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Otte: Die meisten Türen in Zypern sind jetzt zu

Vor Schließung der Banken in Zypern seien noch Betrügereien gelaufen, vor allem über die Londoner Filialen, vermutet der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. "Es ist ein offenes Geheimnis, dass Zypern kriminelle Machenschaften gedeckt hat," sagt er. Die meisten Türen seien jetzt aber zu.

Max Otte im Gespräch Thielko Grieß |
    Thielko Grieß: Der Tag X, die Stunde null, ein Bank Run – Begrifflichkeiten gab es ja zuhauf in Vorbereitung auf das, was vor gut einer Stunde in der Republik Zypern passiert ist. Die Banken haben wieder geöffnet, sie waren zwölf Tage lang geschlossen. Allerdings sind Hektik oder gar Panik ausgeblieben. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass das zyprische Finanzsystem und Bankensystem seit heute ein anderes ist, denn heute zum Beispiel sind die Öffnungszeiten auf sechs Stunden beschränkt, bis 18 Uhr, und es gelten Kapitalverkehrskontrollen. Geld abheben, Überweisungen, gerade auch ins Ausland, sie sind allesamt beschränkt.
    Der europäische Binnenmarkt, zu dem Zypern ja auch gehört, ist einer der Grundpfeiler der Europäischen Union, und zu diesem Binnenmarkt gehört ja nicht nur das freie Reisen innerhalb der Union, sondern auch der freie Handel und der freie Kapitalverkehr. Überweisungen, Geschäfte im europäischen Ausland, das ist für die EU-Staaten und ihre Bürger längst zur Gewohnheit geworden. Bis heute, denn es gibt im Falle Zyperns eine neue Erstmaligkeit, einen neuen Präzedenzfall. Geld darf nicht mehr ohne Weiteres aus Zypern heraus überwiesen werden. Einmalig in der Geschichte der Europäischen Union, historisch aber keineswegs.
    In Zypern läuft der Geldverkehr zurzeit also bildlich gesprochen mit Tempolimit und mit ausführlichen Verkehrskontrollen. Die Europäische Union hat wenig Erfahrungen mit solchen Beschränkungen, und deshalb wollen wir nachfragen bei Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler und Autor des Buches "Der Crash kommt", erschienen 2006, lange bevor die Finanzkrise für uns Journalisten dann tägliches Thema wurde. Guten Tag, Herr Otte!

    Max Otte: Guten Tag, Herr Grieß.

    Grieß: Unterstellen wir einmal, ich müsste jetzt noch eine größere Menge Geld aus Zypern retten, habe ich jetzt wirklich keine Möglichkeiten mehr dazu?

    Otte: So genau kenne ich mich mit Geldwäsche und Kapitalflucht auch nicht aus, was ich noch nicht praktiziert habe. Ich denke, dass die meisten Türen jetzt zu sind. Wenn Sie vorher einen Beamten hatten, den Sie kannten, der im Entscheidungsprozess war, da sind sicherlich Betrügereien noch vor der Schließung der Banken gelaufen. Es sind noch Dinge über die Londoner Filialen der zypriotischen Banken gelaufen. Da gibt es vielleicht noch Möglichkeiten. Aber ich denke, im Großen und Ganzen sind die Türen tatsächlich geschlossen, sonst gäbe es in Russland zum Beispiel nicht diesen Sturm der Entrüstung.

    Grieß: Wie geht das rein technisch, Kapitalverkehr zu beschränken?

    Otte: Ja das ist dasselbe wie bei der Finanztransaktionssteuer, wo auch die Lobby der Reichen und der Finanzmarktakteure aufgeschrien hat. Sie machen das einfach! Die Computersysteme sind da, das können sie von heute auf Morgen machen, und man sieht ja auch, dass es hier passiert. Dann wird eben ein Limit eingegeben in die entsprechenden Computersysteme und das war’s dann. Also das ist überhaupt kein Problem technisch.

    Grieß: Sie haben gerade gesagt, jedenfalls habe ich Sie so verstanden, dass auch während der Zeit, während die Banken geschlossen waren, Geld aus Zypern noch abgeflossen ist. Habe ich Sie richtig verstanden?

    Otte: Richtig! Ich meine, es ist doch wirklich ein offenes Geheimnis, dass Zypern kriminelle Machenschaften gedeckt hat, und wer kriminelle Machenschaften deckt, ist selber auch kriminell, und es sitzen sicherlich überall in den Banken Führungskräfte, die das gedeckt haben und die da keine weiße Weste haben, und da gibt es den Verdacht, dass da kurz vor Bankschluss noch viel abgeflossen ist, und das ist auch ein Problem bei anderen Steueroasen. Auch Griechenland hat sicherlich nicht die Rechtssicherheit und diese Ehrlichkeit und diese genaue Kontrolle, die wir zum Beispiel in Deutschland und in den Nordländern haben. Da müsste man schon differenziert an die einzelnen Länder herangehen, und genau das passiert jetzt in Zypern.

    Grieß: Diese Dinge sind also europäisch nicht einheitlich geregelt. Da kommt es darauf an, wie der Nationalstaat das regelt?

    Otte: Richtig, und man überlässt es erst mal dem Nationalstaat, das ist die Fiktion bei diesen ganzen Verhandlungen, und sagt, wenn ihr Nationalstaaten euch dann an dem Sanierungsprogramm beteiligt, dann macht ihr das bitte in eigener Regie. Aber wenn es keine funktionierende Verwaltung gibt, wenn es eine korrupte Verwaltung gibt – und das kann man wohl von Griechenland und Zypern ohne Weiteres zumindest für Teilbereiche sagen -, dann führt das natürlich nicht sehr viel weiter. Dann muss man schon zu härteren Maßnahmen greifen, wie es jetzt der Fall war.

