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Ottorino Respighi
Italien-Reise für die Ohren

Zwei neue CDs führen uns in ein Land, in dem Zitronen blühen, kunstvolle Brunnen sprudeln und rauschende Feste gefeiert werden. Komponist Ottorino Respighi hat diese italienischen Eindrücke sinnlich-opulent in Töne übersetzt. Musikalische Steilvorlagen für die Filarmonica della Scala und die Sinfonia of London.

Am Mikrofon: Christoph Vratz |
    Ein Mann sitzt in einer schwarz-weiß-Aufnahme an einem Klavier und spielt.
    Der Italiener Ottorino Respighi zählt zu den bedeutenden sinfonischen Komponisten des 20. Jahrhunderts (picture alliance / dpa / Ullstein)
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    "Zwischen den Pinien der Villa Borghese spielen die Kinder. Sie tanzen Ringelreih‘n, führen Militärmärsche und Schlachten auf und berauschen sich an ihrem eigenen Geschrei wie Schwalben am Abend." So hat Ottorino Respighi den Inhalt des ersten Satzes seiner "Pini di Roma" überschrieben. Riccardo Chailly lässt sich nicht lange bitten. Die Vorgabe "Allegretto vivace" erscheint zwar wie ein Widerspruch in sich: ‚etwas schnell‘ und ‚lebhaft‘ gleichzeitig? Doch Chailly und die Filarmonica della Scala entwickeln einen lebhaften Charakter, ohne jedoch ausgelassen zu agieren.
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    Italienische Komponisten, die nicht die Opern zum Schwerpunkt ihres Schaffens erkoren haben? Ja, es gibt sie. Vereinzelt zumindest. Ottorino Respighi gehört zum kleinen erlesenen Kreis. Das sinfonische Schaffen bedeutete ihm halt mehr als das Musiktheater. Gerade in seinen drei großen Werken, "Fontane di Roma", "Pini di Roma" und "Feste Romane" gelang es Respighi, französisch-impressionistische Kolorierungen und italienisches Idiom miteinander in Einklang zu bringen. Es waren die ersten Instrumental-Werke aus Italien seit Vivaldi, die zu einem internationalen Exportschlager wurden.
    Schüler von Bruch und Rimsky-Korsakow
    Seine kompositorische Technik hatte Respighi an verschiedenen Orten erlernt, zunächst, in mehreren Intermezzi zwischen 1900 und 1904, bei Nikolai Rimsky-Korsakow in Sankt Petersburg. Auch von Max Bruch in Berlin wurde er angeleitet. Viel hat er sich außerdem bei Debussy und Ravel abgelauscht, und Prisen von Strauss und Strawinsky finden sich ebenso – was Respighi immer wieder den Vorwurf des Epigonentums eingebracht hat.
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    Der zweite Satz ist ein Gegenentwurf zum lebhaften ersten: "Pinien bei einer Katakombe". Dazu schreibt der Komponist: "Im Schatten der Pinien rings um den Eingang einer Katakombe, aus deren Tiefe ein wehmütiger Gesang zu uns dringt." Respighi fordert piano, pianissimo und dreifaches piano. Alle Streicher haben mit Dämpfer zu spielen, was auch dieser Aufnahme unter Riccardo Chailly einen warmen, dunkel-samtigen Klang verleiht. Geradezu fahl, ja entrückter klingt dieser Satz jedoch in der anderen neuen Einspielung mit der Sinfonia of London und John Wilson.
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    Musik an der Grenze zur Stille. Deutlich werden die Unterschiede zwischen beiden Aufnahmen, wenn "forte, ed espressivo" das Bläsersolo einsetzt, untermalt von sehr hohen, leisen Streicherklängen. Hier zunächst die italienische Produktion mit dem Mailänder Scala-Orchester.
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    Das klingt überzeugend, aber letztlich nur solide. Denn bei John Wilson klingt die geblasene Melodielinie wie ein Lied ohne Worte, fragend, lyrisch. Die Streicher spielen dazu besonders delikat und zart, beinahe sphärisch.
