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Oxyrhynchus-Sammlung in Oxford
Wer hat die Bibel geklaut?

Ein Oxford-Dozent soll wertvolle Bibel-Fragmente illegal verkauft haben. Die Ermittlungen laufen noch, doch der Fall weist auf ein generelles Problem hin: Sammlungen antiker Texte seien oft schlecht geschützt, kritisiert eine Expertin.

Von Ada von der Decken |
Gebäude in Oxford
Aus einer Sammlung im englischen Oxford sind wertvolle Bibel-Fragmente verschwunden (imago stock&people)
Die Oxyrhynchus-Sammlung in Oxford - sie ist eine echter Schatz. Ein Schatz, an dem sich ein renommierter Wissenschaftler bedient haben soll. Denn viele wertvolle Dokumente sind verschwunden. Aber der Reihe nach:
Die Oxyrhynchus-Sammlung ist nach ihrem Fundort in Ägypten benannt. Dort setzten vor 120 Jahren zwei englische Forscher aus Oxford den Spaten an. Zu Tage kam eine Müllkippe und darin hunderttausende Papyrus-Schnipsel. Einige sind nur so groß wie Cornflakes. In Blechboxen gelangten die Papyri nach Oxford. Dort werden sie seither ausgewertet und nach und nach veröffentlicht.
Bisher unbekannte Bibel-Formulierungen entdeckt
Für Bibel-Forscher wie die Theologin Candida Moss ist die Sammlung von großem wissenschaftlichem Wert. Nur schätzungsweise fünf Prozent der Papyri in der Sammlung konnten bisher veröffentlicht werden. Das meiste ist in altgriechischer Sprache verfasst, die Arbeit daran ist mühsam. Denn mit fast einer halben Million Schriftstücken ist die Oxyrhynchus-Sammlung eine der größten weltweit.
Unter den antiken Schriftstückchen findet sich viel Alltägliches: Briefe, Quittungen, Schuldscheine, Steuerdokumente und Testamente. Aber auch Gedichte - und es kamen Teile der Bibel auf Altgriechisch zu Tage. Papyrologen und Bibelforscher haben deshalb großes Interesse an diesen kleinen Fragmenten - wie Candida Moss:
"In der Oxyrhynchus-Sammlung konnten wir beispielsweise Formulierungen im Neuen Testament entdecken, die bisher unbekannt waren. Wir haben antike christliche Texte gefunden, von denen wir nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Wir konnten alternative Versionen von Abläufen und Geschehnissen finden. Oder Anmerkungen zum Neuen Testament von den ersten christlichen Autoren. Auch unbekannte Werke von Sappho oder Homer sind darunter. Die Sammlung ist also für Historiker allgemein interessant, nicht nur für Bibelforscher. Sie kann uns dazu bewegen, die Vergangenheit neu zu bewerten."
"Je mehr ich recherchierte, umso besorgter wurde ich"
Nur wenige Wissenschaftler können diese Schriftstücke überhaupt lesen und auswerten. Candida Moss ist eine von ihnen. Dass der aktuelle Diebstahl aus der Oxyrhynchus-Sammlung überhaupt bekannt wurde, ist vor allem ihr zu verdanken.
Ein Kollege hatte sie vor einigen Jahren auf einer Konferenz angesprochen. Er hatte versucht, Zugriff auf ein bestimmtes Bibel-Manuskript zu erhalten, und festgestellt, dass dieses in der Hand der US-amerikanischen Familie Green ist. Die Greens unterstützen die evangelikale Bewegung und haben in Washington das "Museum of the Bible" gestiftet. Candida Moss kam das komisch vor:
"Ich habe mir das einfach mal angeschaut. Und je mehr ich recherchierte, umso besorgter wurde ich. Der Verdacht erhärtete sich, dass mehrere Papyri in einem Museum gelandet sind, das zwar christliche Werte vermitteln will, in Wirklichkeit aber aus illegal erworbenen Manuskripten besteht."
Wurde die Sammlung "von innen geplündert"?
Offenbar wurden einige Bibel-Fragmente aus der Oxyrhynchus-Sammlung an die Greens verkauft. Es gibt Quittungen, die nahelegen, dass der renommierte Oxford-Wissenschaftler Dirk Obbink den Handel eingefädelt hat und sich damit persönlich bereicherte.
Obbink ist einer von sehr wenigen Wissenschaftlern, die Zugriff auf das Archiv hatten. Er hat alle Vorwürfe zurückgewiesen, wurde allerdings mittlerweile vom Dienst suspendiert. Es laufen Ermittlungen gegen ihn. Auf eine Bitte um Stellungnahme für den Deutschlandfunk reagierte Obbink nicht.
Moss: "Wenn man in dem Bereich forscht und Papyri anschauen möchte, die nie zuvor veröffentlicht wurden, dann ist das extrem schwierig. Der Zugang ist nicht einfach. Das liegt natürlich daran, dass die Sammlung beschützt werden soll. In diesem Fall sieht es aber so aus, als habe die Trägerstiftung die Leute von der Sammlung ferngehalten, während sie von Innen geplündert wurde."
Besserer Schutz gefordert
Die umfangreiche Papyri-Sammlung in Oxford wird von der Egypt Exploration Society unterhalten. Die Stiftung machte erst im vergangenen Sommer öffentlich, dass insgesamt 13 Schriftstücke illegal ins Washingtoner Bibelmuseum gelangt seien. Das war fast ein Jahrzehnt, nachdem die ersten Manuskripte verschwunden seien sollen. Candida Moss kritisiert die Arbeitsweise vieler Träger historischer Sammlungen:
"Die Sammlungen, Museen und Bibliotheken müssen wirklich einen besseren Überblick über ihre Archive bekommen. Nur weil es Sicherungskopien gibt, kann man belegen, dass in der Oxyrhynchus-Sammlung etwas fehlt. Das ermöglichte es, die Schriftstücke auszumachen, die im Museum in Washington gelandet sind."
Die Stiftung selbst willst sich nicht zu den Vorgängen äußern, solange die polizeilichen Ermittlungen laufen. Das teilte sie dem Deutschlandfunk auf Anfrage mit.
"UNESCO-Verträge gebrochen"
Candida Moss kritisiert außerdem, dass es gefährlich sei, einfach nur darauf zu vertrauen, dass berühmte Wissenschaftler schon das Richtige tun würden. Das zeige der aktuelle Fall. Käufer von antiken Schriftstücken dürften es nicht dabei belassen, sich eine Urkunde zeigen zu lassen. Die angebliche Herkunftsgeschichte müsse in jedem Fall überprüft werden:
"Wenn das Bibelmuseum oder die Green-Familie die angeblichen Verkäufer angerufen hätten, dann hätten sie sofort gemerkt, dass da etwas nicht stimmt. Schon in vielen Fällen haben sie Objekte ohne klare Herkunftskette gekauft und damit UNESCO-Verträge gebrochen."
Alle Oxyrhynchus-Exponate aus dem Bibelmuseum werden nun nach Oxford gebracht. Der Fall wirft trotzdem viele Fragen auf, die den Schutz wertvoller Kulturgüter betreffen.
Tatsächlich hat die Egypt Exploration Society vor kurzem gemeldet, dass eine Inventur ergeben hat, dass nicht nur diese 13 Fragmente fehlen, sondern 120 Archivstücke aus der Oxyrhynchus-Sammlung. Von vielen fehlt jede Spur. Dabei könnten uns diese Papyri so viel Neues über unsere Kulturgeschichte verraten – wenn sie nicht vorher gestohlen werden.