Otto Wagners Kirche Am Steinhof ist ein anerkanntes Meisterwerk. Das war 1907 noch nicht jedem klar. Bei der feierlichen Eröffnung erklärte Erzherzog Franz Ferdinand dem Architekten, der Maria-Theresien-Stil sei doch nach wie vor der allerschönste. Wie jeder große Herr erwartete er wohl devote Zustimmung, aber der Architekt war auch ein großer Herr: Er wies darauf hin, dass Maria Theresias Kanonen verziert waren. Jetzt, im 20. Jahrhundert, mache man sie glatt. In der Folge soll er ein paar Aufträge weniger bekommen haben.
Nicht, dass ihm das so neu war. In der Ausstellung des Wien Museums belegt schon die immense Fülle nie realisierter Entwürfe, wie wütend umstritten und gleichzeitig unbeirrt produktiv der Großbaumeister der Wiener Moderne war. Auch die Nachwelt wusste lange nicht recht, welchen Platz in der Architekturgeschichte sie ihm zuweisen sollte. Noch bis in die 70er Jahre wurden einige seiner wienprägenden Stadtbahnbauten abgerissen; das gewachsene Interesse an der Wiener Moderne verhinderte endlich Schlimmeres. Wagners Werk wurde dem Kanon der touristischen Sehenswürdigkeiten einverleibt, von der Postsparkasse über die Majolika- und Freskengeschmückten Wienzeilen-Häuser bis zum pathetischen Industriebau, dem Nussdorfer Wehr.
Historistische Anfänge
Der Konstrukteur des modernen Wien, der technikgewisse Theoretiker und Propagandist der Großstadt hatte mal anders angefangen: Im historistischen Rausch der Gründerzeit, die Wien beim vom Kaiser befohlenen Bau der Ringstraße erfasste, arbeitete der junge Wagner zunächst eifrig mit, lieferte wie die Kollegen in griechisch, gotisch oder Renaissance. Dass er schon hier unter den ausladenden Fassaden moderne Materialien einsetzte, charakterisiert den Mann, der, 1841 im Biedermeier-Idyll einer Wiener Vorstadt geboren, das 20. Jahrhundert nicht erwarten konnte. Der alsbald Miethäuser baute und verkaufte, um neue zu bauen und zu verkaufen, kurz: ein Immobilienentwickler großen Stils wurde.
Das Wien Museum stellt diese frühen Schaffensphasen Wagners erstmals ausführlich dar, allerdings ist dies auch die erste Retrospektive seit 55 Jahren. Die Kuratoren haben sich ganz richtig für eine chronologische Schau entschieden, ohne zusätzliche Querbezüge - Biografie und Hinterlassenschaft des Baumeisters und Theoretikers sind reich genug. Allein die aufwendigen Visualisierungen für Entwürfe, Renderings von damals, sind Highlights im Aufgebot der Pläne und Originalfotografien, ebenso das zimmergroße Modell einer Brücke und sogar einer Lokomotive mit Anhänger: Der Generalregulierungsplan der wachsenden Metropole Wien hatte Wagner den wichtigen Auftrag für die Stadtbahn-Bauten beschert.
Moderne Formen, neue Materialien
Dass ein Ingenieur der Großstadt dem Historismus öffentlich abschwören musste, war eine Frage der Zeit - er tat es 1894 bei seiner Berufung an die Akademie der Bildenden Künste. Dass er den rebellierenden Künstlern der Secession beispringen musste, verstand sich auch - es trug ihm heftige Anfeindungen ein. "Alle modernen Formen müssen den neuen Materialien, den neuen Anforderungen unserer Zeit entsprechen, wenn sie zur modernen Menschheit passen sollen" schrieb er - und verzehrte sich gleichzeitig nach Aufträgen des Kaiserhauses, die penetrant ausblieben; es schmerzt geradezu, seinen Entwurf für eine Huldigungsadresse an den Kaiser zu sehen. Was heute bewundert wird, war den Zeitgenossen vielfach suspekt: die großzügige Ornamentik auf funktional-flächigen Fassaden, die heitere Monumentalität der Zweckbauten, vielleicht sogar die Aluminiumknöpfe im Leder eines Prunksessels aus Ebenholz für den Bürgermeister Lueger.
Eine entscheidende Niederlage Wagners kommt schon im Eingang ins Bild: Ausgehend von seinen ganz und gar unbarocken, wieder einmal erschreckend modernen Plänen für ein Stadtmuseum am Karlsplatz entbrannte ein jahrelanger Kampf um diesen schwierigen Platz, der nicht umsonst auch eine "Gegend" genannt wird. Das Projekt war längst begraben, als Wagner 1918 starb. Ein Stadtmuseum bekam Wien erst nach dem Zweiten Weltkrieg - eben das, in dem er jetzt geehrt wird.