    Musik: Ottorino Respighi: Pini di Roma
    Gegründet hatte sich die Sinfonia of London Mitte der 1950er Jahre aus Mitgliedern des London Symphony Orchestra. Konzipiert als reines Aufnahme-Orchester konzentrierte man sich zunächst vor allem auf die finanziell einträgliche Produktion von Filmmusiken. 2018 hat man sich schließlich komplett neu aufgestellt. Unter John Wilson liegt nach einer Korngold-CD und einer Aufnahme mit französischen Kompositionen nun mit Respighi bereits die dritte Produktion vor. Mit "Fontane di Roma" enthält sie auch jenes Werk, das Respighis internationalen Ruhm begründen sollte, nachdem deren Uraufführung im März 1917, also mitten im Ersten Weltkrieg, keineswegs euphorische Reaktionen hervorgerufen hatte.
    Musik: Ottorino Respighi: Fontane di Roma
    Musik unterm Mikroskop
    Ein wesentlicher Unterschied zu dem gängigen Bild einer sinfonischen Dichtung besteht bei Respighi darin, dass er sich in seiner Musik nicht auf eine literarische Vorlage bezieht, also eine Handlung musikalisch nacherzählt, sondern dass er einzelne Tableaus, Bilder, klanglich in Szene setzt. In "Fontane di Roma" wählte er einzelne Brunnen in Rom aus: Respighi schreibt über den zweiten Abschnitt: "Ein plötzlich erschallendes lautes und durchdringendes Signal der Hörner über den Trillern des gesamten Orchesters leitet den zweiten Teil ein, Der Tritonenbrunnen." Respighi skizziert hier einen wilden Tanz zwischen den Wasserfontänen.
    Musik: Ottorino Respighi: Fontane di Roma
    John Wilson gelingt eine ausgezeichnete Staffelung der einzelnen Instrumentengruppen. Diese ermöglicht einen sehr transparenten und auch schlanken Klang, stellenweise von fast kammermusikalischer Prägung, obwohl Respighi für ein Orchester von romantischer Größe schreibt. Manche Details, Harmonien und Farben, erscheinen in dieser Aufnahme so unmittelbar wie unter einem Mikroskop. Insofern erscheint Respighi eher als Vertreter der Moderne denn als Nachfahre der Romantiker.
    Wie aber klingt dieser Satz bei Riccardo Chailly und der Filarmonica della Scala? Zunächst haben wir es hier mit einem ganz anderen Klangbild zu tun. Das Orchester wurde etwas dunkler eingefangen und weniger räumlich; dafür hat man das Gefühl, ein wenig näher dran zu sitzen. Was aber nicht bedeutet, dass man deshalb automatisch alle Nuancen besser nachvollziehen kann.
    Musik: Ottorino Respighi: Fontane di Roma
    Wo bei Wilson einzelne Abschnitte scharf und direkt klingen, scheint bei Chailly ein dünner Gazeschleier ausgebreitet. Außerdem sieht sich das Scala-Orchester mehr in der romantischen Tradition, setzt auf Schwelgen und große Linien, nicht zuletzt auch auf die etwas breiteren Tempi. Seit 2015 ist Chailly Musikdirektor an Italiens berühmtester Oper. Dem Orchester hat er seither vor allem im Konzertrepertoire neues Leben eingehaucht, was u.a. CD-Produktionen mit Musik von Cherubini, Verdi und Nino Rota belegen. Wenn jetzt im dritten Satz der "Fontane di Roma" Gott Neptun im Gefolge seiner Seepferdchen vorüberzieht, klingt das unter Chaillys Leitung ein bisschen wie Richard Wagners "Ring" ohne Worte.
