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Otte (CDU) zur Debatte über Atomwaffen
"Aussagen der SPD sind grob fahrlässig"

Solange andere Nationen über Atomwaffen verfügten, "die sie gegen uns einsetzen könnten, müssen wir Teil einer Abschreckungsstrategie sein", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU, Henning Otte im Dlf. Die nukleare Teilhabe garantiere Deutschlands Sicherheit unter dem NATO-Schutzschirm.

Henning Otte im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte
Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Henning Otte (picture alliance / Silas Stein/dpa)
Tief in der Eifel liegt ein Fliegerhorst. Stationiert sind dort Tornado-Kampfflugzeuge, die jederzeit bereit sind, die dort ebenfalls lagernden Atombomben abzuwerfen. Die Flugzeuge gehören der Bundeswehr, also Deutschland, die Bomben gehören den USA und die Zusammenarbeit ist Ergebnis der sogenannten Nuklearen Teilhabe – ein Grundpfeiler der NATO, der Abschreckung eines Feindes im Osten, um genau zu sein, zu Zeiten des Kalten Krieges der Sowjetunion. Doch die Zeiten ändern sich. Aus Feinden werden vielleicht noch lange keine Freunde, aber sagen wir Mitbewerber. Und dennoch: Der atomare Abwehrschild bleibt auf beiden Seiten wichtige Abschreckungskulisse.
Dossier: Atomwaffen
Die Tornados kommen allmählich in die Jahre und sollen durch neue Flugzeuge ersetzt werden. So plant es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Das nimmt die SPD-Spitze zum Anlass, die deutsche Beteiligung an der nuklearen Teilhabe generell in Frage zu stellen. So sagt etwa SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im "Tagesspiegel", Atomwaffen auf deutschem Gebiet erhöhten unsere Sicherheit nicht. Im Gegenteil: Es werde Zeit, dass Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließe. Rückendeckung gibt es dafür unter anderem von SPD-Co-Chef Norbert Walter-Borjans. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Henning Otte, sieht das anders.
"Das System basiert auf Dialog und Abschreckung"
Mario Dobovisek: Aus der Union haben wir am Wochenende ein starkes Stirnrunzeln vernommen. Warum lehnen Sie eine solche Debatte kategorisch ab?
Henning Otte: Weil die Aussagen unseres Koalitionspartners, der SPD, hier grob fahrlässig sind. Die nukleare Teilhabe ist ein wichtiger Baustein für unsere Sicherheitsarchitektur und garantiert uns die Sicherheit unter dem NATO-Schutzschirm.
Dobovisek: Aber was ist daran grob fahrlässig, zumindest einmal offen zu debattieren?
Otte: Weil wir eine Teilhabe brauchen. Das System basiert auf Dialog und Abschreckung und solange es andere Staaten gibt, außerhalb der NATO, die solche Waffen einsetzen könnten, müssen wir im Rahmen der Abschreckung gegenhalten. Ich verweise auf das russische Vorgehen, das zur Kündigung des INF-Vertrages geführt hat. Das heißt, Russland stationiert Mittelstrecken-Nuklearwaffen.
Kampfjets der Bundesluftwaffe vom Typ Tornado stehen (24.06.2008) auf dem Vorfeld des Fliegerhorsts in Büchel. 
Kommentar - Die Politisierung der nuklearen Abschreckung ist verantwortungslos
Wenn SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich den Abzug der US-Atomwaffen und ein Ende der Beteiligung Deutschlands an der sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO fordere, dann vermische er Themen, die nichts miteinander zu tun haben, kommentiert Marcus Pindur.
Dobovisek: Ist Russland der Feind?
Otte: Russland ist ein Player auf dem Globus. Wir haben intensive und gute Verbindungen zu Russland gehabt und führen sie auch weiterhin und führen einen intensiven Dialog. Aber wir stellen fest, dass beispielsweise neue Stationierungen eine zusätzliche Bedrohung sind, und solange es solches gibt, müssen auch wir solche Waffen haben. Ziel bleibt es, eine atomfreie Welt zu erreichen.
"Wir sind eine Gemeinschaft, die auf Solidarität aufbaut"
Dobovisek: Rolf Mützenich von der SPD verweist auch auf US-Präsident Donald Trump. Seine Regierung habe verkündet, dass Atomwaffen nicht mehr nur der Abschreckung dienten, sondern Waffen seien, mit denen man Kriege führen könne. Wollen Sie das, Herr Otte, dass eines Tages auch wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen könnte, wo wir dieser Tage an die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor 75 Jahren erinnern?
Otte: Wir setzen uns ja vehement für den Frieden ein und sagen, wir sind Teil eines Wertebündnisses, nämlich der NATO. Nicht die USA dominieren, sondern wir sind eine Gemeinschaft, die auf Solidarität aufbaut, und wir garantier uns gegenseitig Verteidigung. Darum geht es, dass wir deutlich machen, wir sind Teil eines Bündnisses und profitieren von diesem Bündnis und stellen dafür auch unsere Fähigkeiten zur Verfügung.
Dobovisek: Wieviel Kontrolle bleibt da Deutschland über die US-Waffen?
