Für die Sicherheit der Militärbeobachter, darunter Bundeswehrsoldaten, garantiere letztlich die einladende Regierung, also Kiew, sagte der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, im Deutschlandfunk. "Ich bin auch überzeugt eigentlich, dass bei der Planung dieser Mission alle Aspekte, auch der Aspekt (...) der Sicherheit dieser Mitarbeiter, sehr, sehr sorgfältig geprüft wurde" durch die Bundesregierung. Jetzt müsse der Fokus aber auf ihre Freilassung liegen. "Seit gestern mehren sich ja die Zeichen, dass es möglicherweise doch zu einem guten Ende kommt", sagte Kujat, "und zwar ohne, dass es zu einem Gefangenenaustausch kommt."
Wichtige Erkenntnisse
Kujat sagte, der Fall offenbare zwei wichtige Erkenntnisse: zum einen "dass es immer zweckmäßig ist, direkt mit dem Gegenüber zu reden". Möglicherweise habe dies Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Rahmen seiner Geburtstagsfeier getan, die der russische Präsident Wladimir Putin vorgestern ausrichtete. "Vielleicht werden wir ihm (Schröder) dafür noch einmal dankbar sein müssen." Der Vorfall habe auch gezeigt, Putin habe offenbar "Möglichkeiten, diese Terroristen, Separatisten unter Druck zu setzen".
Die Mission der Militärbeobachter stehe auf einer rechtlich sicheren Grundlage, sagte Kujat. Ein Land könne Beobachter einladen, die dann auf Grundlage des "Wiener Dokument" der OSZE tätig werden, die alle Mitgliedsstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterzeichnet hätten - also auch Russland. "Insofern kann man also durchaus von OSZE-Beobachtern sprechen." Die Wiener Organisation verhandele auch "mit diesen Terroristen" über eine Freilassung und zeige so Verantwortung für diese bilaterale Mission.
Parallel dazu gebe es eine zivile Mission mit derzeit rund 100 Beobachtern - sie habe einen anderen Charakter, sagte Kujat. Diese solle auf bis zu 500 Teilnehmer erweitert werden sowie den Ablauf der bevorstehenden Wahlen mitkontrollieren.
Das Interview mit Harald Kujat in voller Länge
"Es war eine rechtich zulässige Mission"
Dirk Müller: Vielleicht weiß das die Bundesregierung ja auch gar nicht so genau. Zumindest redet sie offenbar nicht gerne darüber. Welche Beobachtermission ist das jetzt genau, die im Osten der Ukraine festgehalten wird? Erst acht, jetzt sieben Offiziere, darunter vier Deutsche, die nun in Geiselhaft sind. Von OSZE-Beobachtern war die ersten Tage die Rede. Das stimmt aber wohl nicht so ganz: Die Soldaten stehen nämlich unter dem Kommando der Bundeswehr. Sie sind militärische Beobachter. Sie sind Anfang März von der Regierung in Kiew angefordert worden, erbeten worden. Wer hat dieser Mission zugestimmt, wer koordiniert diese in Berlin? Das Auswärtige Amt, oder das Verteidigungsministerium? Dazu im Deutschlandfunk gestern der SPD-Parlamentarier Gernot Erler, zugleich Regierungskoordinator für Osteuropa.
O-Ton Gernot Erler: "Da bin ich nicht sicher, dass das tatsächlich in Deutschland entschieden worden ist, weil diese Missionen auf eine Einladung zurückgehen und dann selber entscheiden, was sie machen. Aber ich schließe ja nicht aus, dass es darüber eine Diskussion gibt zur angemessenen Zeit."
Müller: Soweit also der SPD-Parlamentarier Gernot Erler, Regierungskoordinator für Osteuropa, im Deutschlandfunk. – Alles also ein bisschen unklar, alles also ein bisschen im Nebel. Vielleicht kann uns der frühere NATO-General Harald Kujat weiterhelfen, der jetzt bei uns am Telefon ist. Guten Morgen.
"Man kann durchaus von OSZE-Beobachtern sprechen"
Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Kujat, wissen Sie bescheid?
