Aus gegebenem Anlass muss wieder mal an Bert Brecht erinnert werden: "Können wir Shakespeare bearbeiten?", fragte der rhetorisch; und antwortete sich auch gleich selber: "Ja, wenn wir Shakespeare bearbeiten können." Alles also eine Frage des Handwerks? Auch das. Und insofern machbar - Soeren Voima hat aber vor das Handwerk die Haltung gesetzt. Nicht nur um den leidigen "Blackfacing"-Debatten über das Schwarzanmalen von "Othello"-Darstellern zu entgehen, sondern aus ganz vernünftigem Motiv geht's hier ohne Umschweife um eine weitaus grundsätzlichere Frage – wie entsteht das rassistische Ressentiment, auch wenn "der Schwarze" im Grunde gar keiner ist?
Venedigs General, immerzu siegreich im Kampf, zum Beispiel gegen Türken, hat hier tunesische Eltern, ist also eigentlich nur fremd in Venedig, und sonst nicht viel mehr ...
"Glatt und jung bin ich die Welt getreten. Doch von Anfang an beklemmten mich ihre Blicke. Von Anfang an machten wir ihre Blicke die Welt streitig. Aber was sahen sie denn? Was sahen sie, was ich nicht sah? 'Sieh mal, der Bimbo!' ... ein Nasenstüber, der mir unterwegs verpasst wird, dann noch einer und noch einer; eine Kinderhand, eine Kopfnuss ... Was ist das? Was meinen sie? 'Sieh mal, der Affe!' Stimmt. Das war ich. Sie meinen mich."
Was also ist das, was in uns (den Venezianern, den Zyprioten im Stück, den gröhlenden Fremdenfeinden von Clausnitz in Mittelsachen) einfach nur hasst, im Grunde ohne Grund? Wie sehen die Klischees aus, die Folien, die uns hassen lassen; und wie wird also Othello, der Liebende, seinerseits vom Opfer zum Täter: zum Mörder aus Hass? Und was hat all das mit uns zu tun?
Die Besetzung aller Frauen mit Männern taugt zu nicht viel mehr als zum Klamotten-Stadl
Das sind lauter gute, kluge Denkfragen an ein Stück, das sich viel zu oft in Emotion und Kolorit verrennt ... hätten sich Voima und dessen langjähriger Regie-Partner Christian Weise doch nur auf diesen Denk-Raum konzentriert. Weil sie es aber nicht wirklich tun, scheitert dieser "neue" Othello spektakulär.
Jens Dohle und Falk Effenberger an Klavier und Schlagzeug sind zudem totenschädelhaft geschminkt, wie das komplette Volk von Zypern; die Musiker geben dem Abend die Lautstärke vor: Free Jazz, Free Rock, alles sehr laut. Wer hier mithalten will auf der Bühne, muss schreien. Und so geschieht's. Derweil sind die Kostüme von Andy Besuch eine Orgie aus schrillen Fantasien und Zutaten: Alle rutschen aus dem kleinsten der Bühnen-Portale hervor, die Julia Oschatz zu einem sich immer weiter verkleinernden Gassen-Theater auf die Gorki-Bühne zaubert: auch per Video.
Jux und Dollerei kennen kein Halten, wenn Rodrigo, Desdemonas Ex, zum Clausnitzer Asylanten-Jäger wird und Sächsisch spricht; und Emilia, Jagos Frau, blödelt gar Rheinisch – wohl weil der deren Darsteller mal in Bonn engagiert war ... und selbst die Besetzung aller Frauen mit Männern taugt zu nicht viel mehr als zum Klamotten-Stadl. Der schmucke Cassio, Grund für Othellos von Jago befeuerte Eifersucht, ist obendrein schwul ... und: Jaja, so wird den halben Abend lang mit Klischees hantiert. Das Schenkelklopfen im Saal nimmt kein Ende.
Mit Othellos Selbstreflexion über sich selber als Hass-Projektion (und der Entwicklung des eigenen Hasses aus exakt dieser Quelle!) müsste diese Fastnachtssitzung enden; und in der Tat verlieren im zweiten Teil alle Teile der Kostüm-Verpackung. Autor Voima hingegen verliert die Story aus den Augen – eigentlich ist am Ende von Akt drei schon Schluss; von Sex & Mord im Hause Othello spricht zum Schluss nur ahnungsreich der zypriotische Bürger-Chor. Und weiß dann nicht mehr weiter:
"Wir kennen nur das eine Stück! / Ihr Stück! Von Neid und Eifersucht, / von Gelds und Gier und Grausamkeit. / Wir haben es gesehen, so viele Male. / Wir waren stets als Hintergrund dabei, / Ihr Wort war unser Fleisch und Blut. / Und jetzt?"
Der Vorhang also (wenn denn es einen gäbe!) zu und alle Fragen offen: an Othello, an uns, an den Alltag des Rassismus. Das ist in diesem Fall nun mal wirklich platt und ziemlich feige. Mit Blödeleien hat die Othello-Forschung sich hier selbst den Blick vernebelt – und am Ende sieht sie dann gar nichts mehr.
Kein Wunder.