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Otto Sander - der ewige Anarchist

Otto Sander: Das ist deutsche Theater- und Filmgeschichte, seit seinem Debüt 1965, auf den wichtigen Bühnen hat er gespielt, mit den namhaften Regisseuren. Einer davon ist Claus Peymann gewesen, Intendant des Berliner Ensembles. Ihn habe ich nach seinen Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Otto Sander gefragt.

Claus Peymann im Gespräch mit Beatrix Novy | 12.09.2013
    Beatrix Novy: Otto Sander ist tot. Das ist schwer zu verstehen bei einem, der so lange so gegenwärtig war. Über Jahrzehnte und in jeder Form: als Theater-, als Filmschauspieler, als Komiker, Sänger, Szenegänger, in Bühnenklassikern, im Polizeiruf, auf CDs - jeder hatte Gelegenheit, ihn kennenzulernen.

    Claus Peymann: Ich kenne den Otto Sander ja seit Urzeiten. Wir haben zuerst 67 zusammen gearbeitet - das kann man sich kaum mehr vorstellen – in Heidelberg. Und ich habe ihn geradezu wie einen leuchtenden Punkt in Erinnerung. Da spielt er den Dauphin in Schillers "Jungfrau von Orleans", und das war dieser wilde anarchistische Rotschopf mit Sommersprossen, der einen von Anfang an fesselte.

    Für mich steht der Otto Sander eigentlich für den Aufbruch in die Moderne des Theaters. Diese Geburt, die wir damals erlebten in den 60er-Jahren, das fand in Otto Sander den Protagonisten. Er war kein König, er war kein Papst, er war auch kein Prinz, sondern er war eigentlich der moderne Spieler. Und das hat natürlich alle, ob das Bondi, Wilson oder Stein oder eben auch ich war, hat uns eigentlich zueinander gebracht, den Sander und uns.

    Novy: Das hat sich ja dann manifestiert, denke ich, in der langen Zeit an der Schaubühne, in einer Zeit, in der es ein Schaubühnen-Kollektiv gab. Auch da haben Sie mit ihm zusammengearbeitet. Prägte ihn das, oder hat er geprägt?

    Peymann: Die Schaubühne war ja der Versuch, gegen das Theater von gestern anzutreten, nicht nur ästhetisch, aber natürlich auch ästhetisch über Peter Handke und auch das politische Theater, und für mich ist der Otto Sander eigentlich wahrscheinlich neben Bruno Ganz, Jutta Lampe und Edith Clever und wenigen anderen wirklich ein Protagonist dieses Neuen, was die Schaubühne damals suchte, wobei der Otto Sander eigentlich immer der Anarchist blieb. Es war ein spielender Anarchist, ein besonderer, ein intelligenter Clown. Ob nun in der Schaubühne so in der Schärfe Wilsons oder Steins oder bei mir im "Ritt über den Bodensee" von Peter Handke, er verkörperte etwas, ganz anders als Minetti oder Hoppe oder andere sogenannte große Spieler.

    Er war wirklich von heute und hat das bis jetzt, bis ins sogenannte hohe Alter eigentlich bewahrt. Er war immer voll dabei, er war frech, aber selbstkritisch uneitel. Und was am Theater gar nicht so selbstverständlich ist: Er war intelligent und bescheiden.

    Vielleicht schade, dass er nie den Hamlet gespielt hat und jetzt im Alter nicht den Lear und nicht dazwischen Richard III. Das ist vielleicht das, was wir uns vorwerfen müssen, dass wir Regisseure, wir Theaterleiter ihm das nicht geboten haben. Aber vielleicht wollte er es auch nicht. Und immer, wenn etwas passierte, hat er es selbst in Frage gestellt. Insofern war er wirklich modern, ein wirklich moderner Spieler, ein zeitgenössischer Spieler, der für ein anderes Theater steht als das der eitlen Protagonisten.

    Novy: Was ihn selbst als Schauspieler noch betrifft, welchen Anteil hatte wohl die Stimme an dieser herausragenden Gestalt Otto Sander?

    Peymann: Na Louis Armstrong war nichts dagegen, sage ich mal. Er hatte schon eine Stimme, die eben so war, dass man immer dachte, um Gottes Willen, hat er sich verschluckt, oder was ist los, aber die zu allem fähig war. Er hat ja am Ende eigentlich nur noch am BE gearbeitet. Er hat hier viele Rezitationsabende und Lesungen und dergleichen gemacht. Das war für uns toll. Und man denkt immer, ja diese Stimme war in diesem Haus, diese Melodie war in dem Haus, und dazu gehört diese seltsame knarrende, besondere Stimme. Ich glaube, dass das schon – ich mag so was nicht – das Markenzeichen oder das Kennzeichen war, aber so war es eben, und zwar vom ersten Tag an. Der hat mit 22 schon so gekrächzt. Das kann ich bezeugen, weil ich vielleicht einer der wenigen bin, die das noch wissen, damals in Heidelberg, zusammen mit dem Ulrich Wildgruber. Das war ja dieses Horrordoppel da in Heidelberg und hat die Kneipen und das Theater verunsichert in dieser kleinen Universitätsstadt da im Süden. Schon damals war das eine ganz besondere Stimme, aber er hat sich nie darauf ausgeruht und er hat das nie herbeigeführt. Er war eben so, das war Otto Sander, diese Stimme und diese Wildheit, diese Anarchie und zugleich diese Bescheidenheit und die Intelligenz. Ich habe ihn wahnsinnig gerne gemocht. Und heute habe ich geweint, als ich es hörte.

    Novy: Wildheit und Anarchie – Claus Peymann erinnert sich an Otto Sander, der im Alter von 72 Jahren viel betrauert in Berlin gestorben ist.


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