem Gebiet jetzt sicher arbeiten?
    Hug: Wir schätzen die Sicherheitslage selbst stündlich oder noch mehr neu ein. Wir sind in ständiger Verbindung mit den ukrainischen Streitkräften sowie auch mit den Rebellen und versuchen, unsere Sicherheit selbst einzuschätzen und dann unsere Routen selbst zu bestimmen. Wir sind natürlich angewiesen auf den Begleitschutz der Rebellen, die auch um unsere Sicherheit besorgt sind, und dementsprechend bewegen wir uns in diesem Rahmen frei. Wir sind natürlich immer darauf bedacht, dass die Sicherheit unserer Beobachter gewährleistet wird, und das ist die rote Linie, welche wir nicht überschreiten können. Aber in den letzten Tagen wurde uns der Zugang dorthin gewährt, wo wir hin wollten.
    "Stress in Grenzen halten"
    Grieß: Wenn Sie können, beschreiben Sie uns vielleicht noch etwas konkreter, wie Sie vorgegangen sind. Die Aufgabe war, an die Absturzstelle zu gehen, das Gebiet zu beobachten, es zu begehen und dann dort einer Aufgabe nachzukommen, die emotional sicher belastend war und ist. Wie sind Sie vorgegangen?
    Hug: Die Verschiebung von Donezk im Speziellen an den Absturzort, der ja 80 Kilometer weiter östlich von dieser Stadt liegt, wurde durch Verhandlungen mit dem Leadership der Rebellen ausgehandelt, und mein Team und ich selbst sind dann am Freitag, 24 Stunden nach dem Absturz, dort um fünf Uhr auf dem Platz gewesen. Wir haben dann sichergestellt, dass in den folgenden Tagen mein Team sich aufgeteilt hat in zwei Gruppen, sodass nicht jeder Beobachter jeden Tag vor Ort sein musste, um dementsprechend auch den Stress in Grenzen zu halten. Wir haben auch versucht, die verschiedenen Plätze regelmäßig zu sehen. Es gibt nicht nur eine Absturzstelle, es gibt verschiedene, bis zu acht Hauptabsturzstellen auf diesem Gebiet, wo dann die verschiedenen Trümmerfelder anders aussehen, und wir haben dann unsere Routen so gewählt, dass wir die in regelmäßigen Abständen besuchen können und somit auch die Unterschiede von einem Tag auf den anderen dokumentieren konnten.
    Grieß: Viele fragen sich, was Ursache des Absturzes gewesen sein könnte. Können Sie dazu Stellung nehmen?
    Hug: Nein, kann ich nicht. Wie erwähnt hat die OSZE kein Mandat, die Untersuchungen selbst zu führen. Wir haben auch nicht die Expertise in unserem Beobachtungsteam. Das wird durch Experten vor Ort geführt und ich möchte hier nicht spekulieren, was zum Absturz geführt hat.
    Grieß: Sie haben gesagt und beschrieben, wie Sie verhandelt haben mit den Separatistenführern. Müssen Sie oder mussten Sie auch Kontakt aufnehmen mit russischen Behörden oder Militärs?
    Hug: Nein, das mussten wir nicht.
    Grieß: Wie ist die Zusammenarbeit mit ukrainischen Militärs und Behörden?
    Hug: Die Zusammenarbeit ist sehr gut. Die läuft auf der Ebene hier in Kiew an den verschiedenen Hauptquartieren, aber auch auf operationeller Ebene, auf ihrem operationellen militärischen Kommandozentrum nahe der Frontlinie, wo wir auch Verbindungselemente unserer Mission haben, mit denen wir dann den direkten Kontakt mit den Kommandanten vor Ort führen können.
    "Immer wieder vereinzelte Gefechte"
    Grieß: Schauen wir territorial über die Grenzen des Absturzgebietes hinaus. Die Kämpfe rund um Donezk - zumindest ist das das, was uns Korrespondenten von dort berichten -, die gehen eigentlich unvermindert weiter. Wir haben gerade den Kollegen Markus Sambale gehört, der unter anderem über zwei abgeschossene ukrainische Kampfjets berichtet hat. Ist das so? Haben sich diese Kämpfe in der Zwischenzeit keineswegs beruhigt?