Otte: Es bleibt eine erhebliche Kontrolle, weil wir hier im NATO-Rat Entscheidungen treffen. Ich verweise mal auf den NATO-Gipfel 2012 in Chicago. Dort wurde auch noch mal deutlich gesagt, wir wollen "global zero", wir wollen die Abrüstungsgespräche. Aber Deutschland verfügt nicht über eigene Waffen, sondern stellt nur Trägersysteme zur Verfügung, und diese Trägersysteme sind in die Jahre gekommen und haben bald ausgedient.
Dobovisek: Ist denn Donald Trump, sind die USA ein verlässlicher Partner in der Weltpolitik?
Otte: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein verlässlicher Partner. Wir arbeiten sehr eng zusammen. Daran ändert auch die Sprunghaftigkeit des amtierenden Präsidenten Trump nichts.
"US-Kampfflugzeuge sind lediglich eine Brückentechnologie"
Dobovisek: Warum nicht?
Otte: Weil wir in den Bündnissen fest verankert sind, eine Gemeinschaft sind, auf eine Tradition aufbauen und auch einmal deutlich sagen, beispielsweise die jetzt zu beschaffenden US-Kampfflugzeuge sind lediglich eine Brückentechnologie. Wir wollen in Europa ein eigenes System zusammen mit Frankreich und anderen Staaten entwickeln.
Dobovisek: Jetzt nennen Sie das Brückentechnologie. Die Tornados haben knapp 40 Jahre gehalten, müssen auch noch weiter halten, bis diese Brückentechnologie da ist. Wenn wir uns diese Zahlen angucken, wird dann diese Brücke und damit auch ein Debattenverbot die nächsten 40 Jahre andauern?
Otte: Debattenverbote gibt es ohnehin nicht.
Dobovisek: Klang aber eben so, Herr Otte.
Otte: Nein, nein. Die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat eine Richtungsentscheidung vorgegeben, 45 US-Systeme zu erwerben und zeitgleich 93 Eurofighter neu zu beschaffen. Ich verweise noch mal auf unser Ziel, nämlich ein europäisches System zu entwickeln, um die europäische Säule innerhalb der NATO noch einmal zu stärken.
"Deutschland bekennt sich auch zur nuklearen Teilhabe"
Dobovisek: Jetzt lehnt SPD-Chef Norbert Walter-Borjans es kategorisch ab, Nachfolger für Kampfflugzeuge zu beschaffen, die für den Einsatz als Atombomber vorgesehen sind. Wie jetzt weiter, Herr Otte, gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner?
Otte: Die bisherigen Entscheidungen sind im Kabinett getroffen und auch im Parlament besteht dort Einigkeit. Ich halte die Aussagen hier für grob fahrlässig. Allein in der Tradition von Helmut Schmidt geht es darum, …
Dobovisek: Da ruft die SPD wahrscheinlich gerade schon an!
Otte: Die hören hoffentlich zu und nehmen die Argumente ernst. Allein in der Tradition von Helmut Schmidt bekennt sich Deutschland auch zur nuklearen Teilhabe. Dies ist im Weißbuch noch mal deutlich dargestellt worden, im Koalitionsvertrag. Solange andere Nationen Waffen haben, die sie gegen uns einsetzen könnten, müssen auch wir Teil einer Abschreckungsstrategie sein.
Dobovisek: Die nukleare Teilhabe, diese Abschreckung ist ein wichtiger Pfeiler im Konstrukt der NATO. Wie ist es denn insgesamt um ein Verteidigungsbündnis bestellt, das aus Washington immer wieder in Frage gestellt wurde und sich auf Partner wie die Türkei verlassen muss, die sich offen auch gen Moskau orientieren?
Otte: Sie stellen zurecht dar, dass es Diskussionsprozesse gibt, dass es auch darum geht, deutlich zu machen, wir sind ein Wertebündnis, wir sind ein Verteidigungsbündnis, wir sind eine Solidaritätsgemeinschaft, und hier ist jeder aufgerufen, seinen Beitrag zu geben und sich auch einzubringen. Da sind mit Erdogan und Trump natürlich zurzeit zwei Amtsinhaber, die Teil dieser Gemeinschaft sind, wo wir immer darauf hinweisen müssen, es gibt hier einen klaren Kompass in der NATO, Dialog und Abschreckung. Wir stehen füreinander da und darauf setzen insbesondere auch die osteuropäischen NATO-Partner.
"NATO ist das erfolgreichste Verteidigungsbündnis auf dieser Erde"
Dobovisek: Müssen wir da, um ehrlich zu sein, nicht nur über die Atomfrage reden, sondern auch über die Zukunftsfrage der NATO insgesamt?
Otte: Wir müssen immer in die Zukunft blicken und uns jederzeit auch mal in Frage stellen. Aber bisher ist die NATO das erfolgreichste Verteidigungsbündnis auf dieser Erde und wir haben ja auch in Aussicht gestellt, über die NATO noch einmal dahingehend zu diskutieren, was können wir besser machen, wie können wir sie effektiver machen, haben wir einen 360-Grad-Schutzschirm abgedeckt und sind alle Fähigkeiten, die zugesagt sind, auch zur Verfügung.
Dobovisek: Hat die NATO eine langfristige Zukunft?
Otte: Auf jeden Fall. Davon bin ich überzeugt. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Wir haben Frieden in Europa, wir haben Frieden in Deutschland, und das ist insbesondere auch unserem NATO-Bündnis zu verdanken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.