Kujat: Wer weiß schon Bescheid in dieser schwierigen Situation. Wenn es um die Frage geht, ob diese Beobachter dort auf einer rechtlich sicheren Grundlage in der Ukraine waren, dann muss man diese Frage mit Ja beantworten, denn es gibt tatsächlich diese Möglichkeit, dass ein Land Beobachter einlädt, wie das in diesem Fall auch geschehen ist, und dann diese Beobachtungsmission auf der Grundlage des OSZE-Dokuments erfolgt. Insofern kann man durchaus von OSZE-Beobachtern sprechen.
Müller: Wir haben ja alle davon nicht so richtig gewusst, sondern durch die Geiselnahme von dieser Mission erfahren. Ist das so eine Art Private Partnership gewesen?
Kujat: Nein, das kann man so nicht sagen. Das ist durchaus eine offizielle OSZE-Mission. Das ist keine private Verabredung. Jedes Land hat diese Möglichkeit, Beobachter einzuladen, und davon ist hier Gebrauch gemacht worden. Sie können ja auch aus der Tatsache, dass die OSZE selbst nun diese Gespräche mit diesen Terroristen dort führt, ersehen, dass die OSZE ihre Verantwortung für diese Gruppe mit wahrnimmt.
Müller: Aber um das noch einmal zu klarifizieren, auch zu verifizieren: Das heißt, das ist eine bilaterale Angelegenheit? Kiew hat Berlin gebeten zu helfen?
Kujat: Kiew hat diese Einladung ausgesprochen, das ist richtig. Es gibt allerdings, das wissen wir auch, parallel dazu eine andere Mission, eine andere OSZE-Mission. Es sind im Grunde genommen zwei Missionen hier parallel gelaufen. Aber das ändert nichts daran, dass das eine rechtlich, nach dem Wiener Dokument zulässige Mission war. Das halten wir fest.
"Vom Charakter her eine andere Mission"
Müller: Das hat, Herr Kujat, bei der großen OSZE-Beobachtermission – 500 sind da insgesamt im Spiel; 100 sind wohl im Moment vor Ort – eine andere Dimension. Das sind 57 Staaten innerhalb der OSZE, die haben alle zugestimmt. Und was uns ja auch viele Tage lang beschäftigt hat: Wird Moskau, wird Wladimir Putin da grünes Licht geben. Irgendwann hat er dann grünes Licht gegeben. Das heißt, das ist eine offizielle Mission. Diese Beobachter vor Ort sind immerhin 100, die werden nicht entführt, sagen einige. Aber die anderen, die werden entführt. Warum?
Kujat: Nun, es ist richtig: Bei der sogenannten großen Mission, wie Sie sie eben genannt haben, da haben wir die Zustimmung aller OSZE-Mitgliedsstaaten, einschließlich Russlands. Das ist schon richtig und insofern hat diese Mission einen etwas anderen Charakter. Sie soll ja dann auch möglicherweise erweitert werden auf bis zu 500 Teilnehmer. Sie soll möglicherweise auch die Wahlen, die ja bevorstehen, mit kontrollieren, ob sie fair und gerecht verlaufen. Das ist insofern vom Charakter her eine andere Mission. Das muss man schon sagen.
Müller: Jetzt gibt es ja Stimmen, auch in der Opposition, die da sagen, fahrlässig hat die Bundesregierung gehandelt, wird jedenfalls so interpretiert, weil die Sicherheit dieser OSZE-Beobachter der kleinen Mission nicht garantiert werden kann, nicht garantiert werden konnte.
Kujat: Nun, ich muss einfach davon ausgehen, ich bin auch überzeugt eigentlich, dass bei der Planung dieser Mission alle Aspekte, auch der Aspekt, den Sie eben nennen, nämlich der Sicherheit dieser Mitarbeiter, sehr, sehr sorgfältig geprüft wurde. Das ist richtig: Bei dieser bilateralen Einladung liegt natürlich die Verantwortung für die Sicherheit aller Mitglieder an dieser Mission bei der einladenden Regierung, also bei der Regierung in Kiew. Ich denke, man hat auch sehr sorgfältig geprüft, ob die Begleitung so ausgestattet war, dass tatsächlich diese Sicherheit gewährleistet werden konnte. Das sind alles Dinge, die man möglicherweise auch zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal genau betrachten sollte.