    Grieß: Sie haben gerade in einem Nebensatz angedeutet, dass die zyprischen Filialen in Großbritannien, also die Filialen der zyprischen Banken in Großbritannien, eine besondere Rolle dabei gespielt haben. Profitiert Großbritannien am Ende von der Krise auf Zypern?

    Otte: Großbritannien profitiert nicht nur von der Krise auf Zypern, sondern in gewisser Weise von der gesamten Finanzmarktkrise. Jenseits jeglicher Verschwörungstheorien gibt es natürlich Interessenkonstellationen, und wenn ich in der Europäischen Union bin, aber nicht in der Eurozone, dann kann ich schön an den Seitenlinien stehen und mir das Chaos anschauen und dann gegebenenfalls davon profitieren, und in gewisser Weise ist das nur eine Fortsetzung der britischen Politik der letzten 300 Jahre: Balance of Power und man ist sozusagen als externer Beobachter dabei und versucht, dann aus dem Spiel Gewinn zu ziehen. Da hat sich in 300 Jahren nicht so viel geändert.

    Grieß: Großbritannien bekommt, so vermute ich jetzt nach dem, was Sie sagen, genügend Argumente geliefert in diesen Wochen, dem Euro künftig auch sehr weit fern zu bleiben?

    Otte: Ja ich halte es auch nicht für verkehrt. Wir müssen im Prinzip dieser Fiktion, dass es einen einheitlichen Euroraum gibt, je früher wir die durchbrechen, desto besser. Polen ist nicht im Euroraum, der Wirtschaft geht es gut. Also wir müssen wirklich sehen: Wie können wir einen starken Kerneuro schaffen. Und diese Fiktion, dass jedes Land in den Euroraum gehört, die ist einfach falsch. Aber die wird hochgehalten, auch von der Lobby der Großbanken, weil sich damit natürlich gut Geld verdienen lässt.

    Grieß: Sie sagen, die Kapitalverkehrskontrollen funktionieren nur löchrig, es fließt und es floss auch bereits Kapital aus Zypern ab. Also das, was wir heute sehen an Vorkehrungen, an Beschränkungen, das bringt eigentlich überhaupt nichts und Zypern steht demnächst ganz ohne Geld oder mit sehr viel weniger Geld da als bislang?

    Otte: Ja natürlich! Die Kapitalverkehrskontrollen funktionieren insofern, als dass wir den Abfluss dämmen können. So ist es ja auch gewollt. Aber auf der anderen Seite muss dieser Bankensektor schrumpfen. Er hat das 8,5fache des Bruttoinlandsproduktes, und das ist grotesk überzogen, und Länder, die nur von ihrem Finanzsektor leben, die müssen sich was überlegen, da muss man rangehen. Wir haben weltweit einen zu stark aufgeblähten Finanzsektor. Zypern ist nun ein Fall, aber genauso gut sind es natürlich die Schweiz, Luxemburg, die Kanalinseln, England und viele, viele andere Steueroasen. Da gibt es ja immer mal wieder Initiativen, und nun fängt man halt in Zypern an. Aber das wird nicht das Ende sein.

    Grieß: Sehen Sie die Zeit kommen, zu der auch der Finanzsektor etwa in der Londoner City oder in Luxemburg schrumpfen wird?

    Otte: Sagen wir so: In der Schweiz passiert das ja schon. Aber die Schweiz hat keine Lobby, gegen die kann man gern und schnell die Kavallerie reiten lassen, wie sich ein Politiker mal ausgedrückt hat. Die Schweiz steht alleine da. London hat natürlich eine Riesenlobby, also da geht wahrscheinlich keiner ran. Und Luxemburg ist bestens verdrahtet und dann kann man immer noch auf Deutschland schimpfen, und dann traut man sich da auch nicht so recht ran. Also da wird ganz knallhart ein ganz konkretes Spiel gespielt. Bis wir da in London vernünftige Regelungen bekommen, wird es noch was dauern.

    Grieß: Jetzt haben wir viel übers Ausland geredet, Herr Otte. Reden wir noch einmal über Deutschland und den Finanzplatz Frankfurt. Profitiert Frankfurt davon, welche Rolle spielt Deutschland?

    Otte: Wir haben ja in Deutschland zum Glück einen starken Industriesektor, der ist also viel stärker als in den meisten anderen europäischen Ländern und keinen so aufgeblähten Finanzsektor, was ja per se mal gut ist. Direkt werden wir nicht profitieren, weil wir keine Fluchtgelder in Deutschland haben, oder wenige, und weil wir eben dieses Geschäftsmodell, wir waschen euer Geld weiß, oder wir blähen unseren Finanzsektor auf, damit ihr da Finanztransaktionen durchführen könnt, in Deutschland zum Glück nicht so haben. Also der Gewinn für Deutschland ist ein indirekter, wenn insgesamt weltweit in der Finanzbranche vielleicht wieder etwas bessere Regeln einkehren, aber da sind wir wiederum auch noch sehr lange von entfernt und sehr weit von entfernt.

    Grieß: …, sagt Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler und Publizist, hier heute Mittag in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Herr Otte, danke für Ihre Zeit.

    Otte: Guten Tag!

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