    Hug: Die Stadt Donezk liegt am westlichen Ende des Gebietes, das durch die Rebellen kontrolliert wird, und dementsprechend ist das auch eine Frontstadt, wenn Sie das so benennen wollen. Es gibt dort immer wieder vereinzelte Gefechte. Es gibt strategische Punkte wie zum Beispiel der Flughafen, die Bahnhöfe, die Hauptverkehrsarterien, die rein und raus aus der Stadt führen, und das sind dann die Schauplätze von Gefechten, die immer wieder vorkommen. Das können wir so bestätigen. Wir sind auch wieder aus Sicherheitsgründen meistens dann nicht vor Ort und können das nur entweder indirekt bestätigen, oder dann direkt, wenn wir dann nach den Gefechten vor Ort sind und dort die Schäden begutachten.
    Grieß: Da höre ich heraus, wenn es keine konkreten Absprachen gibt für eine ganz spezifische Mission, wie etwa an der Absturzstelle, dann sind Ihre Mitarbeiter noch immer gefährdet? Es hat ja in der Vergangenheit auch schon Entführungen gegeben. An der Zusammenarbeit hat sich nichts geändert, an den Schwierigkeiten?
    Hug: Es stimmt, dass jede Bewegung unserer Teams mit den Rebellenführern besprochen werden muss. Ein Hauptgrund ist: Es gibt keine eine Rebellengruppe, mit denen man verhandeln kann. Es gibt viele Splittergruppen. Und um sich durch dieses Dickicht von Kommandanten und politischen Führern und so weiter durchzuschlagen, braucht es diese Verhandlungen. Wenn diese nicht geführt werden, besteht das Risiko, dass wir in ein Gebiet kommen, wo wir den Kommandanten nicht kennen und der Kommandant uns nicht kennt, und das führt dann sofort zu Problemen und im Extremfall dann zu Entführungen, oder schlimmer noch zu Kampfhandlungen, in denen wir dann involviert werden.
    "Kommandant vor Ort informieren"
    Grieß: Ich merke gerade, dass wir doch etwas generalisierend häufig von den Separatisten sprechen. Jetzt sprechen Sie von Unterfraktionen, Splittergruppen. Können Sie uns einen Überblick darüber geben? Wer ist das?
    Hug: Es würde jetzt zu lange dauern, um die verschiedenen Gruppen aufzuführen. Es gibt auf der Karte verschiedene Einheiten, die verschiedene Gebiete kontrollieren. Das sind meistens die Gebiete um größere Städte, die dann verschiedene Militärkommandanten haben. Die haben eine mehr oder weniger geradlinige Führungslinie zu den politischen Führern, die aber nicht immer hält und vielfach auch die Befehle dann nicht immer runterkommen auf das Feld. Wenn wir mit den politischen Rebellenführern in Donezk zum Beispiel sprechen, ist es nicht garantiert, dass der militärische Kommandant in einer Stadt, die 70, 80 Kilometer weit weg ist, dann über unsere Verschiebung weiß. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass auch der Kommandant vor Ort direkt informiert ist.
    Es gibt nach unserer Schätzung etwa sechs größere Gruppen und dann diverse kleinere Gruppen noch, die in der Donezk- und der Lugansk-Region noch operieren.
    Grieß: Herr Hug, letzte Frage. Sie sind eine Beobachtermission, Sie beobachten und Sie berichten. Wem berichten Sie, wer nutzt Ihre Informationen?
    Hug: Wir berichten täglich den 57 Teilnehmerstaaten der OSZE. Das schließt auch ein die Russische Föderation und die Ukraine. Die Berichte werden nach Wien an das OSZE-Sekretariat geschickt, dort an die Teilnehmerstaaten verteilt, und eine Version dieser Berichte wird dann auch täglich der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt in Form einer Zusammenfassung, die auf unserer Webseite dann auch erhältlich ist. Es werden auch thematische oder spezielle Reporte von Vorfällen geschrieben, wenn es bedingt, dass ein Vorfall einen bestimmten Bericht noch benötigt. Die werden dann auch den Staaten zur Verfügung gestellt. Und es gibt auch wöchentliche Berichte, die dann die Woche zusammenfassen.
    Grieß: Alexander Hug war das, der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine. Herr Hug, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und einen guten Tag.
    Hug: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.