Aber im Augenblick muss man, glaube ich, auch einen positiven Ton finden. Seit gestern mehren sich ja die Zeichen, dass es möglicherweise doch zu einem guten Ende kommt, dass diese Mitarbeiter und die Bundeswehrangehörigen frei gelassen werden, und zwar ohne, dass es zu einem Gefangenenaustausch kommt. Und vielleicht sollte man in dem Zusammenhang auch daran erinnern, dass es immer zweckmäßig ist, direkt mit dem Gegenüber zu reden. In diesem Fall hat das möglicherweise der ehemalige Bundeskanzler Schröder getan. Vielleicht werden wir ihm dafür noch einmal dankbar sein müssen.
"Schröder nutzt seine Möglichkeiten"
Müller: Sie meinen bei seiner Geburtstagsfeier mit Wladimir Putin?
Kujat: Bei seiner Geburtstagsfeier, die ja sehr kritisiert wurde, sicherlich auch, was dem Anschein nach zu Recht kritisiert werden muss. Aber ganz offenkundig hat er mit Präsident Putin auch darüber gesprochen. Ich würde mich sehr täuschen, wenn das nicht der Fall war. Und möglicherweise hat er das erreicht, was wir alle gehofft haben, was sich jetzt jedenfalls ganz offenkundig als positiv abzeichnet.
Müller: Demnach wäre der Altkanzler kein unreflektierter Partymann, wie einige jetzt schreiben, sondern ein ganz cleverer Fuchs.
Kujat: Na ja, gut, diese Gelegenheit hat sich ergeben aufgrund seines Geburtstages. Das war ja so nicht ohne weiteres planbar. Aber ich hätte auch unabhängig davon von ihm erwartet, dass er seine Möglichkeiten nutzt, um diese, unsere Soldaten dort frei zu bekommen. Das ist sicherlich etwas, was ihn auch beschäftigt hat.
Müller: Aber kann Wladimir Putin mit dieser Geiselnahme, in welchem Sinne auch immer, weit politisch hergeholt, etwas zu tun haben?
Kujat: Na ja, zu tun hat er damit sicherlich nichts. Davon bin ich überzeugt. Aber die Tatsache, dass er in diesem Fall positiv auch Einfluss auf die Dinge nimmt, auf die Freilassung nimmt, zeigt ja, dass Russland natürlich Möglichkeiten hat, zumindest diese Terroristen, diese Separatisten dort unter Druck zu setzen, und in diesem Fall ist das etwas Positives für uns. Es mag andere Situationen geben, auch in der ganzen Entwicklung der Lage dort, wo sich das etwas anders darstellt.
Müller: Herr Kujat, jetzt muss ich Sie noch mal als Sicherheitsexperten fragen, nämlich als früheren aktiven Militär auch bei der NATO, als Generalinspekteur der Bundeswehr. Sie sind unser Experte für Sicherheit. Die Genese dieser kleinen OSZE-Mission, unser Thema. Kann man ernsthaft aus Berliner Sicht zu dem Schluss kommen, zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Sicherheit dieser sieben, dieser acht vor Ort im Osten der Ukraine in dieser Situation gewährleistet war?
Kujat: Ich denke, das ist eine Frage, die man beantworten sollte, wenn unsere Soldaten frei sind. In allen solchen Einsätzen kann es geschehen, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Das ist hier sicherlich der Fall. Niemand hat wohl damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte. Ob alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, muss man, glaube ich, abwarten. Ich denke, es hat jetzt wenig Sinn, darüber zu spekulieren, denn im Augenblick werden wir uns, sollten wir uns jedenfalls darauf konzentrieren, alles zu tun, was die Freilassung unserer Staatsbürger dort ermöglicht, und alles zu unterlassen, was sie gefährdet.
Müller: Dann können wir uns, Harald Kujat, ja wieder verabreden, wenn die Geiseln möglicherweise frei gekommen sind, in den nächsten Stunden, in den nächsten Tagen. Es gibt ja Anzeichen dafür, wir haben heute Morgen darüber berichtet.
Kujat: Ich hoffe das sehr.
Müller: Bei uns am Telefon der frühere NATO-General Harald Kujat. Danke, Ihnen einen schönen Tag.
Kujat: Danke, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.