    Musik: Ottorino Respighi: Fontane di Roma
    Mit kräftigen Farben gestaltet Riccardo Chailly diese Szene. Neptun in Öl, sozusagen. John Wilson und die Sinfonia of London hingegen walzen diese Szene weniger opulent aus, zwar auch entschieden forte und fortissimo, doch in ihrer Dramatik pointierter und stärker verdichtet: schlanker im Gestus und zügiger im Tempo, aber auch eine Spur weniger weihevoll und damit dramatischer. Während Chailly den römischen Gott wie in einer Huldigungsszene abbildet, deutet Wilson auf einen doppelten Boden hin. Pompös ja, aber aller majestätischen Größe wohnt eben auch eine Form von Vergänglichkeit inne.
    Musik: Ottorino Respighi: Fontane di Roma
    Die neue CD mit der Sinfonia of London enthält, wenn auch nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung, Respighis komplette "Römische Trilogie", also auch die "Feste Romane", uraufgeführt 1929 in New York unter Arturo Toscanini.
    Musik: Ottorino Respighi: Feste Romane
    Kühnheit und Kuschel-Klassik
    "Atonalität? – Dem Himmel sei Dank, das ist vorbei! Die Zukunft der Musik? Wer weiß! Ich glaube, dass jeder Komponist zuallererst individuell sein muss." Diese Äußerung stammt von 1925, ein Jahr nachdem Respighi die "Pinien von Rom" vollendet hatte. Und damit drei Jahre, bevor er seine Arbeit an den "Feste Romane" begann, die harmonisch deutlich kühner klingen. Diese neue Kühnheit bringen John Wilson und die Sinfonia of London ungeschönt zum Ausdruck. Mit einer schneidigen Brillanz und der Eindringlichkeit von Filmmusik. Kino für die Ohren.
    Musik: Ottorino Respighi: Feste Romane
    Für einen anderen Repertoire-Weg haben sich die Scala-Musiker und Riccardo Chailly entschieden. Man wolle die "Vielschichtigkeit der Persönlichkeit des Komponisten und die reiche Fülle seines Lebenswegs" abbilden, heißt es im Beiheft. Statt das Römische Triptychon zu komplettieren hat man sich für kleinere Einzelwerke sowie für die letzte Suite der "Antiche Danze ed Arie" entschieden. Mit einer der bekanntesten Melodien Respighis, die seinen Namen in so manches Programm mit Kuschel-Klassik gespült hat.
    Musik: Ottorino Respighi: Antiche Danze ed Arie. Suite Nr. 3
    Riccardo Chailly hat auf sinfonischem Gebiet vor allem mit seinen Mahler-, Beethoven- und Brahms-Aufnahmen in Amsterdam und Leipzig teils aufregende Ergebnisse erzielt. Diese Respighi-Aufnahme verrät zwar all seinen Feinsinn und viel Gespür für Architektur, doch rückt Chailly hier Respighi sehr in die Nähe eines Spät-Romantikers. Das klingt alles organisch und genau einstudiert, aber dass diese Musik mehr sein kann als ihr vorgeworfen wurde, macht diese neue Einspielung nicht konsequent hörbar.
    Anders dagegen bei John Wilson und der Sinfonia of London, die insgesamt mehr Risiko wagen und auf diese Weise zeigen können, dass Respighi kein reiner Eklektiker war und dass seine Fähigkeit zur Orchestrierung vor allem eines erfordert: Raffinement. Wer diese Musik wie eine Art "Malen nach Zahlen" versteht, wird automatisch in einen Gemütlichkeits-Duktus verfallen, über den diese Musik dann doch hinausragt.
    Musik: Ottorino Respighi: Feste Romane
    Ottorino Respighi
    Fontane di Roma
    Pini di Roma
    Aria per Archi
    Leggenda für Violine & Orchester
    Adagio für kleines Orchester "Di Sera"
    Antiche Danze ed Arie per Liuto-Suite Nr. 3
    Filarmonica della Scala
    Leitung: Riccardo Chailly
    Label: Decca 28948504152
    Ottorino Respighi
    Feste Romane
    Fontane di Roma
    Pini di Roma
    Sinfonia of London
    Leitung: John Wilson
    Label: Chandos CHSA 5261