"Heartland war atmosphärisch sehr dicht und klang wie blühende Blumen. Die neue Platte klingt mehr wie, wenn du mit dem Auto durch eine deutsche Stadt fährst - wie eine Fahrt durch Düsseldorf. Es ist mehr so eine emotionale Kälte. Heartland war ein Album, mit dem ich mich geöffnet habe und den Leuten was geben wollte. Dieses Album dreht sich mehr um andere Menschen."
Um es gleich vorweg zu nehmen: ´In Conflict' von Owen Pallett ist fantastisch - in vielerlei Hinsicht. Es ist alles da: ausgeklügelte Kompositionen, eindringliche Emotionen, Popmusik gewordene Irritationen.
"Das Album ist mit einem echten Orchester eingespielt. Und anstatt alles mithilfe eines digitalen Metronoms aufzunehmen, war ich mit der Band in einem alten Analog-Studio und hab den Bass und das Schlagzeug frei einspielen lassen. Deswegen sind die Stücke nicht streng im Takt - alles holpert ein wenig, manche Noten fallen zurück, manche eilen nach vorne. Das hat dieses seltsame menschliche, ja fehlerhafte. Ich mache gerade Anführungszeichen: ´Fehler'. Und dann ist da eben noch das Orchester, das dazu spielt. So verliert es diese formale Strenge von Hollywood-Filmmusik. Das Album klingt nicht nach einer Maschine, sondern nach Menschen, die Musik machen. Das war mir sehr wichtig. Man mag das vielleicht "Fehler" nennen, aber ich nenne es "menschlichen Schmutz"."
Der menschliche Schmutz soll hörbar sein
Die Perfektion unter dem Schleier des musikalischen Makel. Als "human dirt" bezeichnet Owen Pallett also das allzu menschliche in seiner Musik: kleine Verspieler an den Instrumenten, sanftes Holpern im Rhythmus, leichtes Wackeln in den Harmonien. In den Aufnahmen darf, ja soll der "menschliche Schmutz" hörbar sein, live muss das Arrangement sitzen.
"Ja, es ist furchtbar: Ich habe noch nie ein Konzert gespielt, mit dem ich zu 100% zufrieden war."
Seine Klaviatur ist das ganze Orchester, sein Instrument die Geige
Mit der Produktion, der Arbeit im Studio, ist der Perfektionist Owen Pallett aber doch hoffentlich zufrieden. Vielleicht liegt es auch an der musikalischen Unterstützung von Brian Eno: Er singt Back-Up-Vocals, spielt Synthesizer und Gitarre. Die Songs auf ´In Conflict' sind experimentell und zugänglich zugleich. 13 Stücken, 50 Minuten Spielzeit - klassische Arrangements, gegossen in offene Song-Strukturen. Popmusik, die im holzvertäfelten Konzertsaal zuhause ist. Das Instrument von Owen Pallett ist die Geige, seine Klaviatur das ganze Orchester.
Mit flirrendem Streicher-Crescendo führt Owen Pallett den Hörer in das Album ein, mit Cinemascope-Bombast entlässt er ihn.
Dazwischen trifft gezupftes Streicher-Pizzicato auf aufsteigendes Synthesizer-Arpeggio:
Barocke Bläser umhüllen blecherne Elektronik:
Nicht die Gitarre, die Geige verzaubert mit hypnotisierendem Staccato in einem wippenden 90ies-Indie-Rock - beschwörend, vertraut und fremdartig zugleich:
Homosexualität als Thema
Das Thema von Owen Pallett ist die Homosexualität. "In Conflict" ist ein Album voller Sehnsucht nach Akzeptanz, jenseits inakzeptabler Gesellschaftsnormen. Depression wird zum Vehikel der Komposition.
"Der Song "The Secret Seven" dreht sich eigentlich darum, dass Depression in Wirklichkeit etwas Faszinierendes ist - etwas ganz Natürliches, das Menschen nun mal passiert. Ich glaube Depressionen sind ein Nebeneffekt der Zufriedenheit, des Wohlstands. Depression an sich ist die Krankheit von den Menschen, die von Leben erfüllt sind. Mein Album ist wie ein Mahnruf: Ich wollte die Leute feiern, die glauben, dass ihre Welt scheiße ist, die aber eigentlich voller Leben und Schönheit ist."
Leidenschaften und Leidensgeschichten, Gender Trouble und Mitgefühl türmen sich musikalisch zu einer konzertanten Bergpredigt - selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Und genau diesen Trost spendet Owen Pallett auf ´In Conflict': Er trägt Konflikte musikalisch aus. Der Hörer spürt förmlich seine ruhende Hand auf der Schulter.
"Es gab da diesen jungen Studenten, ein Geiger, 19 Jahre und er war schwul. In New York hat er sich nachdem ihn seine Zimmerkollegen bei Sex mit einem Mann gefilmt haben in den Fluss geschmissen: Selbstmord. Zum Glück hat man sie abgeführt und bestraft. Aber dieser Vorfall war für mich sehr erschütternd, denn die Tatsache, dass er jung und schwul war, hat auf den Fall einen großen Einfluss gehabt. In dem Sinn, dass das es einen selbstverständlichen Zusammenhang zwischen jung, schwul, selbstmordgefährdet gibt."